Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache. Klärungsfähigkeit. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Beratungsfehler. Voraussetzungen für eine Spontanberatung. Hinweis auf die Notwendigkeit der persönlichen Arbeitslosmeldung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Annahme grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG erfordert über den Gesichtspunkt der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage hinaus die Feststellung, dass eine Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit, vgl ua BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Die Rechtsfrage, ob im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs unter der Geltung des § 122 Abs. 1 SGB III die persönliche Arbeitslosmeldung entbehrlich ist, wenn dem zuständigen Arbeitsamt die Kenntnis des Eintritts des Leistungsfalles zurechenbar bekannt war, ist nicht klärungsfähig, wenn ein Beratungsfehler, der Grundlage für einen Herstellungsanspruch sein könnte, von vornherein nicht zu erkennen ist.
2. Ein Beratungsfehler des Arbeitsamtes ist nicht zu erkennen, wenn ein Sachbearbeiter einen Leistungsantrag im üblichen Geschäftsgang innerhalb von sechs Wochen bearbeitet und bescheidet. Üblicherweise muss er vor der zu treffenden Entscheidung einem nicht persönlich erschienenen Kläger keine besonderen Hinweise geben, zumal sich dem Sachbearbeiter die etwaige Erforderlichkeit eines Hinweises erst nach Durchsicht der Akten erschließen kann. Anlass zur “spontanen” Beratung sofort nach Leistungsbeantragung besteht nur, wenn besondere Umstände es dem Sachbearbeiter des Arbeitsamtes nahe legen, sofort tätig zu werden.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1; SGB III § 122 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. Januar 2003 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 29. Januar bis 22. März 1998.
Das Arbeitsamt F. hatte dem Kläger für eine Fortbildung zum „Diplom-Ingenieur Innenarchitektur” eine – mehrfach verlängerte – Maßnahme der beruflichen Rehabilitation bewilligt. Da der Kläger an einer für den 16. Januar 1998 vorgesehenen mündlichen Prüfung krankheitsbedingt nicht teilnehmen konnte, beantragte er mit einem am 29. Januar 1998 beim Arbeitsamt F. … eingegangenen Schreiben die Fortsetzung der Förderung. Dies lehnte das Arbeitsamt F. …, das die Zahlung von Übergangsgeld zum 16. Januar 1998 eingestellt hatte, mit Bescheid vom 13. März 1998 ab; in dem Ablehnungsbescheid wurde dem Kläger angeraten, sich bei dem für ihn zuständigen Arbeitsamt persönlich arbeitslos zu melden. Der inzwischen in M. … wohnende Kläger meldete sich sodann am 23. März 1998 beim Arbeitsamt M. … arbeitslos und beantragte Alg. Dies wurde ihm ab 23. März 1998 bewilligt; für die Zeit davor lehnte die Beklagte eine Bewilligung ab (Bescheid vom 26. Juni 1998, Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 1998).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 16. Juli 2001). Das SG hat ausgeführt: Die Anspruchsvoraussetzung der persönlichen Arbeitslosmeldung nach §§ 117, 122 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) sei am 29. Januar 1998 nicht erfüllt gewesen; der Kläger habe auch keinen Anspruch darauf, so gestellt zu werden, als ob er sich bereits am 29. Januar arbeitslos gemeldet hätte. Die Rückdatierung einer verspäteten Arbeitslosmeldung sei nur unter den hier nicht vorliegenden Voraussetzungen des § 122 Abs 3 SGB III möglich. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch stehe nicht zur Verfügung, um eine für einen bestimmten Zeitpunkt erforderliche, aber fehlende Arbeitslosmeldung zu ersetzen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen (Beschluss vom 6. Januar 2003). In der Begründung seines Beschlusses hat das LSG weitgehend gemäß § 153 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug genommen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit der Beschwerde und macht geltend, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Klärungsbedürftig sei die Rechtsfrage, ob im Rahmen des Herstellungsanspruches unter der Geltung des § 122 Abs 1 SGB III die persönliche Arbeitslosmeldung entbehrlich sei, wenn dem zuständigen Arbeitsamt die Kenntnis des Eintritts des Leistungsfalles zurechenbar bekannt sei. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) zu Fragen des Herstellungsanspruchs und der Arbeitslosmeldung mehrfach Stellung genommen; gleichwohl sei die Rechtslage erneut klärungsbedürftig durch Einführung des § 122 SGB III, der die Vorgängervorschrift des § 105 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) abgelöst habe. Die Rechtsfrage sei auch klärungsfähig. Die Beklagte habe erkennen müssen, dass er einen Anspruch auf Spontanberatung gehabt habe. Auf Belehrungen des Merkblattes könne sich die Beklagte nicht berufen. Weil es allein in der Entscheidungsbefugnis der Beklagten gestanden habe, ob die Maßnahme weiter zu gewähren sei oder ob wegen Nichtgewährung Arbeitslosigkeit eingetreten sei, müsse sich die Beklagte das Wissen um den Eintritt des Versicherungsfalles im Zeitpunkt des Zugangs des Antrags (29. Januar 1998) zurechnen lassen.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde ist zulässig. Der Senat geht davon aus, dass die ausführliche Beschwerdebegründung den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG entspricht.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdebegründung kommt der Sache grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nicht zu.
Zwar ist davon auszugehen, dass die in der Beschwerdebegründung aufgezeigte Rechtsfrage klärungsbedürftig ist, denn ihre Beantwortung ergibt sich weder unmittelbar aus dem Gesetz noch steht sie praktisch außer Zweifel. Die Annahme grundsätzlicher Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG erfordert aber über den Gesichtspunkt der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage hinaus die Feststellung, dass eine Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit, vgl ua BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG ist jedoch nicht zu erkennen, dass ein Beratungsfehler der Beklagten, der Grundlage eines Herstellungsanspruchs des Klägers sein könnte, vorliegt, weshalb die Klärungsfähigkeit zu verneinen ist.
Auf Grund der Feststellungen des LSG ist davon auszugehen, dass das Arbeitsamt F. … über den am 29. Januar 1998 eingegangenen Antrag des Klägers auf weitere Förderung mit Bescheid vom 13. März 1998 entschieden hat und in diesem Bescheid den nach dem Vorbringen des Klägers gebotenen Hinweis auf die Notwendigkeit einer persönlichen Arbeitslosmeldung gegeben hat. Das Arbeitsamt hat also innerhalb eines Zeitraumes von etwa sechs Wochen auf einen schriftlichen Antrag des Klägers reagiert. Der Senat vermag nicht zu erkennen, inwiefern der Sachbearbeiter bei ordnungsgemäßer Bearbeitung eines schriftlichen Antrags im Rahmen des üblichen Geschäftsganges verpflichtet gewesen sein sollte, schon vor der zu treffenden Entscheidung dem nicht persönlich erschienenen Kläger besondere Hinweise zu geben, zumal sich dem Sachbearbeiter die etwaige Erforderlichkeit eines Hinweises erst nach Durchsicht der Akten erschließen konnte. Anlass zu der in der Beschwerdebegründung behaupteten „spontanen” Beratung hätte somit nur bestanden, wenn besondere Umstände es dem Sachbearbeiter des Arbeitsamtes nahe gelegt hätten, sofort tätig zu werden. Solche besonderen Umstände hat das LSG aber nicht festgestellt.
Die Beschwerde ist zurückzuweisen (§ 160a Abs 4 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen