Verfahrensgang

SG Hannover (Entscheidung vom 26.10.2017; Aktenzeichen S 63 SB 520/14)

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 22.07.2021; Aktenzeichen L 10 SB 2/18)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. Juli 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin wendet sich gegen die Herabsetzung ihres Grades der Behinderung (GdB) von 50 auf 20.

Mit Urteil vom 22.7.2021 hat das LSG wie vor ihm der Beklagte und das SG einen Anspruch der Klägerin auf Fortbestand der Schwerbehinderteneigenschaft verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe es trotz widerstreitender Gutachtenergebnisse versäumt, ein weiteres Gutachten einzuholen. Damit habe es ihr rechtliches Gehör verweigert und seine Pflicht zur Amtsermittlung verletzt sowie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil weder ein Verfahrensmangel noch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall der Klägerin darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, prozessordnungsgemäßen und bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist.

An einer solchen Bezeichnung fehlt es. Weder behauptet die Klägerin einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gestellt und bis zuletzt aufrechterhalten zu haben noch legt sie dar, dass das LSG in dem angefochtenen Urteil einen solchen Antrag wiedergegeben hat.

Unabhängig davon trägt die Klägerin nicht schlüssig vor, warum das LSG sich hätte zu weiterer Beweiserhebung gedrängt sehen müssen. Dazu hätte es der Darlegung bedurft, warum das Gericht objektiv gehalten gewesen wäre, den Sachverhalt weiter aufzuklären und Beweis zu erheben (vgl BSG Beschluss vom 29.4.2010 - B 9 SB 47/09 B - juris RdNr 8). Daran fehlt es hier. Die Würdigung voneinander abweichender Gutachtenergebnisse oder ärztlicher Auffassungen gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Diese ist von dem LSG als letztes Tatsachengericht durchzuführen (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) und kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Eine Verpflichtung zur Einholung eines sog Obergutachtens besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einzuholen (BSG Beschluss vom 16.2.2017 - B 9 V 48/16 B - juris RdNr 13 mwN). Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum.

Gründe für eine Ausnahme in ihrem Fall hat die Klägerin nicht dargelegt. Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten ungenügend sind (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO), weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 24.6.2020 - B 9 SB 79/19 B - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9, jeweils mwN). Derartige Gründe hat die Klägerin nicht substantiiert dargelegt. Sie geht bereits nicht auf die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Beweiswürdigung ein, mit denen dieses sich den Gutachten von L und K angeschlossen hat. Ebenso wenig legt sie nachvollziehbar grobe Mängel oder Widersprüche der genannten Gutachten dar. Die bloße Mitteilung, L habe sich auf das psychiatrische Fachgebiet beschränkt und K habe ein neurologisches Fachgutachten erstellt, genügt insoweit nicht.

Auch nicht aufgezeigt hat die Klägerin im Zusammenhang mit der von ihr gerügten unzureichenden Beweiserhebung die behauptete Versagung rechtlichen Gehörs. § 62 SGG konkretisiert den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG). Die Vorschrift soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (§ 128 Abs 2 SGG; vgl BSG Beschluss vom 28.2.2017 - B 9 SB 88/16 B - juris RdNr 9 mwN) und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird. Insoweit führt die Beschwerde indes nicht aus, welchen entscheidungserheblichen Vortrag der Klägerin das LSG im Einzelnen unberücksichtigt gelassen haben sollte. Weitere Voraussetzung für eine zulässige Gehörsrüge ist zudem die Darlegung, dass der Beteiligte seinerseits alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 16.10.2019 - B 8 SO 19/18 BH - juris RdNr 8). Dazu gehört im Zusammenhang mit der gerichtlichen Beweiserhebung auch, einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag zu stellen, den die Klägerin aber zu bezeichnen versäumt hat.

2. Ebenfalls nicht dargelegt hat die Klägerin eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.8.2020 - B 9 V 5/20 B - juris RdNr 6 mwN). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher ua mit der einschlägigen Rechtsprechung auseinandersetzen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 21.8.2017 - B 9 SB 11/17 B - juris RdNr 8 mwN).

Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung, soweit sie die Frage der Notwendigkeit eines "Zusammenhanggutachtens" für grundsätzlich bedeutsam hält. Insbesondere lässt sie in dieser Hinsicht die erforderliche Auseinandersetzung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum nur ausnahmsweise bestehenden Erfordernis weiterer Beweiserhebung vermissen, wenn bereits Sachverständigengutachten vorliegen. Wie oben bereits ausgeführt, gehört danach die Würdigung unterschiedlicher, auch widerstreitender Gutachten zur Beweiswürdigung. Das Prozessrecht verpflichtet nicht zur Einholung eines Obergutachtens, es sei denn, die vorhandenen Gutachten enthielten zB unlösbare Widersprüche oder grobe Mängel. Darüber hinausgehenden Klärungsbedarf hat die Klägerin nicht aufgezeigt.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

3. Die unzulässige Beschwerde ist ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Kaltenstein

Ch. Mecke

Röhl

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15203336

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