Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Divergenz. Bloße Subsumtionsrüge. Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall. Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen. Beweiswürdigung des Berufungsgerichts

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Für die Darlegung einer Divergenz ist es nicht ausreichend, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz.

2. Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 2, § 169 Sätze 2-3

 

Verfahrensgang

SG Reutlingen (Entscheidung vom 28.03.2018; Aktenzeichen S 8 SB 3077/16)

LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2020; Aktenzeichen L 3 SB 1596/18)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. Oktober 2020 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Mit Beschluss vom 28.10.2020 hat das LSG einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt und mit einer Divergenz begründet.

II

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Die Klägerin hat darin den allein geltend gemachten Zulassungsgrund einer Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise bezeichnet.

Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus der angefochtenen Berufungsentscheidung und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG einander gegenüberzustellen. Zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21; BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl BSG Beschluss vom 24.4.2015 - B 13 R 37/15 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f).

Soweit die Klägerin eine Divergenz darin zu sehen meint, dass die Entscheidung des LSG im Widerspruch zum Urteil des Senats vom 16.3.1994 (9 RVs 6/93 - SozR 3-3870 § 4 Nr 9) stehe, weil es die in dieser Rechtsprechung aufgestellten Rechtsgrundsätze missachtet habe, fehlt es bereits an der Benennung von divergierenden abstrakten Rechtssätzen aus der angefochtenen Berufungsentscheidung und den zitierten Entscheidungen des Senats. Die Klägerin rügt unter Hinweis auf die genannte BSG-Rechtsprechung lediglich, dass das LSG die Umstände, die sie in Bezug auf die Auswirkungen ihrer Erkrankungen auf das tägliche Leben vorgetragen habe, nicht berücksichtigt habe. Entgegen den im Senatsurteil vom 16.3.1994 aufgestellten Grundsätzen habe das LSG die Funktionseinschränkungen verschiedenen ärztlichen Fachbereichen zugeordnet, Gruppen von Funktionssystemen gebildet und auf dieser Basis den Gesamt-GdB ermittelt. Dies werde insbesondere Erkrankungen wie der "MCS" (= Multiple Chemical Sensitivity) nicht gerecht, die nicht klar fassbar unter eine Funktionseinschränkung subsumiert werden könne. Richtigerweise hätte das LSG ihre Einschränkungen im täglichen Leben prüfen und auf dieser Basis einen höheren GdB feststellen müssen.

Mit diesem Vortrag bezeichnet die Beschwerde indes keinen Rechtssatz des LSG, der die höchstrichterliche Rechtsprechung in Frage stellen würde, sondern wendet sich im Kern gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Letztere entzieht § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG vollständig der Beurteilung durch das Revisionsgericht. Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (vgl zB Senatsbeschluss vom 8.5.2017 - B 9 V 78/16 B - juris RdNr 15 mwN). Allein die - behauptete - Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall - zB aufgrund der Nichtbeachtung oder fehlerhaften Anwendung höchstrichterlicher Rechtsprechung - rechtfertigt die Zulassung wegen Divergenz nicht (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 5.6.2020 - B 9 SB 87/19 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 16.3.2017 - B 13 R 390/16 B - juris RdNr 16).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG). Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI14800506

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