Verfahrensgang
Sächsisches LSG (Beschluss vom 08.06.2017; Aktenzeichen L 1 KR 188/14) |
SG Dresden (Entscheidung vom 28.05.2014; Aktenzeichen S 15 KR 559/13) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichts vom 8. Juni 2017 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin S., D., beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichts vom 8. Juni 2017 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger ist mit seinem Begehren - zuletzt - auf Zusage, zu beziffernde Kosten eines herzchirurgischen Eingriffs in London, einem Herzzentrum im EU-Ausland oder in den USA bis zur Höhe der Kosten einer vergleichbaren Operation in Deutschland auf dem Kostenniveau zum Zeitpunkt des Eingriffs über den anerkannten Betrag von 27 453,22 Euro hinaus zu übernehmen, in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung ua ausgeführt, die Klage sei entsprechend dem SG-Urteil unzulässig. Zum einen fehle das Rechtsschutzbedürfnis, zum anderen handele es sich um eine nicht sachdienliche und daher unzulässige Klageänderung. Der Kläger habe seinen Antrag aus dem Jahre 2003 auf Kostenübernahme für einen konkret benannten und geplanten komplexen kardiochirurgischen Eingriff in einer bestimmten Londoner Klinik nach dem Anerkenntnis der Beklagten nicht weiterverfolgt und insofern seine Klage zurückgenommen. Über das Begehren auf Anpassung des anerkannten Betrages habe die Beklagte bisher nicht entschieden. Für einen Anspruch auf Kostenübernahme einer Behandlung in einem anderen Krankenhaus im EU-Ausland fehle es an einem Antrag, der der Beklagten die Prüfung ermögliche, ob er die gleiche Behandlung rechtzeitig bei einem Leistungserbringer im Inland erlangen könne. Entsprechendes gelte, soweit der Kläger Kostenübernahme für eine Operation in den USA begehre (Beschluss vom 8.6.2017).
Der Kläger begehrt, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seiner Rechtsanwältin zu bewilligen sowie auf seine Beschwerde die Revision gegen den LSG-Beschluss zuzulassen.
II
Die Bewilligung von PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen (dazu 1.), die Beschwerde des Klägers ist zu verwerfen (dazu 2.).
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte PKH unter Beiordnung seiner anwaltlichen Bevollmächtigten. Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn - ua - die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es. Der Kläger kann aller Voraussicht nach mit seinem Begehren auf Zulassung der Revision nicht durchdringen, weil es keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Sein nach Einlegung und Begründung der Beschwerde sowie nach deren Fristablauf sinngemäß gestelltes und hierauf bezogenes Gesuch gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass er einen der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte. Denn die Beschwerde ist unzulässig (vgl 2.).
2. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes des Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Der Kläger richtet sein Vorbringen hieran nicht aus.
a) Der Kläger rügt eine Verletzung des § 153 Abs 4 SGG. Das LSG habe seine Entscheidung nicht durch Beschluss ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung treffen dürfen. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, nach § 153 Abs 4 SGG vorzugehen, steht in dessen pflichtgemäßem Ermessen ("kann"). Sie wird daher vom BSG nur darauf überprüft, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht hat, also ob etwa der Beurteilung sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde liegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 4; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 38; BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 27; BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 14 RdNr 9). Das Vorliegen einer groben Fehleinschätzung ist anhand der gesamten Umstände des Falles zu beurteilen. Dabei kommt es vor allem auch darauf an, ob die Funktion und Bedeutung der mündlichen Verhandlung als "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens berücksichtigt worden ist (vgl BSG Beschluss vom 14.11.2013 - B 9 SB 31/13 B - Juris RdNr 7). Nur wenn die Sach- und Rechtslage eine mündliche Erörterung mit den Beteiligten überflüssig erscheinen lässt und das Gericht nur noch darüber zu befinden hat, wie das Gesamtergebnis des Verfahrens gemäß § 128 SGG zu würdigen und rechtlich zu beurteilen ist, ist das Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG sinnvoll (vgl BSGE 44, 292, 293 = SozR 1500 § 124 Nr 2 S 2). Nicht erforderlich ist eine mündliche Verhandlung nur dann, wenn der Sachverhalt umfassend ermittelt worden ist, sodass Tatsachenfragen in einer mündlichen Verhandlung nicht mehr geklärt werden müssen, oder wenn etwa im Berufungsverfahren lediglich der erstinstanzliche Vortrag wiederholt wird. Diese Funktion und Bedeutung der mündlichen Verhandlung muss das Berufungsgericht auch bei seiner Entscheidung berücksichtigen, ob es im vereinfachten Verfahren gemäß § 153 Abs 4 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden will. Demgemäß sind für diese Ermessensentscheidung die Schwierigkeit des Falles und die Bedeutung von Tatsachenfragen relevant. Ist bei Abwägung aller danach zu berücksichtigenden Umstände die Wahl des vereinfachten Verfahrens ohne mündliche Verhandlung gegen den ausdrücklichen Willen eines Beteiligten unter keinen Umständen zu rechtfertigen, liegt eine grobe Fehleinschätzung im obigen Sinne vor (vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 38; BSG Beschluss vom 11.12.2002 - B 6 KA 13/02 B - Juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 27.12.2011 - B 13 R 253/11 B - Juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 2.7.2015 - B 1 KR 15/15 B - RdNr 15).
Der Kläger trägt zwar vor, dass die Entscheidung im Beschlusswege gegen seinen im Berufungsverfahren ausdrücklich geäußerten Willen ergangen sei. Er zeigt aber keine grobe Fehleinschätzung des LSG auf. Er legt nicht dar, dass das LSG wegen neuer Tatsachen oder wesentlicher neuer rechtlicher Gesichtspunkte im Berufungsrechtszug verpflichtet gewesen wäre, mit dem Kläger mündlich zu verhandeln. Die lange Dauer des Verfahrens begründet für sich allein genommen keine Ermessensreduzierung auf Null (zur fehlenden zeitlichen Begrenzung für den Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 2). Es müssen vielmehr weitere Umstände hinzukommen, welche die Einschätzung des LSG grob fehlerhaft erscheinen lassen (vgl zB die Beibringung zahlreicher medizinischer Erkenntnisse von den Beteiligten und die Einholung umfangreicher medizinischer Sachverständigengutachten, BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 39). Der Kläger legt mit seinem Vorbringen keine Unklarheiten über den von ihm verfolgten Anspruch dar. Er setzt sich auch nicht damit auseinander, weshalb das LSG eine (erneute) mündliche Verhandlung für erforderlich halten musste, obwohl er seit Januar 2016 im Berufungsverfahren anwaltlich vertreten war und weder nach dem - auf das SG-Urteil Bezug nehmenden - ablehnenden PKH-Beschluss des LSG vom 18.10.2016 noch auf die Anhörung zur beabsichtigten Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG vom 3.5.2017 seine Berufung näher begründet hat.
b) Soweit der Kläger als Verfahrensfehler sinngemäß rügt, das LSG habe zu Unrecht nicht in der Sache entschieden, sondern ein Prozessurteil gefällt, legt er dies ebenfalls nicht hinreichend dar (vgl zum Verfahrensfehler infolge einer zu Unrecht erfolgten oder unterlassenen Sachentscheidung BSGE 39, 200, 201 = SozR 1500 § 144 Nr 3; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 16; BSG Urteil vom 25.6.2002 - B 11 AL 23/02 R - Juris RdNr 20; BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 2 RdNr 6; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 19 RdNr 6; BSG Beschluss vom 4.3.2014 - B 1 KR 43/13 B - Juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 23.6.2015 - B 1 KR 18/15 B - Juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 8.9.2015 - B 1 KR 19/15 B - Juris RdNr 5). Zwar kann ein fortwirkender Verfahrensmangel vorliegen, wenn anstelle eines erstinstanzlichen Prozessurteils eine Sachentscheidung hätte ergehen müssen und auch das LSG lediglich das Prozessurteil des SG bestätigt hat (vgl BSG SozR 3-1500 § 73 Nr 10 S 31; BSG Beschluss vom 23.6.2015 - B 1 KR 18/15 B - Juris RdNr 6). Hierzu muss der Beschwerdeführer schlüssig darlegen, worin die unrichtige Beurteilung der Sachurteilsvoraussetzungen liegt, und die entsprechenden Tatsachen angeben (vgl BSG Beschluss vom 9.9.2013 - B 12 R 64/12 B - Juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 13 R 140/17 B - Juris RdNr 6; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 661 f). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Sie zieht selbst nicht in Zweifel, dass der Kläger sein ursprüngliches Begehren auf Übernahme der Kosten für einen konkret benannten und geplanten kardiochirurgischen Eingriff in einer speziellen Londoner Klinik nicht weiterverfolgt, sondern nun eine Verpflichtung der Beklagten zur Anpassung des von ihr für die spezifische Operation anerkannten Betrages auf das Kostenniveau einer zukünftig - in der Londoner Klinik oder in einer anderen Klinik im EU-Raum - durchzuführenden, nicht konkret umschriebenen Operation erstrebt. Der Kläger legt nicht schlüssig dar, wieso der Wechsel des Klageziels keine unzulässige Klageänderung sein soll. Auch legt er zur Begründung eines Rechtsschutzbedürfnisses nicht dar, wieso er gegen die Beklagte, die den Anspruch auf Kostenerstattung nach Inlandssätzen bei einer erforderlichen Operation im EU-Ausland dem Grunde nach nicht in Abrede stellt, überhaupt einen solchen vorbeugenden Anspruch haben könnte, obwohl die erstrebte vorsorgliche Bezifferung eines konkreten Zahlbetrags ohne genaue Kenntnis einer erforderlichen Operation nicht möglich ist und für ein entsprechendes vorbeugendes Feststellungsbegehren ein berechtigtes Interesse - schon mangels eines Anhalts für eine beabsichtigte baldige Verwirklichung einer Operation - nicht erkennbar wäre. Ebenso legt er nicht schlüssig dar, wieso die beim LSG geltend gemachte Kostenübernahme in Höhe der deutschen Sätze für eine nicht spezifizierte Operation in den USA eine zulässige Klageänderung sein soll.
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI11576482 |