Leitsatz (amtlich)

Bei der Erforschung des Sachverhalts ist das Gericht zu Beweiserhebungen jeder Art befugt; dazu gehört auch die Anhörung eines in der Verwaltung des Beklagten tätigen - beamteten - Arztes.

 

Normenkette

SGG § 103 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Celle vom 29. Februar 1956 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Revision des Klägers gegen das vorbezeichnete Urteil ist - mangels Zulassung durch das Berufungsgericht - nicht statthaft, da die Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 Nr. 2 und 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für die Statthaftigkeit einer nicht zugelassenen Revision nicht gegeben sind.

Die Rüge, das Landessozialgericht (LSG.) habe seine ihm obliegende Sachaufklärungspflicht (§§ 103,106 SGG) verletzt, geht fehl. Nach § 103 SGG hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen; es bestimmt allein und im Rahmen seines richterlichen Ermessens die Ermittlungen und Maßnahmen, die nach seiner Beurteilung der Rechtslage zur Aufklärung des Sachverhalts notwendig sind; sein Ermessen wird lediglich durch die Pflicht zur Aufklärung in dem für die Entscheidung erforderlichen Umfang begrenzt (BSG. 2 S. 236). Daraus ergibt sich, daß eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht nur dann vorliegt, wenn der im Zeitpunkt der Entscheidung bekannte Sachverhalt das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätte drängen müssen; eine Verletzung der Aufklärungspflicht kann dagegen nicht angenommen werden, wenn der vorliegende Sachverhalt vom sachlich-rechtlichen Standpunkt des Gerichts aus zur Entscheidung ausgereicht hat (BSG. im SozR. SGG § 103 Bl. Da 2 Nr. 7). Im vorliegenden Falle lagen dem Berufungsgericht zu der im Streit stehenden Frage außer den versorgungsärztlichen Stellungnahmen und Gutachten (Dr. med. K vom 20.12.1950, Dr. med. O vom 22.3.1951, Dr. med. F vom 20.11.1951, Dr. med. U vom 12.12.1952 und Dr. med. M vom 27.11.1954) die ärztlichen Bescheinigungen des Dr. med. K vom 3. Juli 1950 und 25. Januar 1956, des Dr. med. C vom 6. Februar 1951 und des Dr. med. B vom 25. Juli 1951 sowie die fachärztlichen Gutachten der Orthopädischen Klinik des Oldenburgischen Landeskrankenhauses in S (Prof. Dr. S und Dr. med. D vom 3. November 1952 und der Chirurgischen Klinik der Städtischen Krankenanstalten in E (Dr. med. K) vom 2. September 1954 vor. Darüber hinaus hatten noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG.) Aurich der ärztliche Gerichtssachverständige Dr. med. S, in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG. der Oberregierungsmedizinalrat Dr. med. L Stellung genommen. Dieses umfangreiche Beweismaterial hat dem LSG., wie aus seinen Ausführungen im Urteil entnommen werden muß, nach seiner Beurteilung der Rechtslage und von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus ausgereicht, um über den Rechtsstreit zu entscheiden. Weitere Ermittlungen, insbesondere die Einholung eines weiteren Gutachtens, wurde von ihm zu Recht nicht für erforderlich gehalten, so daß es auch keine solchen mehr anzustellen brauchte. Das Berufungsgericht hat danach seine Sachaufklärungspflicht nicht verletzt.

Die weitere Rüge, das LSG. habe gegen die Vorschrift des § 128 SGG verstoßen, ist ebenfalls unbegründet. Nach § 128 Abs. 1 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; in seinem Urteil hat es die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Danach betrifft selbst eine mangelhafte Beweiswürdigung grundsätzlich nicht den Gang des Verfahrens, sondern den Inhalt der getroffenen Entscheidung, mit der Folge, daß sie auch grundsätzlich keinen Mangel im Verfahren, sondern einen solchen in der Urteilsfindung darstellt. Ein Mangel des Verfahrens in bezug auf die Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Gericht die gesetzlichen Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten und etwa gegen Erfahrungssätze des täglichen Lebens oder gegen Denkgesetze verstoßen hat. Insoweit ist jedoch ein Mangel des angefochtenen Urteils nicht erkennbar. Das LSG. hat die im Streit stehende Frage, wie aus dem angefochtenen Urteil ersichtlich ist, unter Berücksichtigung und Würdigung der Stellungnahmen und Gutachten der im Verfahren zu Wort gekommenen Ärzte entschieden und die einander widersprechenden ärztlichen Beurteilungen gegeneinander abgewogen. Es hat auch das zu Gunsten des Klägers sprechende Gutachten des Prof. Dr. Se vom 3. November 1952 unter besonderer Berücksichtigung des vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks in seine Würdigung einbezogen, ohne daß es nach seinem Ermessen erforderlich gewesen wäre, den Gutachter Prof. Dr. S noch zum Gutachten des Dr. med. K zu hören. Es hat nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen richterlichen Überzeugung entschieden, daß es sich bei dem Fußleiden des Klägers nur um die Folge einer Gesundheitsstörung "im Sinne einer abgegrenzten Verschlimmerung eines an sich anlagebedingten Leidens" handelt und hat damit von dem ihm zustehenden Recht der freien richterlichen Beweiswürdigung in gesetzlich nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht. Die Vorschrift des § 128 Abs. 1 SGG ist nicht verletzt.

Endlich ist das Vorbringen der Revision, das LSG. habe in der mündlichen Verhandlung vom 29. Februar 1956 unzulässigerweise den Oberregierungsmedizinalrat Dr. L vom Versorgungsamt Oldenburg zu der im Streit stehenden Frage gehört, obwohl dieser als beamteter Arzt der Versorgungsverwaltung habe als befangen angesehen werden müssen, keine Verfahrensrüge, die die Revision statthaft machen kann. Daran ändert nichts, daß das LSG. der Auffassung des Dr. L - in Verbindung mit dem Gutachten des Dr. K - weitgehend gefolgt ist. Denn die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind bei der Erforschung des Sachverhalts (§ 103 SGG) zu Beweiserhebungen jeder Art befugt, sowie es daneben jedem Beteiligten unbenommen ist, vom Gericht eingeholte Beweismittel mit eigenen Ausführungen und selbst beschafften Beweisunterlagen anzugreifen. Daß dann aber auch alle Beweisunterlagen - vorliegend also auch die Beurteilung durch Dr. L - in die richterliche Würdigung einbezogen werden müssen , kann nicht zweifelhaft sein; denn das Gericht hat, wie bereits oben ausgeführt, seine richterliche Überzeugung nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu bilden (vgl. dazu Beschluß des 2. Senats des BSG. vom 23.9.1957 - Az.: 2 RU 113/57).

Die Revision des Klägers ist danach nicht statthaft; sie war nach der Vorschrift des § 169 Satz 2 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2290853

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