Entscheidungsstichwort (Thema)
Mehrstufenschema des § 1246 RVO
Orientierungssatz
Bei dem Mehrstufenschema iS von § 1246 RVO handelt es sich um ein Hilfsmittel, das eine Gleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte ermöglichen soll, aber nicht starr zu handhaben ist. Das Verweisungsschema läßt es durchaus zu, Besonderheiten des Einzelfalles, die dann jedoch nicht grundsätzlicher Art sind, zu berücksichtigen.
Normenkette
RVO § 1246 Abs 2 S 2, § 1247 Abs 2
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 06.11.1987; Aktenzeichen L 6 J 22/87) |
Gründe
Die Beschwerde der Beklagten ist unzulässig; denn die Begründung entspricht nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form.
Die Beklagte macht geltend, es handele sich iS von § 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung. Diese muß in der Beschwerdebegründung dargelegt werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Das Bundessozialgericht (BSG), das seine wesentliche Aufgabe in der Wahrung und Fortentwicklung des Rechts sieht, macht die Zulassung der Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache von bestimmten formalen Voraussetzungen abhängig. Das ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verfassungsgemäß (vgl BVerfG in SozR 1500 § 160a Nr 48).
Der Beschwerdeführer hat zunächst eine Rechtsfrage klar zu bezeichnen. Das ist hier geschehen. Die Beklagte meint, es bedürfe der höchstrichterlichen Klärung, ob unter Berücksichtigung der personellen Struktur des öffentlichen Dienstes (Arbeitnehmer als Beamte, Arbeiter und Angestellte), hier insbesondere der Deutschen Bundesbahn, die vom BSG aufgestellten Grundsätze zum Leitberuf des "Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion" auf Arbeiter des öffentlichen Dienstes, hier der Deutschen Bundesbahn, uneingeschränkt anzuwenden seien.
Die Vorinstanzen haben dem Kläger Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit zuerkannt. Dabei ist das Landessozialgericht (LSG) von einem bisherigen Beruf des Klägers als Führer einer Schlosser- und Schweißergruppe in der Waggonausbesserung bei der Deutschen Bundesbahn ausgegangen und hat ihm als "Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion" im Sinne des vom BSG entwickelten sogenannten Mehrstufenschemas angesehen. Die Beklagte meint hingegen, der Kläger sei nur "schlichter Vorarbeiter" und damit Facharbeiter gewesen.
Hängt die Entscheidung über den Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit davon ab, wie die bisherige Tätigkeit des Versicherten in das für die Verweisung gebildete Mehrstufenschema einzuordnen ist, so geht es zunächst um Tatfragen. Basierend auf den tatsächlichen Feststellungen, etwa betreffend die Art der Tätigkeit, die erforderliche Qualifikation und die Entlohnung, ist die Zuordnung zu einer Berufsgruppe des Mehrstufenschemas dann Rechtsfrage. Das BSG hat in zahlreichen Entscheidungen dazu Stellung genommen, welche Kriterien für die Zuordnung eines Versicherten zu der Gruppe maßgebend sind, die durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion charakterisiert wird (vgl BSG in SozR 2200 § 1246 Nrn 37, 44, 70 mwN). Die Beklagte hat nicht schlüssig dargelegt, daß diese Rechtsprechung noch Fragen grundsätzlicher Art offen gelassen hat, die im konkreten Fall zu entscheiden sind. Das für die Verweisung im Rahmen des § 1246 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) entwickelte sogenannte Mehrstufenschemas wird ohne weiteres auf Tätigkeiten im öffentlichen Dienst angewendet, zB auch auf solche bei der Deutschen Bundesbahn (vgl BSG in SozR 2200 § 1246 Nrn 116, 144, 149). Bei diesem Mehrstufenschema handelt es sich um ein Hilfsmittel, das eine Gleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte ermöglichen soll, aber nicht starr zu handhaben ist. Das Verweisungsschema läßt es durchaus zu, Besonderheiten des Einzelfalles, die dann jedoch nicht grundsätzlicher Art sind, zu berücksichtigen.
Die Beklagte trägt vor, die Gruppenführer bei der Deutschen Bundesbahn seien regelmäßig zwar keinem Vorgesetzten im Arbeiterverhältnis unterstellt, das hänge aber damit zusammen, daß vergleichbare Vorgesetzte im Beamtenverhältnis beschäftigt würden. Der Meisterei eines Ausbesserungswerkes stehe ein Werkmeister oder ein Oberwerkmeister vor. Eine solche Meisterei habe mindestens zwei bis drei Arbeitsgruppen, wie sie der Kläger geführt habe. Der Werkmeister sei Vorgesetzter aller Mitarbeiter seiner Meisterei. Er sei verantwortlich für den Einsatz der Arbeitsgruppen und der Mitarbeiter, er habe alle Arbeiten zu leiten und zu überwachen. Mit diesem Vorbringen ist nicht schlüssig dargelegt worden, daß die von der Beklagten bezeichneten Rechtsfrage hier klärungsbedürftig und klärungsfähig ist. Die Beklagte hätte aufzeigen müssen, daß der Werkmeister oder Oberwerkmeister, wäre er nicht Beamter, in vergleichbaren anderen Unternehmen als Arbeiter - und nicht als Angestellter - beschäftigt würde. Das ist obendrein nicht zu erwarten; denn Meister sind normalerweise Angestellte.
Die Beklagte unterscheidet offenbar nicht zwischen Vorarbeitern mit Vorgesetztenfunktion und Meistern (im Angestelltenverhältnis). Hingegen gehören nach der Rechtsprechung des BSG in die oberste Gruppe der Arbeiterberufe grundsätzlich keine Meister, allenfalls sogenannte Hilfsmeister. Die Gruppe der angestellten Meister steht darüber. Aufgrund des Vorbringens der Beklagten vermag der Senat nicht zu erkennen, warum sich die Rechtsprechung zur Bewertung der Tätigkeit des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion nicht auf die Verhältnisse bei der Deutschen Bundesbahn übertragen lassen soll. Durch die Behauptungen, der Kläger sei nur als sogenannter "schlichter Vorarbeiter" einzustufen und die Tätigkeiten der beamteten Meister entsprächen den Kriterien eines Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion, werden keine Rechtsfragen grundsätzlicher Art aufgezeigt. Eher sprechen die von der Beklagten mitgeteilten Tätigkeitsmerkmale des Werkmeisters und Oberwerkmeisters für einen oberhalb des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion anzusetzenden qualitativen Wert dieser Tätigkeiten. Für ihre weitere Behauptung, es würde eine Bevorzugung der Arbeiter im öffentlichen Dienst bedeuten, wenn man Gruppenführer wie den Kläger als Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion ansehen wolle, bringt die Beklagte keine schlüssige Begründung. Wenn sie den früheren Aufgabenbereich des Klägers anders bewertet wissen wollte, als das LSG das getan hat, dann hätte die Beklagte im Berufungsverfahren für entsprechendes Vorbringen Beweis antreten müssen. Die richterliche Beweiswürdigung iS des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann mit der Beschwerde nicht angegriffen werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Der Umweg über Rechtsfragen von angeblich grundsätzlicher Bedeutung kann dann nicht zur gewünschten Zulassung der Revision führen.
Schließlich macht die Beklagte noch geltend, das LSG habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt. Auf die gerügte Verletzung des § 103 SGG kann die Beschwerde nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG jedoch nur gestützt werden, wenn sich der Verfahrensmangel auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Einen solchen Beweisantrag hat die Beklagte nicht bezeichnet, was aber für eine formgerechte Beschwerde nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlich gewesen wäre (vgl BSG in SozR 1500 § 160 Nr 5).
Die somit nicht formgerecht begründete Beschwerde der Beklagten mußte als unzulässig verworfen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen