Verfahrensgang

SG München (Entscheidung vom 23.01.2020; Aktenzeichen S 27 BA 93/18)

Bayerisches LSG (Beschluss vom 05.04.2022; Aktenzeichen L 6 BA 34/20)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 5. April 2022 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 17 037,07 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Säumniszuschlägen für die Zeit 1.9.2008 bis 31.12.2010 in Höhe von insgesamt 17 037,07 Euro.

Der Kläger betreibt eine Firma zur Reinigung von Privathaushalten. Nachdem die Staatsanwaltschaft München ein Ermittlungsverfahren gemäß § 153 Abs 1 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt und den Vorgang an die Verwaltungsbehörde zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 43 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) abgegeben hatte, führte die Beklagte eine Betriebsprüfung nach § 28p Abs 1 SGB IV iVm § 2 Abs 2 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG) mit umfangreichen Befragungen durch. Nach den Aussagen der Mitarbeiter waren regelmäßige Einsatzzeiten vereinbart, innerhalb derer der Kläger die Einsatzorte und -zeiten bestimmte. Sie erhielten vom Kläger einen Stundenlohn von 8 Euro. Der Kläger rechnete gegenüber den Kunden ab. Putzmaterial und Reinigungsmittel wurden vor Ort zur Verfügung gestellt. Nach vorheriger Anhörung forderte die Beklagte Sozialversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge (Bescheid vom 13.2.2015; Widerspruchsbescheid vom 29.1.2018).

Das SG München hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 23.1.2020); die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben (Beschluss des Bayerischen LSG vom 5.4.2022). Das LSG hat ausgeführt, die Nachforderung der Sozialversicherungsbeiträge sei rechtmäßig, weil die Reinigungskräfte nach dem Gesamtbild ihrer Tätigkeit abhängig beschäftigt gewesen seien. Sie seien in die Arbeitsorganisation des Klägers eingebunden gewesen und hätten nach dessen Vorgaben gearbeitet. Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts sei auch bezüglich der Mitarbeiter nicht erforderlich gewesen, die im Feststellungsverfahren keine Angaben zu ihrer Tätigkeit gemacht hätten. Der Kläger habe mit diesen den gleichen Vertrag geschlossen und keine Unterschiede dargelegt. Die Beklagte habe auch die Säumniszuschläge rechtmäßig festgesetzt. Aufgrund des zumindest bedingt vorsätzlichen Handelns des Klägers könne weder eine unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht angenommen werden noch die Einrede der Verjährung durchgreifen.

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des LSG.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Der Kläger hat entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und der Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht hinreichend bezeichnet.

1. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass die angefochtene Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Die Beschwerdebegründung muss daher erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der in Bezug genommenen Entscheidung enthalten ist und welcher in der Entscheidung des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht. Dem wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht.

Der Kläger zitiert Folgendes aus der Berufungsentscheidung:

"Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist nach Abs. 2 der Norm ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er 'unverschuldet' keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte (...). Dafür ist es ausreichend, dass er seine Beitragspflicht für möglich gehalten hat und die Nichtabführung der Beiträge billigend in Kauf genommen hat."

Dem stellt er das Urteil des BSG vom 16.12.2015 (B 12 R 11/14 R - BSGE 120, 209 = SozR 4-2400 § 28p Nr 6 RdNr 65) gegenüber:

"Kenntnis von der Zahlungspflicht nach § 24 II SGB IV ist damit das sichere Wissen darum, rechtlich und tatsächlich zur Zahlung von Beiträgen verpflichtet zu sein."

Unter RdNr 68 der Entscheidung sei ausgeführt:

"Sie liegt bei einem nach § 28 e SGB IV zahlungspflichtigen Arbeitgeber vor, wenn er die seine Beitragsschuld begründenden Tatsachen kennt, weil er zumindest als Parallelwertung in der Laiensphäre nachvollzieht, dass einerseits Beschäftigung vorliegt, die andererseits die Beitragspflicht nach sich zieht. Das Wissen um die (bloße) Möglichkeit der Beitragserhebung steht dem sicheren Wissen um die rechtliche und tatsächliche Verpflichtung zur Beitragszahlung hingegen nicht gleich."

Unabhängig davon, dass sich diese Zitate den angegebenen Fundstellen wörtlich nicht entnehmen lassen - das BSG befasst sich lediglich mit vorsätzlich vorenthaltenen Beiträgen iS von § 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV -, zeigt der Kläger nicht auf, inwieweit die Aussagen vermeintlich in Widerspruch zueinander stehen sollen. Eine entsprechende Darlegung war aber zwingend veranlasst. Denn das BSG hat in der vom Kläger in Bezug genommenen Entscheidung unter RdNr 64 (unter Bezugnahme auf BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7 S 35 mwN) ausgeführt, dass für den Begriff "vorsätzlich" ausreichend sei, "dass der Beitragsschuldner seine Beitragspflicht nur für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat". Hiermit stimmt die angegriffene Entscheidung des LSG überein. Unter RdNr 65 des Urteils des BSG wird hingegen der Begriff "Kenntnis" erläutert und vorsätzliches Handeln von der "bewussten Fahrlässigkeit" abgegrenzt. Ein Widerspruch im Grundsätzlichen ist damit nicht hinreichend dargelegt.

Eine Divergenz abstrakter Rechtssätze wird auch nicht mit der vom Kläger geltend gemachten Rüge hinreichend dargelegt, das LSG habe nicht ausgeführt, "woraus es den bedingten Vorsatz des Klägers, die Beiträge nicht zahlen zu wollen", herleite. Damit wird im Kern lediglich die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall beanstandet, die aber die Zulassung der Revision nicht zu begründen vermag (stRspr; zB BSG Beschluss vom 29.4.2019 - B 12 R 59/18 B - juris RdNr 14).

2. Der Kläger hat auch einen Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet. Wird die Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt und darüber hinaus aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16, 16c mwN). Dabei ist zu beachten, dass ein Verfahrensmangel nicht auf die Verletzung der §§ 109, 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG) und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 3 SGG). Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

a) Der Kläger rügt eine Verletzung des § 153 Abs 4 SGG, weil das LSG durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden und damit gegen den Grundsatz der Mündlichkeit des Verfahrens und gegen die vorschriftsmäßige Gerichtsbesetzung verstoßen habe. Aus seinem Vorbringen wird allerdings eine Verletzung von § 153 Abs 4 SGG nicht erkennbar.

Nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG setzt eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung nicht die Zustimmung der Beteiligten, sondern lediglich deren vorherige Anhörung voraus. Eine unterbliebene oder fehlerhafte Anhörung ist weder dargelegt noch ersichtlich.

Das Berufungsgericht trifft die Entscheidung, ob es eine mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 SGG nicht für erforderlich hält, nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Beschwerdebegründung zeigt indes keine hinreichenden Gesichtspunkte für einen Ermessensfehler des LSG auf. Weshalb die Verfahrensdauer von mehr als zwei Jahren mit Blick auf eine anzustrebende Verfahrensbeschleunigung die Durchführung einer mündlichen Verhandlung geboten hätte, ist der Beschwerdebegründung nicht nachvollziehbar zu entnehmen. Ungeachtet dessen dürfte die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung die Verfahrensdauer regelmäßig verlängern. Die Frage, ob das Gericht seine Überzeugung nur aufgrund einer persönlichen Anhörung des Klägers bilden kann, ist im Rahmen der nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG eingeräumten freien Beweiswürdigung zu beantworten. Auf eine Verletzung dieser Vorschrift kann jedoch ein Verfahrensmangel zur Begründung der Zulassung der Revision nicht gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Unabhängig davon ist die Behauptung des Klägers, das Berufungsgericht hätte in der mündlichen Verhandlung Feststellungen über die unverschuldete fehlende Kenntnis von der Zahlungspflicht treffen können, nicht durch Tatsachen untermauert worden. Auch aus dem Vorbringen, das LSG habe im Fall der Berufungsrücknahme die Gewährung von Prozesskostenhilfe in Aussicht gestellt, wird weder die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung noch die Verletzung einer anderen Verfahrensvorschrift erkennbar.

b) Auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) ist nicht hinreichend bezeichnet. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Prozessgericht nicht, jedes Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden. Es hat (lediglich) die Darlegungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 25.3.2010 - 1 BvR 2446/09 - juris RdNr 11 mwN; BVerfG Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, 216). In der Beschwerdebegründung sind jedoch keine Umstände dargelegt, aus denen sich ergeben könnte, dass das LSG Ausführungen des Klägers nicht zur Kenntnis genommen oder in Erwägung gezogen haben könnte. Eine nicht mit der Ansicht des Klägers übereinstimmende rechtliche Wertung des LSG begründet keinen Gehörsverstoß.

Soweit der Kläger ausführt, er habe auf Unterschiede zwischen den Mitarbeitern hingewiesen und Reinigungsmittel sowie Putzmaterial seien von Kunden zur Verfügung gestellt worden, lässt sich seinen Darlegungen ein vom Berufungsgericht nicht zur Kenntnis genommener entscheidungserheblicher Tatsachenvortrag nicht hinreichend entnehmen. Er bestätigt vielmehr im Kern den vom LSG festgestellten Sachverhalt, wonach bei allen Mitarbeitern der gleiche Vertrag zugrunde gelegen habe und gleiche Abrechnungen erstellt worden seien. Das Vorbringen, die Aussagen der Mitarbeiter im Anhörungsbogen seien nicht verwertbar, betrifft lediglich die Würdigung von Tatsachen, die nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG allein dem Gericht obliegt und - wie bereits ausgeführt wurde - mit der Beschwerde nicht gerügt werden kann.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 und 3 und § 162 Abs 3 VwGO.

5. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 1 und Abs 3, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG.

Heinz

Beck

Waßer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15641148

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