Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 14.08.1996; Aktenzeichen L 15 Kr 35/95)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beigeladenen zu 1) gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 14. August 1996 wird als unzulässig verworfen.

Die Beigeladene zu 1) hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin in der Zeit vom 16. Mai 1988 bis 8. Oktober 1991 als Propagandistin in einem kranken- und rentenversicherungspflichtigen sowie zur Arbeitslosenversicherung beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zu der beigeladenen Firma (Beigeladene zu 1) gestanden hat. Die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse hat dies verneint und dementsprechend festgestellt, daß Versicherungs- und Beitragspflicht nicht bestehe. Demgegenüber haben die Vorinstanzen festgestellt, daß die Klägerin in der fraglichen Zeit versicherungs- und beitragspflichtig gewesen sei, und den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben.

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Beigeladene zu 1) die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) geltend. Hierzu trägt sie vor: Das Landessozialgericht (LSG) habe im angefochtenen Urteil die abhängige Beschäftigung der Klägerin insbesondere damit begründet, daß es der Klägerin an eigenen Betriebsmitteln mangele und sie kein echtes Unternehmerrisiko trage. Damit weiche das LSG jedoch von der Sichtweise des Bundesarbeitsgerichts (BAG), des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Bundesfinanzhofs (BFH) ab. Nach den Kriterien, die „das BAG in seiner Entscheidung vom 24. Oktober 1978 (12 RK 58/76)” für die Beurteilung der Frage aufgestellt habe, ob eine Propagandistin abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, liege im vorliegenden Rechtsstreit eine selbständige Arbeit vor. Ferner habe der BGH in seinem Urteil vom 11. März 1982 (NJW 1982, 1757) die Tätigkeit von Propagandistinnen für die selbständiger Handelsvertreter iS des § 84 des Handelsgesetzbuchs gehalten, obwohl sie – wie die Klägerin – an die Öffnungszeiten der jeweiligen Kaufhäuser, wo sie ihre Tätigkeit ausübten, gebunden gewesen seien. Darüber hinaus habe der BGH in der genannten Entscheidung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Kaufhausbetriebes es mit einer selbständigen Tätigkeit für vereinbar gehalten, daß die betreffende in einem Kaufhaus eingesetzte Propagandistin nicht über eigene Geschäftsräume und -einrichtungen verfüge. Demgegenüber habe das LSG die Öffnungszeiten des Kaufhauses und die fehlenden Betriebsmittel der Klägerin als Indizien für eine abhängige Beschäftigung gewertet. Schließlich habe der BFH – anders als das LSG – in seinem Urteil vom 14. Juni 1985 „(IV R 105-152/82)” ein Unternehmerrisiko der Propagandistinnen bereits in der Unsicherheit darüber gesehen, ob sie nach Beendigung ihres jeweiligen Einsatzes später wieder engagiert würden.

Mit diesem Vorbringen hat die Beigeladene zu 1) die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht formgerecht iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage nicht auf den Einzelfall beschränkt und die Klärung dazu dienen kann, die Rechtseinheit zu erhalten oder die Fortbildung des Rechts zu fördern (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 7 und 65). Eine grundsätzliche Bedeutung ist deshalb nicht gegeben, soweit die Beurteilung einer Rechtssache ausschlaggebend von der Würdigung des konkreten Einzelfalles abhängt und sie infolgedessen gerade nicht auf einer Rechtsfrage beruht, die sich in verallgemeinerungsfähiger Weise klären läßt (BVerwG Buchholz 310 § 132 Nr 193; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, München 1991, Kap IX RdNr 60; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, Köln 1990, RdNr 126).

Eine solche Rechtsfrage vermag der Senat den Ausführungen der Beigeladenen zu 1) nicht entnehmen. Soweit ihr Vorbringen dahingehend zu verstehen ist, die Versicherungs- und Beitragspflicht der Propagandistinnen sei insgesamt klärungsbedürftig, hat sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt. Eine Rechtsfrage ist nicht mehr klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich beantwortet ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 1500 § 160a Nrn 13 und 65). Dies ist aber hier der Fall; denn das Bundessozialgericht (BSG) hat in seinem Urteil vom 24. Oktober 1978 (SozR 2200 § 1227 Nr 19) entschieden, daß bei Propagandistinnen die Selbständigkeit der Tätigkeit oder die Abhängigkeit der Beschäftigung nach dem Gesamtbild des beruflichen Einsatzes anhand einzelner Kriterien zu beurteilen ist. Die Beigeladene zu 1) hat in ihrer Beschwerdebegründung anscheinend dieses Urteil gemeint, wenngleich sie es als eine Entscheidung des BAG bezeichnet hat. Sie hat aber nicht dargelegt, daß trotz dieses Urteils noch Klärungsbedürftigkeit bestehe, insbesondere, daß das angefochtene Urteil mit ihm in rechtlichen Fragen nicht übereinstimme. Vielmehr hat sie unter Zugrundelegung nur eines Teils der im Urteil des BSG genannten Kriterien eine tatsächliche Bewertung vorgenommen. Damit hat sie aber nicht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt, sondern unzulässigerweise die Beweiswürdigung des LSG angegriffen (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG iVm § 128 Abs 1 Satz 1 SGG).

Soweit das Vorbringen der Beigeladenen zu 1) dahingehend zu verstehen ist, das LSG habe zu Unrecht und in Widerspruch zu Urteilen des BGH und des BFH bestimmte Feststellungen als Kriterien für die Abhängigkeit der Propagandistinnentätigkeit angesehen, hat sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ebenfalls nicht dargelegt.

Wenn das LSG die Öffnungszeiten des Kaufhauses, in dem die Klägerin beschäftigt war, und das Fehlen eigener Betriebsmittel der Klägerin als Indizien für eine abhängige Beschäftigung gewertet hat, steht es damit nicht in Widerspruch zum Urteil des BGH vom 11. März 1982 (NJW 1982, 1757). Der BGH hat in der genannten Entscheidung nicht etwa die Abhängigkeit von den Öffnungszeiten eines Kaufhauses, in der die Propagandistin tätig ist, oder das Fehlen eigener Betriebsmittel der Propagandistin als Indiz für die Selbständigkeit angesehen. Er hat vielmehr diesen Kriterien wegen der Besonderheiten des Einzelfalles keine entscheidungserhebliche Bedeutung zugemessen, weil andere Kriterien überwiegend für eine Selbständigkeit sprachen. Insbesondere hatte – anders als im vorliegenden Fall – jene Propagandistin als Arbeitgeberin zwei Mitarbeiter beschäftigt.

Wenn das LSG bei der Klägerin das Vorhandensein eines Unternehmerrisikos verneint hat, widerspricht dies nicht dem Urteil des BFH vom 14. Juli 1985 (BFHE 144, 225). Bei dieser Entscheidung des BFH beruht die Bewertung des Unternehmerrisikos nicht zuletzt darauf, daß – anders als im vorliegenden Fall – die betreffenden Propagandistinnen (dort Werbedamen genannt) nur für die Dauer von jeweils zwei bis vier Tagen eingesetzt wurden und sie in dieser Art auch für andere Unternehmen tätig waren.

Die Beigeladene zu 1) leitet daher zu Unrecht aus den genannten Kriterien eine grundsätzliche Bedeutung ab; auch hier greift sie in Wirklichkeit die Beweiswürdigung des LSG an.

Schließlich macht die Beigeladene zu 1) als Verfahrensrüge (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 Abs 1 SGG) geltend. Das LSG sei ihrem „Beweisantrag” in der Berufungsbegründungsschrift vom 22. August 1995, S 8, ohne Begründung nicht gefolgt. In der Berufungsbegründung sei Beweis darüber angeboten worden, daß die Klägerin vom 1. Januar 1990 bis zum 30. April 1991 bei der Inter-Krankenversicherung Mannheim privat krankenversichert gewesen sei. Dies zeige, daß die Klägerin durchaus die vertragliche Regelung verstanden habe und daß ihr bewußt gewesen sei, daß eine gesetzliche Krankenversicherung nicht bestehe.

Mit diesem Vorbringen hat die Beigeladene zu 1) keinen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Die Beigeladene zu 1) hat nicht aufgezeigt, daß sie einen solchen Beweisantrag gestellt und bis zum Ende der mündlichen Verhandlung aufrecht erhalten hat. Nach der Rechtsprechung des BSG muß ein Beweisantrag protokolliert oder im Urteilstatbestand aufgeführt sein (BSG SozR 1500 § 160 Nr 64; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9). Weder im Sitzungsprotokoll noch im angefochtenen Urteil ist aber aufgeführt, daß die Beigeladene zu 1) einen Beweisantrag gestellt habe. Das in der Berufungsbegründungsschrift und im Schriftsatz vom 1. November 1995 enthaltene Beweisangebot stellt nur einen Beweisantritt, nicht aber einen Beweisantrag dar. Im übrigen hat das LSG im Tatbestand seines Urteils erwähnt, daß die Klägerin privat krankenversichert war.

Soweit die Beigeladene zu 1) in ihrer Verfahrensrüge auch den § 62 SGG aufführt, liegt darin keine formgerechte Darlegung, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt; denn es fehlt jegliche Begründung hierzu.

Die Beschwerde der Beigeladenen zu 1) war daher in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1172938

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