Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Psychologischer Psychotherapeut. Abhängige Beschäftigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Anordnung der „entsprechenden” Geltung der Ärzte-ZV für Psychologische Psychotherapeuten in § 1 Abs. 3 Ärzte-ZV gebietet auch vor dem Hintergrund des Art. 12 Abs. 1 GG keine Berücksichtigung des Umstandes, dass die abhängige Beschäftigung schon während einer Tätigkeit als Delegations- oder Erstattungspsychotherapeut mehrjährig unbeanstandet ausgeübt wurde.
2. Rechte aus der früheren Rechtsstellung der Diplom-Psychologen als (unselbstständige) Leistungserbringer im Delegations- oder Kostenerstattungsverfahren können nur insoweit anerkannt werden, wenn sie im Übergangsrecht ausdrücklich normativ verankert sind.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 Nr. 3; Ärzte-ZV § 1 Abs. 3, § 20 Abs. 1; SGB V § 95 Abs. 10; GG Art. 12 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 19. Juni 2002 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat dem Beklagten dessen außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die klagende, seit 1975 im Justizbereich des Landes Berlin in einer sozialtherapeutischen Beratungsstelle abhängig beschäftigte Diplom-Psychologin, die ihren Angaben zufolge seit 1993 zugleich in „eigener Praxis” niedergelassen ist, begehrt ihre bedarfsunabhängige Zulassung zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung. Der beklagte Berufungsausschuss lehnte dies – einen Beschluss des Zulassungsausschusses bestätigend – ab, weil sie wegen ihres 38,5 Wochenstunden Arbeitszeit umfassendes Beschäftigungsverhältnisses und der ihr dienstrechtlich maximal erlaubten 15 Praxisstunden wöchentlich für die Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) persönlich nicht in erforderlichem Maße zur Verfügung stehe. Dagegen hat sich die Klägerin in erster und zweiter Instanz ohne Erfolg gewandt. Das Landessozialgericht (LSG) hat ihre Berufung zurückgewiesen und die hilfsweise beantragte Verurteilung des Beklagten zur Neubescheidung ihres Zulassungsantrags abgelehnt: Die Zulassung scheitere an § 20 Abs 1 iVm § 1 Abs 3 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV), da sie – auch für Psychologische Psychotherapeuten zulassungsschädlich – mehr als 13 Wochenstunden abhängig beschäftigt sei. Ihre Beschäftigung bei der Justizverwaltung erfülle die anspruchsausschließenden Voraussetzungen des § 20 Abs 2 iVm § 1 Abs 3 Ärzte-ZV; denn sie nutze für ihre selbstständige Tätigkeit sogar ihren Dienstraum (gegen ein ihrem Arbeitgeber gezahltes Nutzungsentgelt), und es könnten Interessen- oder Pflichtenkollisionen zu Lasten von Patienten oder Kostenträgern auftreten. Der Hilfsantrag scheitere jedenfalls an ihrer fehlenden Eignung nach § 20 Abs 2 iVm § 1 Abs 3 Ärzte-ZV (Urteil vom 19. Juni 2002).
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG beruft sich die Klägerin auf vier Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung sowie die Abweichung von höchstrichterlicher Rechtsprechung und einen Verfahrensfehler des LSG.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde der Klägerin ist – soweit sie wegen Vorliegens der Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig ist – unbegründet, im Übrigen unzulässig.
Erfolgreich ist eine auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nur dann, wenn die konkret bezeichneten Rechtsfragen in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sind. Sowohl hinsichtlich der ersten aufgeworfenen Frage,
ob § 20 Ärzte-ZV bei einer bedarfsunabhängigen Zulassung nach § 95 Abs 10 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) Anwendung findet, wenn ein „Delegationspsychotherapeut” die Zulassung beantragt,
als auch hinsichtlich der Frage
„Erfordert Art 12 Grundgesetz (GG) eine einschränkende Auslegung des § 20 Ärzte-ZV bei nach § 95 Abs 10 SGB V erteilten bedarfsunabhängigen Zulassungen, wenn sich der zugelassene Psychotherapeut auf Grund seiner früheren Tätigkeit im Delegationsverfahren in seiner beruflichen Lebensplanung auf eine Beteiligung an der kassenärztlichen Versorgung eingestellt hat und sein Beschäftigungsverhältnis bereits lange vor Einbringung des Gesetzes über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und des SGB V aufgenommen hatte, ohne dass dieses seiner Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung entgegenstand?”
liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Beide Fragen sind nämlich – abweichend von der von der Klägerin unter Hinweis auf zwei Literaturstellen befürworteten Auslegung – durch die Rechtsprechung des Senats geklärt und bedürfen keiner erneuten Behandlung in einem Revisionsverfahren. Der Senat hat beide Fragen bereits in seinem Urteil vom 31. Januar 2002 – B 6 KA 20/01 R beantwortet (BSGE 89, 134, 136 ff, insbesondere 149, = SozR 3-5520 § 20 Nr 3, bestätigt durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – ≪Kammer≫ vom 23. September 2002 – 1 BvR 1315/02 –; vgl ebenso: Urteil vom 11. September 2002 – B 6 KA 23/01 R, vgl BSG-Presse-Mitteilung 45/02 vom 13. September 2002, Nr 5 ≪zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen≫), das – wie im vorliegenden Fall – ebenfalls eine auf das Übergangsrecht des § 95 Abs 10 SGB V gestützte bedarfsunabhängige Zulassung einer Psychologischen Psychotherapeutin betraf. Neue Gesichtspunkte, die zu einem Überdenken dieser Rechtsprechung Anlass geben könnten, trägt die Klägerin nicht vor. Der Senat hat im Einzelnen ausführlich dargelegt, dass die Anordnung der „entsprechenden” Geltung der Ärzte-ZV für Psychologische Psychotherapeuten in § 1 Abs 3 Ärzte-ZV auch vor dem Hintergrund des Art 12 Abs 1 GG keine Berücksichtigung des Umstandes gebietet, dass die abhängige Beschäftigung schon während einer Tätigkeit als Delegations- oder Erstattungspsychotherapeut mehrjährig unbeanstandet ausgeübt wurde. Bereits im Urteil des Senats vom 8. November 2000 (BSGE 87, 158, 159 ff = SozR 3-2500 § 95 Nr 25 S 105 ff) ist dargestellt worden, dass die Teilnahme von Diplom-Psychologen an der Versorgung der Versicherten der GKV durch die Regelungen des Psychotherapeutengesetzes grundlegend umgestaltet worden ist; Psychologen sind nun als einzige nichtärztliche Berufsgruppe bei der unmittelbaren Behandlung von Versicherten den Ärzten gleichgestellt, ohne dass dem Verfassungsrecht entgegensteht (vgl BVerfG ≪Kammer≫ NJW 2000, 3416 = SozR 3-2500 § 95 Nr 24 S 103). Rechte aus der früheren Rechtsstellung der Diplom-Psychologen als (unselbstständige) Leistungserbringer im Delegations- oder Kostenerstattungsverfahren können daher nur insoweit anerkannt werden, wenn sie im Übergangsrecht ausdrücklich normativ verankert sind. Ansonsten ist die Grundentscheidung des Gesetzgebers für das Integrationsmodell, dh die Gleichstellung approbierter Psychologischer Psychotherapeuten mit Vertragsärzten im Rahmen der Regelungen des SGB V, unumstößlich. § 1 Abs 3 Ärzte-ZV setzt eben dieses – wie § 72 Abs 1 Satz 2 SGB V allgemein für das Leistungserbringungsrecht – normativ um und ist einer Relativierung nicht zugänglich. Rechtsstellung und Befugnisse von Psychologischen Psychotherapeuten dürfen sich von denjenigen zugelassener ärztlicher Psychotherapeuten, die ähnliche Diagnose- und Therapiemethoden anwenden, schon wegen Art 3 Abs 1 GG nicht maßgeblich unterscheiden (vgl schon BSGE 87, 184, 189 ff = SozR 3-2500 § 95 Nr 26 S 139 ff). Da für ärztliche Psychotherapeuten die – hier vom LSG angewandten – Eignungs-Regelungen des Zulassungsrechts gelten, können Psychologische Psychotherapeuten für sich keine davon abweichende rechtliche Behandlung beanspruchen, und zwar sowohl hinsichtlich des zulässigen zeitlichen Umfangs einer Nebenbeschäftigung als auch in Bezug auf zulassungsschädliche Interessen- und Pflichtenkollisionen.
Geklärt durch das bereits zitierte Urteil des Senats vom 30. Januar 2002 (aaO; vgl ebenfalls Urteil vom 11. September 2002 – B 6 KA 23/01 R, BSG-Presse-Mitteilung 45/02 vom 13. September 2002, Nr 5) ist auch die Frage
„Ist trotz § 20 Abs 1 Ärzte-ZV bei einer bedarfsunabhängigen Zulassung nach § 95 Abs 10 SGB V eine wöchentliche Verfügbarkeit von 15 Stunden für die Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung ausreichend, wenn in einem Zulassungsbereich eine deutliche Überversorgung vorliegt, die noch Jahrzehnte anhalten wird?”.
Aus den Entscheidungsgründen des Urteils ergibt sich, dass es für die Frage der Eignung als Vertragspsychotherapeut nicht darauf ankommt, ob ein Psychologischer Psychotherapeut sich in der Lage fühlt, für eine bestimmte Anzahl von Sprechstunden für die Versorgung von Versicherten der GKV verfügbar zu sein; entscheidend ist vielmehr zum einen, dass trotz eingegangener rechtlicher und tatsächlicher Bindungen bei typisierender Betrachtung hinreichende Handlungsspielräume für eine Tätigkeit im System des SGB V bestehen, und zum anderen, dass (noch) die vom Gesetz vorausgesetzte reale Gleichwertigkeit der Praxistätigkeit des Betroffenen mit derjenigen vergleichbarer Leistungserbringer gewährleistet ist, die keinerlei Nebenbeschäftigung oder -tätigkeit nachgehen. Auf den Grad der Überversorgung im Planungsbereich kommt es dabei – unbeschadet der Frage, ob 15 Stunden wöchentlicher Praxistätigkeit überhaupt ausreichend wären – ersichtlich nicht an.
In Bezug auf die Frage,
ob § 20 Ärzte-ZV die vollständige Abweisung eines Verpflichtungsantrags bzw eine Abweisung des Bescheidungsantrags auf Erteilung einer bedarfsunabhängigen Zulassung rechtfertigt, wenn das Hindernis auch durch eine Auflage oder Bedingung beseitigt werden kann,
fehlt es demgegenüber an der Entscheidungserheblichkeit für den Ausgang des Rechtsstreits. Das Beschwerdeverfahren ist ebenso wie das Revisionsverfahren nicht dazu vorgesehen, Fragen zu klären, die sich auf das Ergebnis des zwischen den Beteiligten anhängigen Streits nicht auswirken. Selbst die Bejahung der Pflicht zur Erteilung einer Nebenbestimmung iS von § 20 Abs 3 Ärzte-ZV könnte aber nur Einfluss auf die Situation der Klägerin haben, wenn sie auch ihre ausdrückliche Bereitschaft erklärt hätte, ihre Arbeit bei der Justizverwaltung nicht nur zeitlich und von der Art der Tätigkeit her (bisher ua mit der Pflicht zu Beratung, Diagnostik, Therapievermittlung sowie zur Übernahme der Psychotherapie in Einzelfällen) inhaltlich umzugestalten, sondern – mit Rücksicht darauf, dass bislang die Arbeitsstelle mit dem „Praxissitz” identisch ist – zu Gunsten der Niederlassung an einem anderen Ort aufzugeben. In Bezug darauf hat das LSG indessen weder Feststellungen getroffen, die dies bestätigen, noch ergeben sich entsprechende Hinweise aus den Akten. Im Gegenteil deutet alles darauf hin, dass die Klägerin nach wie vor die Zulassung neben ihrem vermeintlich erworbenen Besitzstand anstrebt und keine ernstlichen Anhaltspunkte für eine mögliche Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bestehen; einen anderen Niederlassungsort hat sie bislang ebenfalls nicht benannt (vgl aber § 24 Abs 1 und 2 iVm § 1 Abs 3 Ärzte-ZV, § 17 iVm § 1 Abs 4 Bundesmantelvertrag-Ärzte).
Der Zulassungsgrund einer Abweichung des LSG von der Rechtsprechung des BVerfG (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) ist ebenfalls nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gemäß dargelegt worden. Die darauf gestützte Beschwerde ist bereits unzulässig. Zur ordnungsgemäßen Darlegung ist es insoweit erforderlich, einen abstrakten entscheidungstragenden Rechtssatz des Berufungsgerichts einerseits und einen solchen aus einer höchstrichterlichen Entscheidung andererseits gegenüberzustellen und auszuführen, dass und inwieweit beide miteinander unvereinbar sind (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29; Meyer-Ladewig, aaO, § 160a RdNr 15 mwN). Das Vorbringen der Klägerin entspricht dem nicht, weil sie nur geltend macht, das LSG habe die begehrte Neubescheidung unberechtigterweise an ihrer fehlenden Eignung iS von § 20 Abs 2 Ärzte-ZV iVm § 1 Abs 3 Ärzte-ZV scheitern lassen. Dass diese sachverhaltsbezogene rechtliche Würdigung einen „abstrakten” Rechtssatz enthalten soll, der ausdrücklich die Judikatur des BVerfG negiert, wonach das Verhältnismäßigkeitsprinzip das Zurückgreifen auf ein weniger einschneidendes Mittel (hier: als die Ablehnung der Zulassung) gebietet, erschließt sich dem Senat nicht. Mit der Rüge, dieses Prinzip sei verletzt worden, kann die Klägerin aber nicht durchdringen, weil das Beschwerdeverfahren keine allgemeine, sondern nur eine auf die Gründe des § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG beschränkte Rechtmäßigkeitskontrolle eröffnet; der sinngemäße Vortrag, das LSG habe unrichtig entschieden, reicht dazu nicht aus.
Soweit die Klägerin schließlich geltend macht, ein Verfahrensmangel liege darin begründet, das LSG habe „einen durch Schriftsatz vom 11. April 2001 unter Beweis gestellten Vortrag außer Acht gelassen”, ist die Beschwerde ebenfalls unzulässig, weil sie nicht den sich aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ergebenden Darlegungsanforderungen entspricht. Denn gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des § 103 SGG nur dann Zulassungsgrund sein, wenn zugleich gerügt wird, das Berufungsgericht sei einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Rüge unterbliebener Beweiserhebungen kann dabei nicht jegliches, irgendwann im Verlaufe des Rechtsstreits unter Beweis gestelltes Beteiligtenvorbringen sein; vielmehr kommt es darauf an, ob der rechtskundig vertretene Beteiligte in der mündlichen Verhandlung einen entsprechenden Beweisantrag – jedenfalls hilfsweise – gestellt bzw aufrecht erhalten hat (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 124 Nr 3 S 4; SozR 3-1500 § 160 Nr 29 S 49 mwN). Dies aber wird weder von Klägerseite vorgetragen, noch weist die Sitzungsniederschrift der Verhandlung vom 19. Juni 2002 solche Anträge aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG in der noch bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung.
Fundstellen