Verfahrensgang
SG Mannheim (Entscheidung vom 01.10.2021; Aktenzeichen S 2 U 2854/20) |
LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 02.08.2022; Aktenzeichen L 1 U 473/22) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 2. August 2022 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger die Anerkennung der Berufskrankheit (BK) Nr 2102 der Anl 1 zur Berufskrankheitenverordnung - Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten.
Die Beklagte lehnte die Anerkennung der Erkrankung des Klägers im rechten Kniegelenk als BK Nr 2102 ab (Bescheid vom 6.4.2020, Widerspruchsbescheid vom 6.10.2020). Klage und Berufungsverfahren sind erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 1.10.2021 und Beschluss des LSG vom 2.8.2022). Es fehle an den arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr 2102. Zwar sei der Kläger in seiner über 10-jährigen Berufstätigkeit mehrjährig tätig gewesen, die knie- und meniskusbelastenden Verrichtungen hätten jedoch keinen ausreichenden Anteil der Arbeit ausgemacht. Die im engeren Sinne meniskusbelastende Tätigkeit des Klägers habe nicht das geforderte Viertel bis Drittel der Arbeitszeit in der Mehrzahl der Schichten erreicht. Unabhängig von den medizinischen und arbeitstechnischen Voraussetzungen bestehe aber auch kein Kausalzusammenhang zwischen den beruflichen Einwirkungen und der Meniskusschädigung.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des LSG wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde. Er rügt das Vorliegen eines Verfahrensmangels aufgrund eines Verstoßes gegen § 153 Abs 4 Satz 1 und 2 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil ein Zulassungsgrund iS des § 160 Abs 2 Nr 1, 2 oder 3 SGG (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz oder Vorliegen eines Verfahrensmangels, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann) nicht formgerecht dargelegt bzw bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Der Kläger stützt die Beschwerde allein auf den von ihm geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensmangels iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, bezeichnet ihn jedoch in seiner Beschwerdebegründung entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht hinreichend. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, müssen zu seiner Bezeichnung die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt werden. Darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 17.5.2022 - B 2 U 91/21 B - juris RdNr 6). Die Beschwerdebegründung wird diesen Anforderungen nicht gerecht.
Der Kläger rügt die Verletzung des § 153 Abs 4 Satz 2 SGG und damit eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG). Das LSG habe mit Verfügung vom 30.6.2022 darauf hingewiesen, dass der Senat nach § 153 Abs 4 SGG die Berufung auch ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zurückweisen könne, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte, und diese Verfahrensweise sei aufgrund des derzeitigen Sach- und Streitstandes beabsichtigt. Gleichzeitig habe das Berufungsgericht Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Kläger habe darauf hingewiesen, dass nach ständiger Praxis der Beklagten die arbeitstechnischen Voraussetzungen erst ab 20 Prozent Meniskusbelastung in der vorliegenden Zahl der Arbeitsschichten, dh ≫ 110 Schichten/Jahr, bejaht würden, es hierfür jedoch keine rechtliche Grundlage gebe. Daraufhin habe die Beklagte mit Schriftsatz vom 30.6.2022 (richtig: 1.7.2022) ausgeführt, der Präventionsdienst habe 10 bis 25 Prozent Meniskusbelastung erhoben, was aber nach ständiger Praxis der Beklagten dennoch zu wenig sei für die Bejahung der arbeitstechnischen Voraussetzungen. Zwar sei dieses Schreiben seinem Prozessbevollmächtigten mit Verfügung vom 4.7.2022 übersandt und gleichzeitig durch das LSG darauf hingewiesen worden, dass der Senat an der angekündigten Beschlussentscheidung festhalte. Es hätte jedoch erneut eine Anhörung zu einer Entscheidung nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG erfolgen müssen. Die prozessuale Situation habe sich wegen Änderung der Tatsachengrundlage wesentlich geändert. Der Hinweis des Gerichts vom 4.7.2022, dass der Senat an der angekündigten Beschlussentscheidung festhalte, erfülle nicht die an eine erneute Anhörung nach § 153 Abs 4 SGG zu stellenden Anforderungen, da aus ihm nicht hervorgehe, dass weiterhin durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden werden solle, weil das LSG die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Nachdem sich hier die Tatsachenlage in entscheidungserheblicher Weise geändert habe, sei die Entscheidung des LSG, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, ermessensfehlerhaft gewesen.
Mit diesem Vorbringen zeigt der Kläger einen entscheidungserheblichen Verfahrensmangel nicht in der gebotenen Weise auf. Gemäß § 153 Abs 4 SGG kann das LSG, außer in den Fällen des § 105 Abs 2 Satz 1 SGG, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (Satz 1). Die Beteiligten sind vorher zu hören (Satz 2). Wird nach einer (ersten) Anhörungsmitteilung weiter vorgetragen, muss eine neue Anhörungsmitteilung mit Äußerungsmöglichkeit ergehen, wenn das LSG auch unter Würdigung des neuen Vorbringens an seiner Absicht festhalten will, über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Diese ist nur dann entbehrlich, wenn das auf die erste Anhörung hin erfolgte Vorbringen nicht entscheidungserheblich, ohne jegliche Substanz oder bloß wiederholend ist (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 17.11.2015 - B 1 KR 65/15 B - RdNr 7 f mwN). Es kann hier dahinstehen, ob die Beschwerdebegründung hinreichend darlegt, dass danach eine erneute Anhörung erforderlich war, denn aus dem Vorbringen das Klägers ergibt sich, dass das LSG mit seinem Schreiben vom 4.7.2022 die Beteiligten erneut gemäß § 153 Abs 4 Satz 2 SGG zu der bereits angekündigten Entscheidung durch Beschluss angehört hatte. Offenbleiben kann ebenfalls, ob es für die erneute Anhörung durch das LSG weiterer Angaben bedurft hätte, denn aus der Beschwerdebegründung ist nicht zu entnehmen, dass die Entscheidung des LSG auf einer möglicherweise unvollständigen Anhörung beruht haben könnte. Bei einer nicht ordnungsgemäß durchgeführten Anhörung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG sind Ausführungen hierzu indes grundsätzlich erforderlich. Weder die unvollkommen formulierte Anhörungsmitteilung noch eine unangemessene kurze Anhörungsfrist lassen die in § 153 Abs 4 Satz 1 SGG festgelegten Voraussetzungen für die Befugnis des LSG, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, zwangsläufig entfallen. Davon könnte nur dann die Rede sein, wenn der Fehler die Beteiligten an Ausführungen gehindert haben könnte, welche das LSG hätten veranlassen müssen, von einem Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG Abstand zu nehmen (vgl hierzu BSG Beschlüsse vom 17.12.2020 - B 12 R 23/20 B - juris RdNr 8, vom 18.7.2019 - B 13 R 259/17 B - juris RdNr 14 und vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 19). Dies legt die Beschwerdebegründung nicht dar.
Hierzu hätte ausgeführt werden müssen, welche tatsächlichen Angaben oder für die Entscheidung erheblichen rechtlichen Ausführungen durch den im Berufungsverfahren anwaltlich vertretenen Kläger vorgebracht worden wären, wenn eine anders formulierte erneute Mitteilung des LSG zur beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss erfolgt wäre. Hieran fehlt es. Die Beschwerdebegründung lässt auch nicht erkennen, aus welchen Gründen und inwieweit der anwaltlich vertretene Kläger nicht in der Lage gewesen sein könnte, nach der Mitteilung des LSG mit Schreiben vom 4.7.2022, dass an der angekündigten Beschlussentscheidung festgehalten werde, sich bis zum Beschluss am 2.8.2022 erneut zu äußern. Ebenso wenig wird ausreichend deutlich, wieso der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht davon ausgehen konnte, dass das LSG weiterhin eine mündliche Verhandlung für entbehrlich und an der angekündigten Beschlussentscheidung festhalten würde. Der abstrakte Vortrag in der Beschwerdebegründung, die Beteiligten müssten durchgehend und unmissverständlich darüber informiert sein, dass weiterhin durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden werden soll, weil das LSG die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, um in der Lage zu sein, zeitnah auf das Berufungsgericht erneut einzuwirken und dieses ggf veranlassen zu können, dem Berufungsvortrag nachzugehen bzw zumindest eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, ersetzt nicht die gebotene Darlegung, dass und warum gerade dies dem anwaltlich vertretenen Kläger im vorliegenden Verfahren nicht möglich gewesen sein könnte.
Auch ein Verstoß gegen § 153 Abs 4 Satz 1 SGG wird nicht hinreichend aufgezeigt. Die Entscheidung, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 SGG zurückzuweisen, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts und kann nur auf fehlerhaften Gebrauch, dh sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen, überprüft werden (vgl zB BSG Urteil vom 2.5.2001 - B 2 U 29/00 R - SozR 3-1500 § 153 Nr 13, juris RdNr 21). Die Beschwerdebegründung behauptet zwar, dass sich die Tatsachenlage in entscheidungserheblicher Weise geändert habe, sodass die Entscheidung des Gerichts, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, ermessensfehlerhaft gewesen sei. Sie legt jedoch nicht dar, aus welchen Gründen hier die Schwierigkeiten des Falls sowie die Bedeutung von Tatsachenfragen es erfordert haben könnten, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, sodass hier eine Entscheidung durch Beschluss unter keinen Umständen gerechtfertigt gewesen sein und eine grobe Fehleinschätzung vorgelegen haben könnte.
Soweit schließlich die Beschwerdebegründung eine unvorschriftsmäßige Besetzung des Berufungsgerichts und damit das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes (§ 547 Nr 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG) rügen will, wird in der Beschwerdebegründung - wie oben ausgeführt - nicht hinreichend aufgezeigt, dass das LSG an einer Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 SGG gehindert gewesen sein könnte.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG). Die Beschwerde ist damit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15702583 |