Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. März 2017 wird als unzulässig verworfen.
Der Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Kläger im Beschwerdeverfahren zu tragen.
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Beklagte den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht in der erforderlichen Weise dargelegt hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).
Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, ggf sogar der Schrifttums, angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufzeigen (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
Besondere Darlegungen sind erforderlich, wenn bei bereits vorliegender höchstrichterlicher Rechtsprechung behauptet wird, die Klärungsbedürftigkeit sei weiterhin gegeben oder erneut eingetreten (vgl dazu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 160 RdNr 8b f und § 160a RdNr 14g jeweils mwN). In diesem Fall bedarf es substantieller Ausführungen dazu, woraus sich im Einzelnen die erneute Klärungsbedürftigkeit ergeben soll bzw mit welchen Argumenten der Rechtsprechung entgegengetreten wird (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 23 S 42; vgl auch Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl 2017, § 160a RdNr 103).
Die Beschwerdebegründung des Beklagten wird diesen Darlegungserfordernissen nicht gerecht. Als grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage formuliert er:
"Sind auch nach der Gesetzeslage ab April 2011 immer dann, wenn die Sanktion eines SGB II-Trägers gegen irgendein - einkommens- oder vermögensloses - Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft mit dem Wegfall der Leistungen für Unterkunftsaufwendungen verbunden ist, in Abweichung vom "Kopfteilprinzip" höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft an die weiteren Bedarfsgemeinschaftsmitglieder zu zahlen?"
Zutreffend verweist er darauf, dass beide für die Grundsicherung nach dem SGB II zuständigen Senate des BSG entschieden haben, dass bei Sanktionen von einzelnen Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft in Abweichung vom Kopfteilprinzip ein höherer Bedarf der übrigen Angehörigen für Kosten der Unterkunft und Heizung unter bestimmten weiteren Voraussetzungen anzunehmen ist (vgl BSG vom 23.5.2013 - B 4 AS 67/12 R - BSGE 113, 270 = SozR 4-4200 § 22 Nr 68, RdNr 21 ff; BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 50/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 82 RdNr 18 ff). Dem sind die Vorinstanzen ausdrücklich gefolgt.
Der Beklagte legt nicht ausreichend dar, warum trotz dieser Rechtsprechung eine Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage erneut eingetreten oder weiterhin gegeben sein soll. Es scheint schon fraglich, ob seine Darlegungen zu den Änderungen der Sanktionsvorschriften ab April 2011 (Neugliederung der Sanktionsbestimmungen und Verteilung über vier Vorschriften, §§ 31, 31a, 31b, 32, durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I 453; vgl dazu nur Sonnhoff in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015 § 31 RdNr 6 ff) überhaupt geeignet sind, die bisherige Rechtsprechung in Frage zu stellen. Ohne Weiteres ist der Zusammenhang zwischen dieser Neuregelung und der Anwendung des "Kopfteilprinzips" nicht erkennbar. Mit dem Wortlaut der (neuen) Bestimmungen im Einzelnen befasst sich der Beklagte indes ebenso wenig, wie mit der Entstehungsgeschichte oder dem Sinn und Zweck der Neuregelung. Er zeigt auch nicht auf, dass die von ihm insbesondere aus gesetzessystematischen Erwägungen vertretene Ansicht, diese Neuregelung erfordere eine Korrektur der Rechtsprechung zum "Kopfteilprinzip", in Schrifttum oder Rechtsprechung geteilt würde.
Letztlich kann dies dahingestellt bleiben, denn auf jeden Fall hätte sich der Beklagte mit den verfassungsrechtlichen Fragen auseinandersetzen müssen, die das BSG veranlasst hat, in Fällen wie dem vorliegenden vom strengen "Kopfteilprinzip" abzugehen. Dieses hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG (vgl BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvR 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) ausgeführt, dass nur so ein menschenwürdiges Existenzminimum gemäß Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG der weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gewährleistet werden könne, denn diese könnten nicht darauf verwiesen werden, ihre mietvertraglichen Verpflichtungen nicht vollständig zu erfüllen und sich der Gefahr einer entsprechenden Klage des Vermieters auszusetzen oder die fehlende Zahlung des Jobcenters an den Dritten aus eigenen Mitteln zu ersetzen (BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 50/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 82 RdNr 19). Vor diesem Hintergrund reicht es nicht aus, eine erneut eingetretene oder weiter bestehende grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage lediglich rechtssystematisch sowie mit der Behauptung einer gleichheitswidrigen Bevorzugung der sanktionierten Leistungsbezieher zu begründen.
Dass den Entscheidungen des BSG unabhängig von den Rechtsänderungen zum 1.4.2011 in nicht geringem Umfang und ernsthaft in der weiteren Rechtsprechung oder im Schrifttum widersprochen worden ist, hat der Beklagte ebenfalls nicht aufgezeigt. Der Hinweis auf ältere Instanzrechtsprechung und auf die eigene Auffassung als zuständige Behörde genügt keinesfalls, eine weiter bestehende Klärungsbedürftigkeit darzutun.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI11295192 |