Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. absoluter Revisionsgrund. Gewährung rechtlichen Gehörs. unangemessen kurze Anhörungsfrist nach § 153 Abs 4 S 2 SGG. Berücksichtigung des Vorbringens eines Beteiligten nach Fristablauf. Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung
Leitsatz (amtlich)
Eine unangemessen kurze Frist zur Stellungnahme nach § 153 Abs 4 S 2 SGG ist grundsätzlich nicht wie ein absoluter Revisionsgrund zu behandeln, bei dem die Kausalität für die angefochtene Entscheidung unterstellt wird (Abgrenzung zu BSG vom 24.4.2008 - B 9 SB 78/07 B = SozR 4-1500 § 158 Nr 3).
Orientierungssatz
1. Eine Anhörungsfrist muss so bemessen sein, dass dem Betroffenen ausreichend Zeit zur Einholung rechtlichen und ggf. medizinischen Rats sowie zur Abfassung seiner Äußerung bleibt. In der Regel darf eine Äußerungsfrist von zwei Wochen - ohne die Anrechnung von Postlaufzeiten - nicht unterschritten werden.
2. Das Gericht ist verpflichtet, Vorbringen der Beteiligten, das nach Fristablauf bei Gericht eingeht, zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, indem es den Vorgang der Ausfertigung und die Absendung des noch intern gebliebenen Beschlusses anhält und erneut über die Sache berät.
3. Die Entscheidung, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 S 1 SGG zurückzuweisen, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts und kann nur auf fehlerhaften Gebrauch, d.h. sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzung überprüft werden.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 153 Abs. 4 Sätze 1-2, § 128 Abs. 1 S. 1, §§ 62, 33; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1; SGB 10 § 24 Abs. 1
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Beschluss vom 30.07.2007; Aktenzeichen L 14 R 717/06) |
SG Landshut (Urteil vom 09.08.2006; Aktenzeichen S 7 R 1513/05 A) |
Tatbestand
In einem Rechtsstreit um eine Rente wegen Erwerbsminderung begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen angeblicher Verfahrensfehler.
Der 1948 geborene, in Serbien lebende Kläger ist gelernter Elektriker. Er war in Deutschland in der Zeit von April 1970 bis Dezember 1974 versicherungspflichtig als Elektriker und Elektroinstallateur beschäftigt. In Serbien legte er weitere Versicherungszeiten, zuletzt bis November 2001 zurück. Seit 14.1.2002 bezieht er daraus eine Invalidenpension.
Den ersten in Deutschland am 10.7.2002 gestellten Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25.3.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.4.2005 ab. Den hiergegen gerichteten "Widerspruch" des Klägers bewertete die Beklagte als Überprüfungsantrag iS von § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), den sie mit Bescheid vom 3.8.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.11.2005 ebenfalls ablehnte.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Landshut (SG) nach Einholung des Gutachtens des Arztes für Neurologie Dr. P. vom 7.8.2006 und des Gutachtens des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. Z. ebenfalls vom 7.8.2006 mit Urteil vom 9.8.2006 abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Kläger weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Ebenso wenig könne er eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit beanspruchen. Für einen im Jahre 2006 eingetretenen Leistungsfall der Berufsunfähigkeit lägen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr vor. Diese habe der Kläger zuletzt im Dezember 2003 erfüllt. Zu diesem Zeitpunkt sei ihm ausweislich der Begutachtung durch die ärztliche Gutachterstelle der Beklagten eine Tätigkeit als Elektriker noch zumutbar gewesen.
Im Laufe des Berufungsverfahrens führte die Beklagte nach Einholung einer Stellungnahme ihres ärztlichen Dienstes und unter Bezugnahme auf das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (LSG) vom 14.12.2006 - L 6 RJ 53/03 - aus, der Kläger sei im Monat Oktober 2003, in dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zuletzt erfüllt gewesen seien, noch in der Lage gewesen, eine Tätigkeit als Verdrahtungs- bzw Montageelektriker zu verrichten.
Mit Schreiben vom 9.7.2007 - zur Post gegeben am 10.7.2007 - hat das LSG den Kläger darauf hingewiesen, dass es für den geltend gemachten Rentenanspruch auf seinen aktuellen Gesundheitszustand nicht ankomme, sodass die von ihm eingereichten Unterlagen - der radiologische und der elektromyografische Befund aus 2006 sowie die beiden Befunde vom 27.4.2007 - keine Berücksichtigung finden könnten. Die für den geltend gemachten Rentenanspruch erforderlichen besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hätten zuletzt Ende 2003 vorgelegen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger nicht erwerbsgemindert und auch nicht berufsunfähig gewesen, da ihm zB leichtere körperliche Tätigkeiten eines Verdrahtungs- und Montageelektrikers noch möglich gewesen seien. Bei dieser Sachlage halte der Senat die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil nicht für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Es sei beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen. Es bestehe Gelegenheit zur Stellungnahme bis 30.7.2007. Mit Beschluss von diesem Tag hat das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der Beschluss ist am 2.8.2007 abgesandt und der Beklagten am 3.8.2007 zugestellt worden.
Am 6.8.2007 ist beim LSG das Schreiben des Klägers vom 26.7.2007 eingegangen, mit dem er zum Schreiben des LSG vom 9.7.2007 Stellung nimmt. Zum einen hat der Kläger in diesem Schreiben sein Unverständnis darüber geäußert, dass die radiologischen und elektromyo- grafischen Befunde aus dem Jahre 2006 und die Befunde vom 27.4.2007 nicht berücksichtigt würden. Falls das Gericht Zweifel an seinem Gesundheitszustand habe, sei er bereit, sich in Deutschland von Fachärzten untersuchen zu lassen. Des Weiteren hat der Kläger darauf hingewiesen, dass er als Elektriker tätig gewesen sei, diesen Beruf schon lange nicht mehr ausübe und aus gesundheitlichen Gründen auch nicht in der Lage sei, zwei Stunden täglich zu arbeiten.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss vom 30.7.2007 hat der Kläger Beschwerde beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegt. Er beruft sich auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Beschwerde des Klägers ist nicht begründet.
Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensfehler vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Zwar hat das LSG einen Verfahrensfehler begangen; dieser ist jedoch nicht kausal für die angefochtene Entscheidung.
Das LSG hat § 153 Abs 4 Satz 2 SGG verletzt, nach dem die Beteiligten vor Erlass eines Beschlusses nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG zu hören sind. Der Verstoß des Berufungsgerichts gegen diese Verfahrensvorschrift liegt darin, dass es dem Kläger eine unangemessen kurze Frist zur Stellungnahme auf das gerichtliche Schreiben vom 9.7.2007 gesetzt und diese zudem nicht eingehalten hat.
Zwar schreibt § 153 Abs 4 Satz 2 SGG nicht vor, dass das Gericht eine Frist zur Stellungnahme zu bestimmen hat noch welche Frist zumindest einzuräumen wäre (BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 6) . Wird den Beteiligten jedoch ausdrücklich eine Frist vorgegeben, muss diese so ausreichend bemessen sein, dass der Betroffene auch tatsächlich die Chance hat, sich vor der Entscheidung des Gerichts zu äußern. Andernfalls setzt sich das Gericht in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten und verletzt das aus Art 2 Abs 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende allgemeine verfassungsrechtliche Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren (vgl BVerfGK 3, 169, 172 f = NJW 2004, 2149, 2150 im Rahmen prozessualer Hinweispflichten; BVerfG NJW 1996, 3202 mwN) . Aus diesem ergibt sich des Weiteren, dass das Gericht verpflichtet ist, die selbst gesetzte Frist einzuhalten (vgl BVerfG vom 24.10.1991 - 1 BvR 604/90 - Juris RdNr 16 mwN) .
Die dem Kläger vom LSG eingeräumte Frist zur Stellungnahme war unangemessen kurz.
Welche Frist als angemessen zu gelten hat, wenn das Gericht von der durch § 153 Abs 4 Satz 2 SGG eingeräumten Möglichkeit zur Fristsetzung Gebrauch macht, hat das BSG - soweit ersichtlich - bisher nicht entschieden; der Beschluss vom 31.3.2004 (B 4 RA 203/03 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 6 RdNr 9) hält zwar eine Frist von zwei Wochen regelmäßig für angemessen, beruht aber nicht auf dieser Erwägung. Ohne Fristsetzung durch das LSG hat das BSG in Anlehnung an eine Reihe von Verfahrensvorschriften einen Verfahrensfehler verneint, wenn dem Beteiligten tatsächlich ein Monat zur Verfügung stand (BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 8; vgl aber BSG vom 22.6.1998 - B 12 KR 85/97 B - Juris RdNr 14: drei Wochen) . Im Zusammenhang mit der Anhörungspflicht im Verwaltungsverfahren nach § 24 Abs 1 SGB X hält die Rechtsprechung zwei Wochen zuzüglich Postlaufzeiten für angemessen (BSGE 71, 104, 106 f = SozR 3-1300 § 24 Nr 7 S 22 ff) ; ein früheres Urteil spricht von "regelmäßig zwei Wochen" (BSG SozR 1200 § 34 Nr 12 S 54; im Ergebnis ebenso: BSG SozR 1300 § 24 Nr 4) . Diese Rechtsprechung geht übereinstimmend davon aus, dass sich die Angemessenheit nach den Umständen des Einzelfalls richtet. Der Senat sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass im Zusammenhang der Anhörung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG andere Grundsätze gelten sollen als im Rahmen von § 24 Abs 1 SGB X.
Danach muss eine Anhörungsfrist so bemessen sein, dass dem Betroffenen ausreichend Zeit zur Einholung rechtlichen und ggf medizinischen Rats sowie zur Abfassung seiner Äußerung bleibt. Insbesondere wenn auch zu medizinischen Umständen angehört werden soll, darf eine Äußerungsfrist von zwei Wochen - verstanden als Zeitspanne zwischen dem Eingang des Anhörungsschreibens beim Betroffenen und der Absendung seiner Stellungnahme, also ohne Anrechnung der Postlaufzeiten - in der Regel nicht unterschritten werden. Dabei bleibt es dem Berufungsgericht überlassen, ob es dem Betroffenen im Anhörungsschreiben ein bestimmtes Datum vorgibt, das mindestens zwei Wochen zuzüglich der Postlaufzeiten (zum und vom Betroffenen) nach dem Datum der Absendung des Anhörungsschreibens beim Gericht zu liegen hätte, oder ob es dem Betroffenen eine Äußerungsfrist setzt, die mit dem Empfang des Anhörungsschreibens beginnt und die geschätzte Postlaufzeit des Antwortschreibens mit einschließt oder dessen Absendung innerhalb von zwei Wochen ausreichen lässt (zum Ganzen nochmals BSGE 71, 104, 106 f = SozR 3-1300 § 24 Nr 7 S 23; vgl auch BSG SozR 1300 § 24 Nr 4 S 8; BSG SozR 1200 § 34 Nr 12 S 54) .
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe war die dem Kläger gesetzte Anhörungsfrist von lediglich drei Wochen ab der Fertigung des Anhörungsschreibens zu kurz. Angesichts der Postlaufzeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Serbien von hier sechs bzw elf Tagen blieb dem Kläger lediglich eine Zeitspanne von deutlich weniger als einer Woche zur Abgabe einer Äußerung.
Zudem hat das LSG auch insoweit verfahrensfehlerhaft gehandelt, als es vor Ablauf der Frist, die am 30.7.2007 um 24 Uhr endete, entschieden hat.
Trotz dieser Verfahrensverstöße hat die Beschwerde keinen Erfolg. Denn die Entscheidung des LSG kann auf der Verletzung des § 153 Abs 4 Satz 2 SGG nicht beruhen.
Anders als die Verletzung von § 153 Abs 4 Satz 1 SGG ist diejenige von Satz 2 nicht ohne Weiteres wie ein absoluter Revisionsgrund zu behandeln, bei dem unwiderleglich vermutet wird, dass die Entscheidung auf dem Verfahrensverstoß beruht. Hat das LSG aus sachfremden Erwägungen oder aufgrund grober Fehleinschätzung die Voraussetzungen von § 153 Abs 4 Satz 1 SGG bejaht, sodass der Verzicht auf die mündliche Verhandlung unter keinen Umständen zu rechtfertigen ist, bedarf es keiner Prüfung, ob die Entscheidung ohne den Fehler hätte anders ausfallen können (vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13) ; ähnliche Erwägungen mögen gelten, wenn das Berufungsgericht irrtümlich meint, durch Beschluss nach § 158 Satz 2 SGG entscheiden zu dürfen (BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 2) . Demgegenüber ist die nicht ordnungsgemäß durchgeführte Anhörung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG in erster Linie eine Gehörsverletzung, deren Kausalität für die angegriffene Entscheidung auch in anderen Fällen nicht ohne Weiteres zu unterstellen ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9. Aufl 2008, § 153 RdNr 23 mit Verweis auf § 62 RdNr 11) . Denn eine unangemessen kurze Anhörungsfrist lässt die in Satz 1 des § 153 Abs 4 SGG festgelegten Voraussetzungen für die Befugnis des LSG nicht zwangsläufig entfallen, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden. Davon kann allenfalls dann die Rede sein, wenn die zu kurze Frist den Betroffenen an Vorbringen hindert, welches das LSG eigentlich hätte veranlassen müssen, vom Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG Abstand zu nehmen (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 5) . Solches müsste jedoch spätestens mit der Nichtzulassungsbeschwerde vorgetragen werden. Der Senat lässt offen, ob besondere Umstände - etwa wenn das Anhörungsschreiben den Beteiligten gar nicht erreicht (vgl BSG vom 8.11.2001 - B 11 AL 37/01 R) oder wenn die erforderliche Anhörung ganz unterlassen wird (vgl BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 3) - die unzulängliche Anhörung in vergleichbarem Licht erscheinen lassen können wie beispielsweise die unterlassene Mitteilung des Termins zur mündlichen Verhandlung oder das fehlende Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, bei denen ein Einfluss auf die Entscheidung ähnlich wie bei einem absoluten Revisionsgrund regelmäßig unterstellt wird (vgl ausführlich BSGE 53, 83, 85 = SozR 1500 § 124 Nr 7 mwN; BSG vom 25.03.2003 - B 7 AL 76/02 R) . Bei einer zu kurzen Anhörungsfrist, die wie hier lediglich dazu führt, dass das Gericht weiteres Vorbringen nicht mehr berücksichtigt, müssen demgegenüber dieselben Grundsätze wie bei sonstigem übergangenen Vortrag gelten. Danach läge im vorliegenden Fall ein relevanter Verfahrensfehler nur dann vor, wenn ein Einfluss des nicht zur Kenntnis genommenen Vorbringens auf die Entscheidung möglich erscheint (vgl BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 4 RdNr 19 mwN) .
Hätte das LSG dem Kläger eine angemessene Frist - beispielsweise von einem Monat ab Erhalt des Anhörungsschreibens - gesetzt und diese Frist auch eingehalten, hätte es das Schreiben des Klägers vom 26.7.2007 - eingegangen am 6.8.2007 - vor der Entscheidung zur Kenntnis genommen, wäre aber nicht gehalten gewesen, weitere Ermittlungen vorzunehmen. Auch wäre das Berufungsgericht bei den hier vorliegenden Umständen nicht verpflichtet gewesen, den Kläger erneut anzuhören.
Der Kläger hat mit Schreiben vom 26.7.2007 sein Unverständnis darüber geäußert, warum die radiologischen und elektromyografischen Befunde aus 2006 sowie die Befunde vom 27.4.2007 nicht berücksichtigt würden und eine fachärztliche Untersuchung in Deutschland angeboten für den Fall, dass das LSG Zweifel an seinem Gesundheitszustand haben sollte. Sinngemäß hat der Kläger eine medizinische Begutachtung zur Feststellung seines aktuellen Gesundheitszustandes beantragt. Nach den Feststellungen des LSG haben jedoch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den vom Kläger begehrten Rentenanspruch zuletzt im November 2003 vorgelegen. Danach kommt es auf den aktuellen Gesundheitszustand des Klägers im Rahmen des Rentenverfahrens nicht an. Hierauf hatte das LSG den Kläger im Anhörungsschreiben vom 9.7.2007 ausführlich hingewiesen und ihm gleichzeitig erklärt, dass aus diesem Grund die neueren Befunde keine Beachtung finden könnten. Der Beweisantrag des Klägers war daher - für ihn erkennbar - rechtlich unerheblich und seine Frage nach der Relevanz aktueller Befunde bereits beantwortet. Bei dieser Verfahrenslage war das LSG nicht gehalten, durch weitere Ermittlungen bzw eine Vorabentscheidung über die Durchführung der beantragten Beweisaufnahme auf das Vorbringen des Klägers im Wege einer zweiten Anhörung einzugehen (vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 4 S 13 mwN) .Ein nochmaliges Anhörungsschreiben hätte sich in der Wiederholung des ersten Anhörungsschreibens erschöpft. Bei den geschilderten Umständen konnte ein verständiger Kläger auch nicht davon ausgehen, das Tatsachengericht werde seine Absicht aufgeben, über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, und dem gestellten Beweisantrag nachgehen. Sonstige weitere Sachaufklärung hat der Kläger im Schreiben vom 26.7.2007 nicht begehrt. Auch für anderweitigen Vortrag, der die Vorgehensweise oder die Entscheidung des LSG hätte in Frage stellen können, bietet die Beschwerdebegründung keine Anhaltspunkte.
Der Kläger sieht § 153 Abs 4 Satz 2 SGG und seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) des Weiteren dadurch verletzt, dass das LSG die Zustellung des bereits gefassten Beschlusses nach Eingang seines Schreibens vom 26.7.2007 nicht verhindert habe.
Dieser Verfahrensverstoß liegt nicht vor. Zwar ist dem Kläger darin zuzustimmen, dass das Gericht verpflichtet ist, Vorbringen der Beteiligten, das nach Fristablauf bei Gericht eingeht, zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, indem es den Vorgang der Ausfertigung und Absendung des noch intern gebliebenen Beschlusses anhält und erneut über die Sache berät (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 9 mwN; BSG SozR 4-1500 § 154 Nr 2) . Dies war dem LSG im vorliegenden Fall jedoch nicht möglich.
Das Schreiben des Klägers vom 26.7.2007 ist bei Gericht am 6.8.2007 eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt war der Beschluss vom 30.7.2007 der Beklagten bereits zugestellt; diese hat den Beschluss ausweislich ihres Empfangsbekenntnisses am 3.8.2007 erhalten. Damit ist der Beschluss vom 30.7.2007 (spätestens) an diesem Tag wirksam (vgl hierzu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 133 RdNr 2a) und gemäß § 202 SGG iVm § 318 Zivilprozessordnung für das LSG bindend geworden.
Der Kläger rügt ferner eine Verletzung des § 153 Abs 4 Satz 1 SGG und einen Verstoß gegen § 33 SGG. Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im Beschlussverfahren sei unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu rechtfertigen. Das LSG habe daher nicht ohne ehrenamtliche Richter entscheiden dürfen, sodass der Berufungssenat nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei.
Zu diesem Vorwurf trägt der Kläger im Einzelnen vor: Das LSG habe mit Schreiben an die Beklagte vom 1.2.2007 ausdrücklich mitgeteilt, dass es das Urteil des SG als teilweise unzutreffend ansehe. Auch habe es offensichtlich keine Zweifel an den Ausführungen der erstinstanzlichen Gutachter Dr. Z. und Dr. P. gehabt. So führe es im Tatbestand des Beschlusses vom 30.7.2007 selbst aus, dass der Gutachter Dr. P. die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit des Klägers als eingeschränkt sehe, sodass diesem Tätigkeiten nicht mehr möglich seien, die eine mehrmonatige Anlernphase erforderten. Trotzdem habe das LSG dem Kläger im Anhörungsschreiben mitgeteilt, dass Berufsunfähigkeit nicht gegeben sei, da er auf die Tätigkeit eines Verdrahtungs- und Montageelektrikers verwiesen werden könne. Nach dem Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 14.12.2006 - L 6 RJ 53/03, auf das sich die Beklagte berufen habe, seien für die Einarbeitung in die Tätigkeit eines Verdrahtungs- und Montageelektrikers mehrere Monate und damit eine ausreichende Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit notwendig. Über diese verfüge der Kläger ausweislich des Gutachtens des Dr. P. spätestens im Jahr 2006 nicht mehr. Das LSG habe demnach selbst einen Teil der Feststellungen des SG infrage gestellt und neue Erwägungen in den Rechtsstreit eingebracht. Mit den Beteiligten hätte daher erörtert werden müssen, dass und warum das Berufungsgericht eine weitere Sachaufklärung trotz der von ihm selbst eingeführten neuen Erwägungen nicht für erforderlich halte.
Die Entscheidung, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 SGG zurückzuweisen, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts und kann nur auf fehlerhaften Gebrauch, dh sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzung überprüft werden (BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 38) . Entgegen der Ansicht des Klägers ist ein Ermessensfehlgebrauch des LSG im obigen Sinn nicht feststellbar. Insbesondere sind die vom Kläger angesprochenen Tatsachenfragen nicht ungeklärt geblieben. Mit Schreiben vom 30.1.2007 - abgesandt am 1.2.2007 - hat das LSG die Beklagte darauf hingewiesen, dass das erstinstanzliche Urteil insoweit teilweise unzutreffend gewesen sei, als es von einem verbliebenen Leistungsvermögen des Klägers für mittelschwere Arbeiten noch im Dezember 2003 ausgegangen sei. Insoweit setze sich das SG über die eindeutigen Aussagen der gerichtlichen Gutachter Dr. P. und Dr. Z. hinweg, die seit vielen Jahren unverändert bestehende Gesundheitsstörungen des Klägers mit Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit auf leichte Arbeiten unter Beachtung weiterer qualitativer Einschränkungen festgestellt hätten. Es werde um eine Stellungnahme des ärztlichen Dienstes der Beklagten zu den bisher eingeholten Gutachten gebeten und um eine nochmalige sozialmedizinische Leistungsbeurteilung für die Zeit ab Antragstellung, ferner um eine berufsbezogene Stellungnahme zu den in Deutschland verrichteten Tätigkeiten des Klägers und in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten. Nach Einholung einer erneuten sozialmedizinischen Stellungnahme ihres sozialärztlichen Dienstes teilte die Beklagte dem Gericht mit, das Leistungsvermögen des Klägers sei bereits ab Juli 2002 auf lediglich leichte Arbeiten unter Berücksichtigung verschiedener qualitativer Einschränkungen begrenzt. Er sei noch im Oktober 2003 in der Lage gewesen, eine Tätigkeit als Verdrahtungs- bzw Montageelektriker zu verrichten. Auf das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 14.12.2006 - L 6 RJ 53/03 - werde insoweit Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 23.2.2007 hat das LSG dem Kläger den Schriftsatz der Beklagten vom 15.2.2007 übersandt. Ferner hat es ausdrücklich ausgeführt, dass entgegen den Feststellungen des Erstgerichts auf Seite 8 des angefochtenen Urteils auch im Jahre 2003 nur noch von einem verbliebenen Leistungsvermögen für leichte Arbeiten auszugehen sei. Damit war - auch für den Kläger erkennbar - der Grad der Einschränkung seines Leistungsvermögens und der Umfang der Unrichtigkeit des erstinstanzlichen Urteils aus Sicht des LSG geklärt.
Zu Unrecht macht der Kläger ferner geltend, das LSG habe keine Zweifel an den Ausführungen der Sachverständigen Dr. Z. und Dr. P. gehabt. Bezüglich der Ausführungen des Sachverständigen Dr. P. zur fehlenden Umstellungsfähigkeit des Klägers hat das Berufungsgericht in den Gründen seiner Entscheidung vielmehr ausgeführt: Die Umstellungsfähigkeit des Klägers sei nach Auffassung des Dr. P. in seinem Gutachten von August 2006 zwar geringfügig eingeschränkt, diese Aussage könne sich aber nicht auf Tätigkeiten des bisherigen Berufskreises (Elektriker) beziehen; darüber hinaus sei eine echte massive Einschränkung angesichts des von Dr. P. bei seiner Untersuchung erhobenen im Wesentlichen unauffälligen psychischen und neurologischen Befundes nicht schlüssig dargelegt, zumal eine solche auch von keinem anderen der mit dem Fall befassten Gutachter erwähnt werde. Aus der Sicht des LSG war daher die Frage der Umstellungsfähigkeit des Klägers nach den eingeholten Gutachten geklärt. Dabei unterliegt die Würdigung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. P. durch das LSG nicht der Prüfung durch den Senat. Denn gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann eine Beschwerde nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden. Das LSG war auch nicht verpflichtet, den Kläger vor der Entscheidung auf die beabsichtigte Beweiswürdigung hinzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2149297 |
NJW-RR 2010, 282 |
NZS 2009, 701 |