Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Versicherungspflicht einer selbstständig tätigen Physiotherapeutin. Vergleichbarkeit mit anderen Leistungserbringern. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Von der rentenversicherungsrechtlichen Behandlung anderer Leistungserbringer kann nicht auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer Versicherungspflicht bei einem Leistungserbringer geschlossen werden (vgl BSG vom 30.1.1997 - 12 RK 31/96 = SozR 3-2600 § 2 Nr 2). Eine am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes gebotene Gleichstellung selbstständiger Physiotherapeuten mit versicherungsfreien Leistungserbringern muss nicht zwingend darin bestehen, selbstständige Physiotherapeuten von der Rentenversicherungspflicht auszunehmen, sondern kann auch darin bestehen, bisher versicherungsfreie Leistungserbringer in die Rentenversicherungspflicht einzubeziehen.
2. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 3. Kammer vom 25.5.2007 - 1BvR 1045/07).
Normenkette
SGB 6 § 2 S. 1 Nr. 2; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Wesentlichen über die Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Rentenversicherung. Der beklagte Rentenversicherungsträger stellte fest, dass die Klägerin als selbstständig tätige Physiotherapeutin nach § 2 Satz 1 Nr 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) seit Januar 1997 in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig ist, und forderte Rentenversicherungsbeiträge nach. Widerspruch, Klage und Berufung blieben erfolglos.
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 27. Juni 2006.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das Bundessozialgericht (BSG) darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Die Klägerin beruft sich allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Hierzu muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; BVerwG NJW 1999, 304; vgl auch BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 31). Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer verfassungsrechtlichen Frage gilt nichts anderes. Die Begründung darf sich auch insofern nicht auf eine bloße Berufung auf Normen des Grundgesetzes (GG) beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergibt (BSG SozR 1500 § 160a Nr 11). - Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin misst der Frage grundsätzliche Bedeutung zu:
"Ist eine unterschiedliche Bewertung der Versicherungspflicht von Logopäden und Physiotherapeuten in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 2 Nr. 2 SGB VI unter Berücksichtigung von Artikel 3 Grundgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar?"
Zur Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde nimmt sie einen Vergleich des von ihr repräsentierten Personenkreises mit selbstständig tätigen Logopäden vor und stellt fest, dass sich aus den Ausbildungs- und Prüfungsordnungen keine Unterschiede ergäben, die zu einer unterschiedlichen Behandlung dieser Berufszweige im Hinblick auf die Rentenversicherungspflicht berechtigten. Selbstständige Physiotherapeuten unterschieden sich von in der Krankenpflege tätigen Personen, die weder eine Diagnose stellen noch Art und Umfang der Behandlung bestimmen dürfen, ebenso wie selbstständige Logopäden, die seit jeher nicht der Rentenversicherungspflicht unterlägen. Die Klägerin legt in diesem Zusammenhang dar, dass der Senat bei seinem Vergleich beider Berufsbilder in dem Urteil vom 30. Januar 1997 (12 RK 31/96, SozR 3-2600 § 2 Nr 2 S 9) "von falschen Voraussetzungen ausgegangen" sei. In der bisherigen Rechtsprechung des Senats werde die vorbezeichnete Rechtsfrage nicht beantwortet.
1. Mit diesen Ausführungen hat die Klägerin nicht in der erforderlichen Weise dargetan, warum die von ihr aufgeworfene Frage nach dem oben genannten Urteil des Senats, auf das in späteren Entscheidungen verwiesen wird (Urteil vom 11. November 2003, B 12 RA 2/03 R, Die Beiträge Beilage 2004, 306; vgl ferner Urteil vom 23. November 2005, B 12 RA 13/04 R, SozR 4-2600 § 231 Nr 2 RdNr 13) klärungsbedürftig geblieben oder erneut klärungsbedürftig geworden ist. Ergeben sich hinsichtlich der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage Zweifel, so muss die Beschwerdebegründung im Einzelnen darlegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage umstritten ist. Wird die Neuinterpretation einer gesetzlichen Vorschrift durch die Gerichte für erforderlich gehalten, weil sich die der bisherigen Auslegung zu Grunde liegenden Lebensverhältnisse grundlegend gewandelt hätten, so müssen solche Umstände vorgetragen und ihre rechtlichen Konsequenzen in der Beschwerdebegründung erörtert werden. An solchen Darlegungen fehlt es. Weder hat die Klägerin vorgetragen, das Berufsbild des Physiotherapeuten habe sich allgemein entscheidend gewandelt, noch hat sie speziell die vom LSG in seinem Urteil (Seite 11) beschriebene Entwicklung des Ausbildungs- und Prüfungsrechts seit 1997 und den aktuellen Gesetzesstand zum Anlass genommen, einen solchen Wandel festzustellen. Der bloße Hinweis auf bestimmte Prüfungsanforderungen in § 14 Abs 1 Nr 3 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten, der im Übrigen seit Dezember 1994 unverändert gilt, genügt insoweit nicht.
2. Darüber hinaus und vor allem hat die Klägerin nicht dargelegt, warum die von ihr herausgestellte Frage in einem Revisionsverfahren rechtserheblich sein soll, es in dem zu entscheidenden Streitfall darauf ankommt. Zwar hat der Senat in seinem Urteil vom 30. Januar 1997 Ausführungen dazu gemacht, dass von selbstständigen Physiotherapeuten eine Gleichbehandlung mit selbstständigen Logopäden rentenversicherungsrechtlich nicht verlangt werden könne, und hierzu auf die Unterschiede im Berufsbild hingewiesen. Entsprechend hat das Berufungsgericht in seinem Urteil unter Hinweis auf die tatsächlichen Unterschiede in Ausbildung und Tätigkeit für "nicht erheblich" gehalten, "ob selbstständige Logopäden ebenfalls versicherungspflichtig in der Rentenversicherung sind". Der erkennende Senat hat in derselben Entscheidung indessen auch betont, dass von der rentenversicherungsrechtlichen Behandlung anderer Leistungserbringer auf das Nichtbestehen einer Versicherungspflicht bei dem seinerzeitigen Kläger nicht geschlossen werden könne (SozR 3-2600 § 2 Nr 2 S 9). Dem liegt die Ansicht des Senats zu Grunde, dass eine am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes gebotene Gleichstellung selbstständiger Physiotherapeuten mit versicherungsfreien Leistungserbringern nicht zwingend darin bestehen muss, selbstständige Physiotherapeuten von der Rentenversicherungspflicht auszunehmen, sondern auch darin bestehen kann, bisher versicherungsfreie Leistungserbringer in die Rentenversicherungspflicht einzubeziehen. Warum hier nur eine der genannten Lösungen, nämlich die für sie günstige Lösung in Betracht kommen soll, hat die Klägerin nicht dargelegt. Letztlich scheint auch sie die Entscheidungserheblichkeit der von ihr aufgeworfenen Frage zu bezweifeln, wenn sie auf Seite 4 ihrer Beschwerdebegründung ausführt, mit der Feststellung, dass die Ungleichbehandlung ... gegen Art 3 GG verstößt, würde die Feststellung der Versicherungspflicht der Klägerin "in Frage stehen".
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen, § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen