Leitsatz (amtlich)
Die in der Entscheidung des Großen Senats (BSG 1957-11-21 GS 1/57 = BSGE 6, 120; SozR Nr 93 zu § 162 SGG) getroffene Auslegung des SGG § 162 Abs 1 Nr 3 ist sinngemäß auch bei Streitigkeiten in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung anzuwenden. Danach betrifft diese Vorschrift auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung nicht eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Schädigung (schädigendes Ereignis oder schädigende Einwirkung) mit einer militärischen Dienstverrichtung oder einer der übrigen in den BVG §§ 1 bis 5 aufgeführten Tatbestände. Vielmehr wird von ihr lediglich der ursächliche Zusammenhang zwischen einer Schädigung und einer Gesundheitsstörung (Tod) erfaßt.
Normenkette
BVG §§ 4-5, 2-3; SGG § 162 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1953-09-03; BVG § 1
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart vom 28. Januar 1955 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger hat gegen das vorbezeichnete, am 21. März 1955 durch Einschreiben abgesandte Urteil des Landessozialgerichts (LSG.) Baden-Württemberg mit einem am 21. April beim Bundessozialgericht (BSG.) eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt, ohne einen bestimmten Antrag zu stellen. Der Revisionsantrag, das Urteil des LSG. Baden-Württemberg vom 28. Januar 1955 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen, ist am 25. April 1955 beim BSG. eingegangen. Mit Schriftsatz vom 14. Juni 1955 hat der Kläger die Revision begründet. Da in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils nicht auf die Vorschrift des § 164 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hingewiesen worden ist, daß die Revisionsschrift einen bestimmten Antrag enthalten muß, ist der Antrag als rechtzeitig gestellt anzusehen, wenn er innerhalb der Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG beim BSG. eingegangen ist (BSG. 1 S. 227 = SozR. SGG § 66 Bl. Da 1 Nr. 3; BSG. in SozR. SGG § 66 Bl. Da 2 Nr. 5). Die Revision ist somit frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden.
Da das LSG. die Revision nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG) und auch vorliegt (BSG. 1 S. 150), oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG). Soweit der Kläger ohne jede Begründung wesentliche Verfahrensmängel rügt, entspricht die Revisionsbegründung nicht den Formerfordernissen des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG. Sie enthält weder Angaben über verfahrensrechtliche Normen, die der Kläger als verletzt ansieht, noch ergibt sich aus substantiiert vorgetragenen Tatsachen hinreichend klar, welche Verfahrensvorschrift als verletzt angesehen wird (vgl. BSG. 1 S. 227). Die Revision des Klägers ist daher nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft.
Die vom Kläger gerügte Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist die Revision ohne Zulassung durch das LSG. statthaft, wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit oder einer Schädigung im Sinne des BVG das Gesetz verletzt ist. Der Große Senat des BSG. (Beschluß vom 21.11.1957 - GS 1/57 / 2 RU 114/54 -) hat die Vorschrift des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG für das Gebiet der Unfallversicherung dahin ausgelegt, daß zum ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einem Arbeitsunfall nicht die Frage gehört, ob das Unfallereignis mit einer Tätigkeit im Sinne des § 542 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) ursächlich zusammenhängt. Die Frage, ob diese Auslegung auch auf die Anwendung des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG bei Streitigkeiten in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung zutrifft, hat der Große Senat offen gelassen; sie ist aber nach Ansicht des erkennenden Senats zu bejahen. Schon aus dem Gesetz selbst ist zu entnehmen, daß hinsichtlich der Statthaftigkeit der Revision eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs in beiden Rechtsgebieten - Unfallversicherung und Kriegsopferversorgung - gleich zu behandeln ist, weil es sich hierbei um eine nur diesen Rechtsgebieten gemeinsame Frage handelt. Es besteht auch in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht kein Grund, die Statthaftigkeit der Revision in bezug auf eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs in der Kriegsopferversorgung anders als in der Unfallversicherung zu regeln. Die in der Entscheidung des Großen Senats vom 21. November 1957 getroffene Auslegung des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG ist daher sinngemäß bei Streitigkeiten in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung anzuwenden.
In der Unfallversicherung führt eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs nur dann zur Statthaftigkeit der Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG, wenn es sich um den ursächlichen Zusammenhang zwischen einem Unfallereignis und einer Gesundheitsstörung (Tod) handelt. Dagegen fällt eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung der Zusammenhangsfrage zwischen einer versicherten Tätigkeit (§ 542 Abs. 1 RVO) und einem Unfallereignis nicht unter diese Vorschrift. Der Ursachenkette in der Unfallversicherung: versicherte Tätigkeit - Unfallereignis - Gesundheitsstörung (Tod) entspricht in der Kriegsopferversorgung folgende Kausalreihe: Militärische Dienstverrichtung oder einer der übrigen in § 1 BVG genannten Tatbestände - Schädigung (schädigendes Ereignis oder schädigende Einwirkungen) - Gesundheitsstörung (Tod). Die in § 1 BVG aufgeführten Tatbestände sind hiernach der versicherten Tätigkeit in der Unfallversicherung gleichzusetzen. Dem Unfallereignis entspricht in der Kriegsopferversorgung die Schädigung, die in einem einmaligen schädigenden Ereignis (vergleichbar dem Unfallereignis in der Unfallversicherung) oder in einer mehr oder weniger lange dauernden schädigenden Einwirkung des Wehrdienstes oder der übrigen in § 1 BVG genannten Tatbestände bestehen kann. Die Vorschrift des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG betrifft hiernach in der Kriegsopferversorgung lediglich den ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Schädigung im vorstehend dargelegten Sinne und einer Gesundheitsstörung (Tod). Nicht dagegen wird von ihr eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Schädigung mit einer militärischen Dienstverrichtung oder einer der übrigen in den §§ 1 bis 5 BVG aufgeführten Tatbestände erfaßt.
Im vorliegenden Falle rügt der Kläger eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen einem Unfall, den er am 21. November 1933 als Angehöriger der Schutzpolizei erlitten hat, und einer Dienstverrichtung im Sinne der §§ 1, 3 BVG Die Frage, ob das Berufungsgericht zu Unrecht die Auffassung vertreten hat, daß der Kläger hinsichtlich seines Unfalls am 21. November 1933 nicht zu dem durch § 1 BVG erfaßten Personenkreis gehört, betrifft somit nicht eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG. Die Statthaftigkeit der Revision kann hiernach nicht auf diese Vorschrift gestützt werden.
Da der Kläger wesentliche Verfahrensmängel im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht in der im § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG vorgeschriebenen Form gerügt hat und die Vorschrift des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG keine Anwendung finden kann, war die Revision nach § 169 Satz 2 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen