Verfahrensgang

SG Berlin (Entscheidung vom 15.11.2017; Aktenzeichen S 89 KR 2296/16)

LSG für das Land Brandenburg (Beschluss vom 24.09.2019; Aktenzeichen L 9 KR 522/17)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. September 2019 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger gegen die Erhebung des Beitragszuschlags für kinderlose Versicherte in der sozialen Pflegeversicherung (sPV).

Der 1960 geborene, kinderlose Kläger ist bei der Pflegekasse in der sPV versichert, die bei der beklagten Krankenkasse errichtet ist. Die Höhe der Beiträge zur sPV setzte die Beklagte im Namen der sPV unter Berücksichtigung des nach § 55 Abs 3 Satz 1 SGB XI vorgesehenen Beitragszuschlags für Kinderlose fest (Bescheide vom 27.12.2013, 16.9.2014, 2.10.2015, 9.6.2015, 3.9.2015). Der dagegen gerichtete Widerspruch sowie Klage und Berufung sind unter Hinweis auf eine Entscheidung des BVerfG vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 21.7.2016, Urteil des SG Berlin vom 15.11.2017, Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 24.9.2019). Auch das Gesuch des Klägers, die an der Entscheidung des LSG mitwirkende Richterin und die mitwirkenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, ist erfolglos geblieben (Beschluss vom 22. April 2020).

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 24.9.2019. Er hat zudem die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Aussetzung des Verfahrens beantragt, um die Entscheidung des LSG zu seinem Befangenheitsgesuch abzuwarten.

II

1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Der Kläger hat entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG den allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht hinreichend dargelegt.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher zunächst aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Sodann ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums darzulegen, weshalb eine Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist aufzuzeigen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Der Kläger hat - auch unter Berücksichtigung seiner Schriftsätze vom 20.1.2020 - schon keine Rechtsfrage zu einer bestimmten bundesrechtlichen Norm formuliert. Die Bezeichnung einer hinreichend bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN). Eine Rechtsfrage ist so konkret zu formulieren, dass sie als Grundlage für die Darlegung der weiteren Merkmale der grundsätzlichen Bedeutung (Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit, Breitenwirkung) geeignet ist (Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl 2017, § 160a RdNr 97).

Der Kläger macht geltend, dass

"1. nicht alle in das staatliche Versicherungssystem einzahlen. Mitglieder der privaten Krankenversicherung sind davon ausgenommen.

2. durch den Zustrom ausländischer Arbeitskräfte der Geburtenmangel mehr als ausge glichen wird."

Selbst wenn damit eine Rechtsfrage als aufgeworfen unterstellt würde, wäre jedenfalls deren Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt.

Eine Rechtsfrage ist dann als höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist. Zwar kann auch eine bereits höchstrichterlich entschiedene Frage erneut klärungsbedürftig werden, hierfür ist jedoch darzulegen, dass und mit welchen Gründen der höchstrichterlichen Rechtsprechung widersprochen worden ist oder dass sich völlig neue, nicht erwogene Gesichtspunkte ergeben haben, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten (vgl BSG Beschluss vom 25.9.1975 - 12 BJ 94/75 - SozR 1500 § 160a Nr 13; BSG Beschluss vom 17.9.2013 - B 1 KR 63/13 B - juris, mwN). Eine Rechtsfrage ist auch dann als höchstrichterlich geklärt anzusehen, wenn das BSG oder das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden haben, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG Beschluss vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; BSG Beschluss vom 1.3.2018 - B 8 SO 63/17 B - juris RdNr 6).

Der Kläger führt aus, aufgrund der geänderten Bevölkerungsentwicklung sei eine Geburtenrate von 2,1 Kindern pro Frau nicht mehr erforderlich. Außerdem sollte der Beitrag nur von Frauen, nicht von Männern erhoben werden. Aus diesen Gründen sei mit einer Änderung der Rechtsprechung des BVerfG zu rechnen. Das LSG habe ihn nicht auf die Möglichkeit der Adoption verweisen dürfen, da eine solche wegen seines Alters ausscheide. Die Vorentscheidungen hätten seine Zeugungsunfähigkeit, die Unterstützung im Alltag, die Eltern durch Kinder oder Enkel als Gegenleistung für die Erziehung zu erwarten hätten sowie die zunehmende Überbevölkerung nicht hinreichend berücksichtigt. Mindestens hätte ein Freibetrag für Menschen mit geringem Einkommen berücksichtigt werden müssen.

Diesem Vortrag lässt sich nicht entnehmen, weshalb über die vorliegende höchstrichterliche Rechtsprechung hinaus erneut Klärungsbedarf entstanden sein soll. Die Beschwerdebegründung stützt sich auch nicht ausdrücklich auf die Verfassungswidrigkeit einer bundesrechtlichen Vorschrift. Sollte der Kläger mit der Beschwerde dennoch die Verfassungswidrigkeit von § 55 Abs 3 Satz 1 SGB XI geltend machen wollen, genügt die Beschwerdebegründung auch diesbezüglich nicht den Anforderungen.

Zur Darlegung verfassungsrechtlicher Bedenken gegen Regelungen, auf die das Berufungsgericht seine Entscheidung stützt, genügt die Behauptung der Verfassungswidrigkeit nicht. Vielmehr muss unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung, insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG, im Einzelnen aufgezeigt werden, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (vgl BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; vgl auch BSG Beschluss vom 2.6.2009 - B 12 KR 65/08 B - juris). In der Begründung ist deshalb auch darzulegen, dass und inwiefern die Frage der Verfassungsmäßigkeit durch die bisherige Rechtsprechung nicht geklärt oder in der Rechtsprechung und Literatur mit beachtlichen Gründen in Zweifel gezogen worden ist. Der Verfassungsverstoß ist anhand der vom BVerfG hierzu entwickelten Maßstäbe darzulegen.

In der Beschwerdebegründung wird jedoch kein verfassungsrechtlich geschütztes subjektives Recht des Klägers benannt, das durch den erhobenen Beitragszuschlag verletzt sein könnte. Der Kläger setzt sich in der Beschwerdebegründung auch weder mit der Rechtsprechung des BSG noch mit der des BVerfG zur Beitragsbelastung in der sPV auseinander. Insbesondere legt er nicht dar, aus welchen Gründen den Entscheidungen des Senats zum Beitragszuschlag für Kinderlose nach § 55 Abs 3 Satz 1 SGB XI vom 27.2.2008(BSGE 100, 77 = SozR 4-3300 § 55 Nr 2) sowie vom 5.5.2010 (BSG SozR 4-3300 § 59 Nr 3) und des BVerfG zur Beitragsbemessung in der sPV sowie zum Beitragszuschlag für Kinderlose (BVerfG Urteil vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2; BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 2.9.2009 - 1 BvR 1997/08 - SozR 4-3300 § 55 Nr 3) keine hinreichenden Ausführungen zu den von ihm aufgeworfenen Gesichtspunkten zu entnehmen sein sollen. Insoweit ist es auch nicht ausreichend, auf einen ggf eingetretenen Bevölkerungszuwachs zu verweisen. Der Kläger führt in seiner Beschwerdebegründung vom 20.1.2020 unter 3.2. selbst aus, dass nach der Entscheidung des BVerfG kinderlose Personen den Zuschlag als Ausgleich für die finanzielle Belastung der Erziehenden zahlen sollen. Es ist aber weder dargelegt noch ersichtlich, aus welchem Grund erziehende Personen finanziell weniger belastet sein könnten, wenn die Bevölkerung zunimmt. Dem Vortrag des Klägers fehlt es darüber hinaus an jeglichen Ausführungen dazu, dass, inwieweit und von wem der höchstrichterlichen Rechtsprechung widersprochen worden ist.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

2. Einer Entscheidung über den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedurfte es nicht, weil auch bei einer Wiedereinsetzung die Beschwerde unzulässig ist. Mit der beantragten Wiedereinsetzung könnte der Kläger lediglich die Berücksichtigung seiner zusätzlichen Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde in den Schriftsätzen vom 20.1.2020 erreichen, die am 21.1.2020/27.1.2020 und damit außerhalb der am 2.12.2019 abgelaufenen Beschwerdebegründungsfrist nach § 160a Abs 2 Satz 1 SGG beim BSG eingegangen sind. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist aber - wie ausgeführt - auch unter Berücksichtigung dieses Vorbringens unzulässig.

3. Auch einer Entscheidung über den Aussetzungsantrag, um die Entscheidung des LSG über sein Befangenheitsgesuch abzuwarten, bedurfte es nicht mehr. Der zu dem Befangenheitsantrag ergangene Beschluss vom 22.4.2020 liegt inzwischen vor.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI13890843

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