Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Schilderung des Sachverhalts. Darlegung bzw. Bezeichnung eines Revisionszulassungsgrundes. Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht. Beweisantrag
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine verständliche Schilderung des Sachverhalts auf der Grundlage der Feststellungen des LSG gehört jedoch zu den Mindestanforderungen an die Darlegung bzw. Bezeichnung eines Revisionszulassungsgrundes; denn es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die maßgeblichen Tatsachen aus der angegriffenen LSG-Entscheidung selbst herauszusuchen.
2. Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1.) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren und bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3.) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4.) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können.
Normenkette
SGG §§ 103, 118 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, § 169 Sätze 2-3; ZPO § 403
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 14. Mai 2020 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin wendet sich in der Hauptsache gegen die Aufhebung der Zuerkennung des Merkzeichens G. Wie zuvor bereits das SG (Urteil vom 18.8.2015) hat auch das LSG die Entscheidung des Beklagten bestätigt. Die bei der Klägerin vorliegenden Krankheitsbilder rechtfertigten nicht mehr die Zuerkennung dieses Merkzeichens. Auch der im erstinstanzlichen Verfahren gehörte Sachverständige K habe sich in seiner im Berufungsverfahren ergänzend eingeholten gutachterlichen Stellungnahme nicht mehr für die Zuerkennung des Merkzeichens G ausgesprochen (Urteil vom 14.5.2020).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung am 14.5.2020 ergangenen Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie macht den Verfahrensmangel der mangelnden Sachaufklärung geltend. Zweitinstanzlich sei die Einholung eines weiteren Gutachtens gemäß § 106 SGG beantragt worden. Dem sei das LSG unverständlicherweise nicht gefolgt.
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der hierfür erforderlichen Weise bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Die Klägerin hat als zwingende Grundvoraussetzung für die ordnungsgemäße Darlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde bereits den Sachverhalt, der dem angefochtenen Urteil des LSG zugrunde liegt, nicht hinreichend mitgeteilt. Ihren Schilderungen können allenfalls Fragmente der entscheidungserheblichen Tatsachen entnommen werden. Eine verständliche Schilderung des Sachverhalts auf der Grundlage der Feststellungen des LSG gehört jedoch zu den Mindestanforderungen an die Darlegung bzw Bezeichnung eines Revisionszulassungsgrundes; denn es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die maßgeblichen Tatsachen aus der angegriffenen LSG-Entscheidung selbst herauszusuchen (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 8.11.2018 - B 9 V 29/18 B - juris RdNr 5 mwN).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen deshalb zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 letzter Teilsatz SGG nur darauf gestützt werden, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Wird - wie vorliegend - ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1.) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren und bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3.) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4.) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (zum Ganzen s Senatsbeschluss vom 20.2.2019 - B 9 SB 67/18 B - juris RdNr 6 mwN). Diese besonderen Darlegungsanforderungen an eine Sachaufklärungsrüge erfüllt der Beschwerdevortrag der Klägerin nicht.
Ein - wie hier - in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter kann nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (stRspr, zB BSG Beschluss vom 5.2.2015 - B 13 R 372/14 B - juris RdNr 10). Denn nur dann hätte nach Sinn und Zweck des § 160 Abs 2 Nr 3 letzter Teilsatz SGG ein Beweisantrag die Warnfunktion dahingehend entfaltet, dass ein Beteiligter die Sachaufklärungspflicht des Gerichts (§ 103 SGG) noch nicht als erfüllt ansieht (BSG Beschluss vom 5.2.2015, aaO). Wird ein Rechtsstreit - wie vorliegend - ohne mündliche Verhandlung entschieden, tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG(stRspr, zB BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11; BSG Beschluss vom 7.2.2017 - B 13 R 379/16 B - juris RdNr 7; Senatsbeschluss vom 1.9.1999 - B 9 V 42/99 B - SozR 3-1500 § 124 Nr 3 S 4 f) .
In der Beschwerdebegründung wird von der Klägerin jedoch schon nicht dargelegt, dass ein im Berufungsverfahren prozessordnungsgemäß gestellter Beweisantrag (zu den Anforderungen an die Bezeichnung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG iVm § 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 403 ZPO s Senatsbeschluss vom 26.3.2019 - B 9 V 51/18 B - juris RdNr 9 mwN) auch bei der Erklärung ihres Einverständnisses mit einer Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil ohne mündliche Verhandlung noch weiter aufrechterhalten worden ist. Denn nur dann kann - wie ausgeführt - ein Beweisantrag seine Warnfunktion dahingehend entfalten, dass dem LSG verdeutlicht wird, ein Beteiligter sehe die Sachaufklärungspflicht des Gerichts noch nicht als erfüllt an. Vielmehr weist der Beklagte in seiner Beschwerdeerwiderung darauf hin, dass nach der Mitteilung des LSG im Mai 2018, wonach weitere medizinische Ermittlungen von Amts wegen nicht mehr beabsichtigt seien, keine inhaltliche Reaktion der Klägerin mehr erfolgt sei.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14366219 |