Verfahrensgang

SG Nürnberg (Entscheidung vom 06.12.2018; Aktenzeichen S 15 U 214/14)

Bayerisches LSG (Urteil vom 25.10.2022; Aktenzeichen L 9 U 54/19)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. Oktober 2022 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten noch über einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Verletztenrente über den 4.11.2016 hinaus.

Das SG hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Verletztenrente (Stützrente) für eine in der Zeit vom 27.1.2014 bis 4.11.2016 unfallbedingt bestehende Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 vH zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 6.12.2018). Das LSG hat die auf die Gewährung von Verletztenrente über den 4.11.2016 hinaus gerichtete Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 25.10.2022).

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG rügt der Kläger das Vorliegen von Verfahrensmängeln.

II

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist - außer im Fall von absoluten Revisionsgründen - die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Kläger rügt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) iVm dem Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren (Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG) und dem Grundsatz der Mündlichkeit (§ 124 Abs 1 SGG), weil das LSG das angegriffene Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung verkündet habe, obwohl er trotz ausdrücklichem Wunsch daran nicht habe teilnehmen können. Das LSG habe den Termin zur mündlichen Verhandlung am 25.10.2022 nicht verlegt, obwohl der Prozessbevollmächtigte am 21.10.2022 mitgeteilt habe, dass der Kläger Corona-positiv getestet sei und sich zudem am 8.11.2022 einer Knieoperation unterziehen müsse. Deswegen habe der Prozessbevollmächtigte am 21.10.2022 die Verlegung des Termins beantragt. Hiermit und mit dem weiteren Vorbringen wird ein Verfahrensfehler indes nicht hinreichend bezeichnet.

Das Gericht entscheidet nach § 124 Abs 1 SGG, soweit nichts anderes bestimmt ist, aufgrund mündlicher Verhandlung. Dieser Mündlichkeitsgrundsatz räumt den Beteiligten und ihren Prozessbevollmächtigten das Recht ein, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen und mit ihren Ausführungen gehört zu werden. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs in einer mündlichen Verhandlung (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) umfasst auch das Recht auf Aufhebung oder Verlegung eines anberaumten Termins, wenn dies aus erheblichen Gründen geboten ist (§ 227 Abs 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG). Solche erheblichen Gründe sind auf Verlangen des Vorsitzenden glaubhaft zu machen (§ 227 Abs 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG). Über einen Aufhebungs- oder Verlegungsantrag hat der Vorsitzende ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden (§ 227 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG). Ein Antrag auf Terminsaufhebung oder -verlegung ist förmlich (kurz) zu bescheiden, sofern dies noch technisch durchführbar und zeitlich zumutbar ist. Über die Entscheidung sind die Beteiligten in Kenntnis zu setzen, was auch formlos geschehen kann (vgl § 329 Abs 2 Satz 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG; stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.11.2018 - B 2 U 17/18 B - juris RdNr 13 mwN; BSG Beschluss vom 27.6.2017 - B 2 U 27/17 B - juris RdNr 9 mwN; BSG Beschluss vom 12.9.2019 - B 9 V 53/18 B - juris RdNr 14 mwN). Wegen der besonderen Bedeutung der mündlichen Verhandlung als Kernstück des Gerichtsverfahrens ist dabei im Allgemeinen davon auszugehen, dass eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Verhinderung der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung die daraufhin ergangene Gerichtsentscheidung insgesamt beeinflusst hat, auch wenn die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in sozialgerichtlichen Verfahren nicht als absoluter Revisionsgrund (vgl § 202 Satz 1 SGG iVm § 547 ZPO) ausgestaltet ist (stRspr; zB BSG Beschluss vom 16.12.2021 - B 9 V 10/21 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 25 - juris RdNr 25; BSG Beschluss vom 27.11.2018 - B 2 U 17/18 B - juris RdNr 16; BSG Beschluss vom 6.10.2010 - B 12 KR 58/09 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 18, jeweils mwN).

Der auch im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Kläger zeigt nicht auf, dass ein erheblicher Grund für die beantragte Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung bestanden hat. Ein erheblicher Grund ergibt sich nicht bereits dadurch, dass nach der Mitteilung des Termins zur mündlichen Verhandlung weitere ärztliche Unterlagen vorgelegt und die Einholung von Sachverständigengutachten angeregt wurden (zB BSG Beschluss vom 14.5.2021- B 9 SB 71/20 B - juris RdNr 9). Halten Beteiligte die bislang durchgeführte Sachaufklärung für noch defizitär, ist dies vielmehr durch Stellung prozesskonformer Beweisanträge aufzuzeigen, um das Gericht so zu weiteren Ermittlungen anzuhalten. Kommen Gerichte Beweisanträgen nicht nach, die bis zuletzt aufrechterhalten wurden, kann dies bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen als Verfahrensmangel gerügt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG, zB BSG Beschluss vom 21.3.2023 - B 2 U 147/22 B - juris RdNr 6 ff). Dass der Kläger bis zuletzt einen prozesskonformen Beweisantrag aufrechterhalten hat, der auch einen erheblichen Grund für die Verlegung des anberaumten Termins begründet hätte, behauptet indes auch die Beschwerdebegründung nicht, wenn sie allein auf einen nicht konkretisierten Antrag vom 12.10.2022 abstellt.

Das Vorliegen eines erheblichen Grundes iS von § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG wird auch nicht dadurch substantiiert bezeichnet, dass die Beschwerdebegründung hierfür auf eine krankheitsbedingte Verhinderung des Klägers abstellt. Die persönliche Verhinderung eines im Verfahren anwaltlich vertretenen Beteiligten stellt regelmäßig keinen erheblichen Grund dar (anders im Einzelfall bei unverschuldeter Verhinderung des Prozessbevollmächtigten selbst: vgl BSG Beschluss vom 26.6.2007 - B 2 U 55/07 B - SozR 4-1750 § 227 Nr 1 RdNr 9). Insoweit begründen weder Art 103 Abs 1 GG noch § 62 SGG einen generellen Anspruch darauf, dass jeder Beteiligte auch persönlich vor Gericht auftreten kann (vgl BSG Beschluss vom 1.3.2023 - B 5 R 2/23 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 20.4.2021 - B 5 R 18/21 B - juris RdNr 13 mwN; BSG Beschluss vom 14.11.2005 - B 13 RJ 245/05 B - juris RdNr 8; s auch B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 110 RdNr 5 mwN). Daher hätte es weiteren Vortrags dazu bedurft, dass die Anwesenheit des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung - unabhängig von einer Anordnung des persönlichen Erscheinens - unerlässlich war und an welchem konkreten Vortrag er aufgrund seiner Abwesenheit gehindert wurde (vgl BSG Beschluss vom 25.4.2023 - B 2 U 61/22 B - juris RdNr 8 mwN; s auch BSG Beschluss vom 10.6.2022 - B 5 R 49/22 B - juris RdNr 6 mwN; BSG Beschluss vom 5.3.2004 - B 9 SB 40/03 B - juris RdNr 6 mwN). Hierzu enthält die Beschwerdebegründung indes nichts.

Unabhängig davon zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf, dass der Kläger seine Verhinderung rechtzeitig zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 25.10.2022 glaubhaft gemacht hat, wie es der Senatsvorsitzende verlangt habe (§ 227 Abs 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG). Die Beschwerdebegründung trägt hierzu vor, am 24.10.2022 die Nachreichung eines ärztlichen Attestes angekündigt und ein Attest vom 27.10.2022 sodann am 8.11.2022 vorgelegt zu haben. Das Attest führe aus, dass der Kläger einen Corona-Schnelltest durchgeführt habe, welcher positiv ausgefallen sei. Bis zur Klärung der Situation habe sich der Kläger isoliert aufhalten müssen. Dieses Vorbringen enthält indes keine rechtzeitige Glaubhaftmachung eines erheblichen Grundes. Die Glaubhaftmachung muss spätestens während der mündlichen Verhandlung erfolgen, damit der Vorsitzende bzw das Gericht anhand des vorgebrachten Sachverhaltes eine pflichtgemäße Entscheidung über die Verlegung bzw Vertagung des Termins treffen kann. Der Kläger zeigt auch nicht auf und behauptet nicht einmal, an einer rechtzeitigen Glaubhaftmachung gehindert gewesen sein.

Die Gründe sind zudem nur glaubhaft gemacht (§ 227 Abs 2 ZPO, § 294 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG), wenn sich aus den vom Gericht zur Glaubhaftmachung angeforderten Belegen eine Erkrankung oder sonstige Verhinderung so schlüssig ergeben, dass das Gericht auf ihrer Grundlage in der Lage ist, die Frage der behaupteten Verhinderung selbst zu beurteilen (vgl zB BSG Beschluss vom 2.8.2010 - B 4 AS 48/10 B - juris RdNr 7 mwN). Hierzu hätte es weiteren Vortrags des Klägers zu dem behaupteten positiven Ergebnis des am 21.10.2022 durchgeführten Corona-Tests, zu den behaupteten Symptomen sowie dazu bedurft, dass der Verdacht einer Coronainfektion zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 25.10.2022 noch nicht ausgeräumt war. Auch zu einer Verhinderung wegen einer Knieoperation am 8.11.2022 hätte es eines substantiierten Vortrags bedurft, woran es indes fehlt.

Einen erheblichen Grund begründet schließlich nicht die Ankündigung des Prozessbevollmächtigten, die Klägerseite werde im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erscheinen (§ 227 Abs 1 Satz 2 Nr 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG). Bleibt schließlich bei Erkrankung des Klägers auch der Bevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung aus, so liegt kein Vertagungsgrund vor, wenn dieser - wie hier - nicht sicher mit der Vertagung rechnen durfte (vgl BSG Beschluss vom 14.11.2005 - B 13 RJ 245/05 B - juris RdNr 8 mwN).

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

Karmanski

Röhl

Karl

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15946077

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge