Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmung des zuständigen Gerichts. negativer Kompetenzkonflikt
Orientierungssatz
Verweist das Sozialgericht den Rechtsstreit über einen auf zivilrechtliche Vorschriften gestützten Anspruch der Bundesanstalt für Arbeit auf Ersatz gezahlter Krankenversicherungsbeiträge an das Amtsgericht, so ist diese Entscheidung nicht offensichtlich gesetzwidrig und das Amtsgericht daran gebunden.
Normenkette
SGG § 58 Abs 1 Nr 4, § 52 Abs 1 S 2; AFG § 155; BGB § 823
Gründe
Die klagende Bundesanstalt für Arbeit (BA) verlangt von dem Beklagten Zahlung von 663, -- DM. Diesen Betrag hat die Klägerin für den Beklagten während einer Zeit der Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) als Beiträge zur Krankenversicherung der Arbeitslosen aufgewandt (§§ 155 ff Arbeitsförderungsgesetz - AFG -). Nachdem sie erfahren hatte, daß der Beklagte während des Alg-Bezuges in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hat, hat die Klägerin den Bescheid über die Bewilligung von Alg aufgehoben und diese Leistung zurückgefordert. Sie ist der Auffassung, ihr stehe hinsichtlich der verauslagten Krankenversicherungsbeiträge ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zu, weil dieser seiner Verpflichtung, die Aufnahme der Beschäftigung anzuzeigen, nicht nachgekommen sei.
Die Klägerin hat den - auf unerlaubte Handlung gestützten - Anspruch vor dem Arbeitsgericht Bielefeld erhoben. Dieses hat sich durch Urteil vom 20. Juni 1985 für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an das Sozialgericht (SG) Detmold verwiesen. Das SG Detmold hat sich sodann durch Urteil vom 26. April 1988 für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an das Amtsgericht (AG) Bielefeld verwiesen. Das AG Bielefeld hat mit Beschluß vom 22. Juli 1988 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und den Rechtsstreit dem Bundesarbeitsgericht (BAG) zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Zur Begründung ist ausgeführt, daß es sich bei der streitigen Rückforderung der verauslagten Krankenversicherungsbeiträge um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handele, für die die Sozialgerichte zuständig seien. Im übrigen habe das Urteil des Arbeitsgerichts "aufdrängende" Wirkung, so daß das SG nicht mehr habe prüfen dürfen, ob es sich um eine zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche Streitigkeit handele. Das BAG hat sich mit Beschluß vom 16. August 1988 für die beantragte Zuständigkeitsbestimmung für unzuständig erklärt und ausgeführt, nach rechtskräftiger Verweisung an das SG Detmold könne durch dessen Weiterverweisung und die Ablehnung der Übernahme durch das AG Bielefeld nur noch unklar sein, ob die Sozialgerichte oder die ordentlichen Gerichte für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig seien. Das BAG könne diese Frage nicht beantworten, weil zuständig nur der oberste Gerichtshof eines der Gerichtszweige sei, dem eines der am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte angehöre. Das sei hier das Bundessozialgericht (BSG) oder der Bundesgerichtshof (BGH). Daraufhin hat das AG Bielefeld den Rechtsstreit dem BSG zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
Die Vorlage ist zulässig.
Das BSG hat bereits entschieden, daß es in entsprechender Anwendung des § 58 Abs 1 Nr 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) das zuständige Gericht auch dann zu bestimmen hat, wenn ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit und ein Gericht eines anderen Gerichtszweigs den Rechtsweg zu sich rechtskräftig verneint haben, sofern das BSG als erster oberster Gerichtshof um diese Bestimmung angegangen wird (BSG SozR 1500 § 58 Nr 4). Dies entspricht auch der übereinstimmenden Rechtsprechung des BGH und des BAG zu den entsprechenden Vorschriften ihrer Verfahrensordnungen (BGHZ 44, 14; BAGE 23, 167 = AP Nr 8 zu § 36 ZPO; AP Nr 34 zu § 36 ZPO). Danach ist das in den jeweiligen Verfahrensordnungen vorgesehene Bestimmungsverfahren auch in Fällen eines negativen Kompetenzkonfliktes zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige anzuwenden, wobei grundsätzlich derjenige oberste Gerichtshof des Bundes zu entscheiden hat, der zuerst darum angegangen wird. Allerdings kann nur der Gerichtshof eines der Gerichtszweige zuständig sein, dem eines der am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten unteren Gerichte angehört (BAG AP Nr 34 zu § 36 ZPO unter Bezugnahme auf Redeker Anm zu AP Nr 8 zu § 36 ZPO). Deshalb konnte das BAG hier seine Zuständigkeit verneinen, obwohl es als erster Gerichtshof zur Bestimmung der Zuständigkeit angerufen worden ist; denn das BAG ist an dem Kompetenzkonflikt nicht (mehr) beteiligt, nachdem das Arbeitsgericht durch rechtskräftig gewordenes Urteil vom 20. Juni 1985 den Rechtsstreit an das SG verwiesen hatte und damit bindend feststand, daß ein anderes Gericht in derselben Sache seine Gerichtsbarkeit nicht deshalb verneinen darf, weil es den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für gegeben hält. Daß die bindende Wirkung einer derartigen Verweisung auch in Bestimmungsverfahren der hier vorliegenden Art beachtet werden muß, entspricht ständiger Rechtsprechung des BAG und des BGH (BAG AP Nr 34 zu § 36 ZPO mwN). Das BAG hat deshalb mit Recht darauf hingewiesen, daß eine Zuständigkeitsbestimmung nur durch das BSG oder den BGH erfolgen kann.
Ob zwischen den für eine Vorlage in Frage kommenden - den streitenden Gerichten übergeordneten - obersten Gerichtshöfen des Bundes eine Wahlmöglichkeit auch dann besteht, wenn das Gesuch um Zuständigkeitsbestimmung nicht von einem Beteiligten, sondern - wie hier - von Amts wegen vom Gericht gestellt wird, ist in Zweifel gezogen worden (vgl die Anm von Grunsky zu BAG AP Nr 34 zu § 36 ZPO). Die Annahme, daß das vorlegende Gericht stets nur den ihm übergeordneten obersten Gerichtshof des Bundes in Anspruch nehmen darf - hier also das AG den BGH -, ist weder nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zwingend, noch entspricht sie dem die Regelungen des Verweisungsrechts beherrschenden Grundsatz, die Ausweitung von Zuständigkeitsstreitigkeiten tunlichst zu vermeiden und diese auch im Verhältnis zwischen verschiedenen Gerichtszweigen möglichst schnell zu erledigen (BGHZ 17, 169 f; 44, 14/15). Dieser Grundsatz gebietet generell eine Erledigung in der Weise, daß jeweils das um die Entscheidung des Konflikts zuerst angegangene Bundesgericht entscheidet. Zudem hat das BAG, das vom AG Bielefeld angerufen worden war, diesem eine Wahlmöglichkeit zwischen BSG und BGH angedeutet, so daß es auch aus prozeßökonomischen Gründen untunlich erscheint, die Vorlage nunmehr mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß letztlich nur der BGH um die Zuständigkeitsbestimmung angegangen werden kann.
Als zuständiges Gericht war hier das AG Bielefeld zu bestimmen. Die Voraussetzungen des beantragten Bestimmungsverfahrens nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG sind gegeben. Zwei verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, haben im Sinne dieser Vorschrift ihre Zuständigkeit rechtskräftig verneint. Sowohl das rechtskräftige Urteil des SG Detmold vom 26. April 1988 als auch die Ablehnung der Übernahme durch das AG Bielefeld, die sachlich eine Rückverweisung an das SG Detmold enthält, sind nach ständiger Rechtsprechung des BAG und des BGH als rechtskräftige Leugnung der Zuständigkeit anzusehen und geeignet, einen negativen Kompetenzkonflikt iS von § 58 Abs 1 Nr 4 SGG auszulösen, der eine Zuständigkeitsbestimmung durch das angerufene Gericht zuläßt (BAG AP Nrn 12 und 18 zu § 36 ZPO; BGHZ 17, 168). Dem steht das Urteil des erkennenden Senats vom 8. April 1980 (SozR 1500 § 98 SGG Nr 1) nicht entgegen, wonach sich ein Gericht gegen die Übernahme einer nach § 98 Abs 1 SGG verwiesenen Sache nicht mit dem Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG wehren kann. Abgesehen davon, daß sich diese Entscheidung nur auf einen Zuständigkeitsstreit innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit bezieht und deshalb nicht Fälle der hier vorliegenden Art betrifft, hat der erkennende Senat letztlich auch dort nur entschieden, daß die bindende Wirkung einer Verweisung auch für das Bestimmungsverfahren maßgebend ist, m.a.W. durch dieses Verfahren dem vorlegenden Gericht keine Möglichkeit eröffnet wird, sich der bindenden Wirkung einer Verweisung zu entziehen. Die bindende Wirkung einer Verweisung ist vielmehr - wie unter Bezugnahme auf die übereinstimmende Meinung von BAG und BGH bereits ausgeführt - auch in Bestimmungsverfahren zu beachten, bei denen Gerichte verschiedener Gerichtszweige an einem negativen Kompetenzkonflikt beteiligt sind (vgl § 17 Abs 2 Gerichtsverfassungsgesetz, § 48a Abs 2 Arbeitsgerichtsgesetz, § 52 Abs 2 SGG). Deshalb war dem AG Bielefeld eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG Detmold und - was dem gleichstellt - die Ablehnung der Übernahme der verwiesenen Sache verwehrt; es konnte seine Gerichtsbarkeit nicht deshalb verneinen, weil es den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für gegeben hielt (§ 52 Abs 1 Satz 2 SGG). Infolge der bindenden Wirkung des verweisenden Urteils des SG Detmold war es dem AG Bielefeld auch verwehrt, die sachlich-rechtliche Natur des streitigen Rechtsverhältnisses anders als das verweisende Gericht zu bewerten, nämlich anzunehmen, daß es sich um eine "Rückforderung" von Krankenversicherungsbeiträgen handele, die ebenso wie die Leistung dieser Beiträge öffentlich-rechtlich zu erfolgen habe. Nur dann, wenn nach der Verweisung eine Klageänderung erfolgt wäre, könnte etwas anderes gelten (vgl dazu BAG AP Nr 34 zu § 36 ZPO). Der Streitgegenstand hat sich jedoch im vorliegenden Falle nicht geändert; der Antrag und seine rechtliche Begründung sind gleich geblieben. Selbst wenn die Klägerin ihre rechtliche Begründung geändert oder ergänzt hätte, würde dies - auch im zivilgerichtlichen Verfahren - keine Klageänderung darstellen.
Das AG Bielefeld kann sich im Vorlageverfahren auch nicht darauf berufen, daß bereits das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 20. Juni 1985 "aufdrängende" Wirkung gehabt habe und daß deshalb das SG Detmold seine eigene Zuständigkeit nicht mehr habe in Frage stellen und die Sache an ein Gericht eines dritten Gerichtszweiges habe verweisen dürfen. Auch wenn die Verweisung durch das SG Detmold insoweit oder aus sonstigen Gründen fehlerhaft gewesen wäre, hindert dies die bindende Wirkung seiner Entscheidung grundsätzlich nicht. Nach allgemeiner Meinung kann allein eine offensichtlich gesetzwidrige, jeder gesetzlichen Grundlage entbehrende Verweisung eine Bindungswirkung nicht entfalten (BAG AP Nrn 20 und 35 zu § 36 ZPO; BGHZ 17, 168 und 28, 349/350; Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 3. Aufl, § 52 Anm 5 mwN). Offensichtlich gesetzwidrig ist jedoch das verweisende Urteil des SG Detmold nicht. Die Frage, ob eine Verweisung lediglich "abdrängende" oder aber "aufdrängende" Wirkung hat, ist in Rechtsprechung und Lehre noch umstritten. Das BSG hat sich - mit der inzwischen wohl überwiegenden Meinung - schon 1960 für die Zulässigkeit einer Weiterverweisung an ein Gericht eines dritten Gerichtszweigs und gegen eine endgültige ("aufdrängende") Wirkung der Verweisung ausgesprochen (BSGE 12, 283, 286; Meyer-Ladewig, aaO, § 52 Anm 4 mwN). Auch ist das Urteil des SG Detmold nicht deshalb offensichtlich gesetzwidrig, weil § 51 SGG Rechtsstreitigkeiten der vorliegenden Art zweifelsfrei den SG'en zuwiese. Das ist schon wegen Fehlens einer ausdrücklichen Rechtswegzuweisung für derartige, allein auf zivilrechtliche Vorschriften gestützte Ansprüche der Bundesanstalt für Arbeit auf Ersatz gezahlter Krankenversicherungsbeiträge nicht der Fall. Erst im Frühjahr 1988 hat der BGH in der bisher unterschiedlich beurteilten Frage des Rechtswegs für entsprechende Ansprüche entschieden und eine sozialgerichtliche Zuständigkeit aus Gründen der Sachnähe bejaht (Urteil vom 23. Februar 1988, veröffentlicht in NJW 1988, 1731 - Juli-Heft -). Bei dieser Sach- und Rechtslage kann die Weiterverweisung des Rechtsstreits an das AG Bielefeld nicht als offensichtlich gesetzwidrig beurteilt werden, so daß dieses Gericht an die rechtskräftige Verweisung durch das SG Detmold gebunden ist.
Das AG Bielefeld hat deshalb nunmehr in der Sache zu entscheiden.
Fundstellen