Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtigkeitsfeststellungsklage. aufschiebende Wirkung
Orientierungssatz
Eine Nichtigkeitsfeststellungsklage hat nur dann keine aufschiebende Wirkung, wenn sie lediglich formal erhoben wird.
Normenkette
SGG § 55 Abs 1 Nr 4, § 97 Abs 1 Nr 3
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 24.07.1991; Aktenzeichen L 11 Kr 35/90) |
SG Köln (Entscheidung vom 11.06.1990; Aktenzeichen S 19 Kr 230/89) |
Tatbestand
Die Klägerin zu 1) und ihre minderjährigen Kinder, die Kläger zu 2) bis 5), waren im Jahre 1988 bei der beklagten Ersatzkasse freiwillig versichert und entrichteten Mindestbeiträge. Die Beklagte verdoppelte mit Bescheiden von Dezember 1988 die Beiträge ab Januar 1989 auf jeweils 128,-- DM unter Hinweis darauf, daß das Gesundheits-Reformgesetz nunmehr verabschiedet worden sei und am 1. Januar 1989 in Kraft trete. Die Kläger erhoben Widerspruch. Mit Bescheiden vom 20. April 1989 und 18. Mai 1989 setzte die Beklagte den Beitrag der Klägerin zu 1) unter anteiliger Zurechnung des Erwerbseinkommens ihres Ehemannes ab 1. Mai 1989 neu fest. Die Klägerin zu 1) legte auch hiergegen Widerspruch ein. Alle Widersprüche blieben erfolglos (Widerspruchsbescheide vom 26. September 1989).
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) haben die Kläger das Anerkenntnis der Beklagten, bis zum 11. Juni 1990 die Beitragsbescheide nicht zu vollziehen und auch keine Stundungszinsen zu erheben, angenommen. Mit Urteil vom 11. Juni 1990 hat das SG die Klagen abgewiesen, weil die Bescheide rechtmäßig seien. Da die Klage keine aufschiebende Wirkung habe, müßten die Kläger zumindest einstweilen den von der Beklagten verlangten Beitrag zahlen. Mit Urteil vom 20. August 1990 hat das SG über den Antrag der Kläger, festzustellen, "daß die Beklagte nicht berechtigt ist, im Falle eines ihr günstigen Ausganges des Rechtsstreits Stundungszinsen für den zu entrichtenden Betrag für die Zeit ab dem 12. Juni 1990 zu verlangen", entschieden und die Klage abgewiesen.
Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) den Antrag der Kläger abgelehnt festzustellen, daß die Klagen vom 5. Oktober 1989 nebst den dazugehörigen Berufungen aufschiebende Wirkung haben (Beschluß vom 14. November 1990). Desgleichen hat das LSG den Hilfsantrag abgelehnt, die Vollziehung (Vollstreckung) aus den angefochtenen Bescheiden auszusetzen. Den unter Hinweis auf weiteren Sachvortrag mit Schriftsatz vom 27. Dezember 1990 erneuerten Antrag festzustellen, daß die Klagen und Berufungen der Kläger aufschiebende Wirkung haben, hat das LSG mit Beschluß vom 24. Juli 1991 abgelehnt. Mit Urteil vom selben Tage hat das LSG sodann das Urteil des SG vom 11. Juni 1990 abgeändert, soweit der Beklagten bereits für den Monat Mai 1989 der höhere Beitrag zuerkannt worden war, und im übrigen die Berufungen der Kläger gegen die Urteile des SG vom 11. Juni 1990 und 20. August 1990 mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Klagen abgewiesen werden. Die Gegenvorstellungen der Kläger gegen den Beschluß vom 24. Juli 1991 hatten keinen Erfolg (Beschlüsse des LSG vom 5. Februar und 17. Juni 1992).
Gegen das Urteil des LSG haben die Kläger Revisionen eingelegt mit dem Antrag, unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile die Nichtigkeit der angefochtenen Bescheide festzustellen, hilfsweise die Bescheide aufzuheben.
Sie beantragen vorab sinngemäß,
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festzustellen, daß die Klagen, Berufungen und Revisionen, bezogen auf |
die Klageschriften vom 3. September (richtig: 3. Oktober) 1989, |
aufschiebende Wirkung haben. |
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
Entscheidungsgründe
Der Antrag ist zulässig. Nach § 97 Abs 1 Nr 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat die Klage aufschiebende Wirkung, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird. Dieses gilt im Berufungs- und Revisionsverfahren entsprechend (§ 154 Abs 1 und § 165 SGG). Klage und Rechtsmittel haben in diesen Fällen zwar kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung. Gleichwohl ist das Prozeßgericht in Zweifelsfällen befugt, auf Antrag durch Beschluß festzustellen, ob die aufschiebende Wirkung des § 97 Abs 1 Nr 3 SGG eingetreten ist oder nicht (Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 4. Aufl 1991, § 97 RdNr 11). Dem (unveröffentlichten) Beschluß des 7. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 15. November 1958 (7 RKg 11/58) vermag der erkennende Senat nicht zu entnehmen, daß dieser (der 7.) Senat die Feststellung der aufschiebenden Wirkung durch das Prozeßgericht in jedem Falle für unzulässig hält. Der 6. Senat hat die Frage offengelassen (BSG SozR Nr 34 zu § 55 SGG). Eine Feststellung der aufschiebenden Wirkung durch das Revisionsgericht auf einen im Revisionsverfahren gestellten neuen Antrag hin steht nicht entgegen, daß in den Vorinstanzen gestellte Anträge dieses Inhalts abgelehnt worden sind.
Auch das Rechtsschutzbedürfnis für einen derartigen Antrag ist hier gegeben. Zwar haben die Kläger die streitigen Beitragsforderungen erfüllt, so daß eine Vollstreckung aus den mit der Nichtigkeitsfeststellungsklage angegriffenen Bescheiden nicht mehr zu besorgen ist. Doch reicht, jedenfalls wenn die Zahlung wie hier unter Androhung von Vollstreckungsmaßnahmen geleistet worden ist, ein mögliches Rückabwicklungsinteresse der Kläger aus, um einen vorläufigen Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte zu erreichen, deren Nichtigkeit geltend gemacht wird (vgl Meyer-Ladewig aaO RdNr 17b).
Der Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung ist auch begründet. Nach dem Wortlaut des Gesetzes (§ 97 Abs 1 Nr 3 SGG) hängt der Eintritt der aufschiebenden Wirkung allein von der Erhebung einer (zulässigen) Nichtigkeitsfeststellungsklage ab, die hier vorliegt. Davon enthält das Gesetz auch für Beitragsforderungen keine Ausnahme. Auch stellt es weitere Voraussetzungen, wie etwa eine gewisse oder sogar überwiegende Erfolgsaussicht, nicht auf. Eine Prüfung der Erfolgsaussicht der Nichtigkeitsfeststellungsklage, die zu ihrer Begründetheit gehört, kann daher auch bei der klarstellenden Entscheidung über das Bestehen der aufschiebenden Wirkung grundsätzlich nicht stattfinden. Nur wenn lediglich formal eine Nichtigkeitsfeststellungsklage erhoben wird, Nichtigkeitsgründe jedoch entweder nicht geltend gemacht werden oder geltend gemachte Nichtigkeitsgründe offensichtlich nur Anfechtbarkeitsgründe sind, darf die Erhebung einer Nichtigkeitsfeststellungsklage nicht dazu führen, daß die aufschiebende Wirkung erreicht werden kann (vgl auch Meyer-Ladewig aaO RdNr 6 mwN, wo teilweise weitergehende Einschränkungen vertreten werden). Ein solcher Sachverhalt liegt hier jedoch nicht vor. Die Kläger haben mehrere Gründe dargelegt, aus denen sie die angefochtenen Verwaltungsakte für nichtig halten. Es ist nicht zweifelsfrei, daß die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe nur solche sind, die allenfalls zur Anfechtbarkeit der angefochtenen Verwaltungsakte führen können. Eine Beurteilung der Frage, ob die Bescheide tatsächlich nichtig, nur anfechtbar oder sogar rechtmäßig sind, bedarf vielmehr näherer Prüfung, die der Senat erst bei einer Entscheidung in der Hauptsache vorzunehmen hat.
Hiernach war dem Antrag der Kläger, den Eintritt der aufschiebenden Wirkung festzustellen, zu entsprechen.
Fundstellen