Verfahrensgang
SG Osnabrück (Entscheidung vom 13.12.2016; Aktenzeichen S 31 AS 471/16) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 14.03.2018; Aktenzeichen L 13 AS 40/17) |
Tenor
Den Klägern wird wegen der Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerden Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 14. März 2018 - L 13 AS 40/17 - werden als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung des LSG sind als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 SGG). Ungeachtet des Umstands, dass den Klägern wegen der versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerden durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war, sind die Nichtzulassungsbeschwerden unzulässig, weil die Kläger die von ihnen zur Begründung der Beschwerden geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz und des Verfahrensmangels innerhalb der jeweiligen Begründungsfristen nicht iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG schlüssig dargelegt oder bezeichnet haben.
Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (Nr 3). Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache richtig entschieden hat, ist nicht zulässig.
Die mit den Beschwerdebegründungen durch die Klägerin sowie die Kläger zu 2) und 4) geltend gemachten Abweichungen von der Rechtsprechung des BSG genügen den Anforderungen an zulässig erhobene Divergenzrügen nicht.
Für die Bezeichnung einer Abweichung (Divergenz) ist aufzuzeigen, mit welcher genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angefochtene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage des BSG abweicht. Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, dass das LSG dem BSG widersprochen und von den bezeichneten rechtlichen Aussagen des BSG abweichende, dh mit diesen unvereinbare eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72; Krasney in Krasney/Udsching, Hdb SGG, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 196 mwN).
Diese Voraussetzung kann den Beschwerdebegründungen nicht entnommen werden. In diesen wird entweder überhaupt kein Rechtssatz des LSG aufgestellt, sondern nur allgemein behauptet, die Rechtsanwendung des LSG stimme mit den Rechtssätzen des Urteils des BSG vom 15.6.2016 (B 4 AS 41/15 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 14) nicht überein, oder es wird folgender Satz des LSG wiedergegeben: "Es handelt sich insoweit um in der Sphäre des Klägers wurzelnde Vorgänge, deren Unaufklärbarkeit zu einer Umkehr der Beweislast führt (vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 2016 - B 4 AS 41/15 R - juris Rn. 30f m.w.N.)". Dieser Satz erfüllt aber nicht die Voraussetzungen für einen Rechtssatz, weil das LSG in ihm keine allgemeinen und ggf von der Rechtsprechung des BSG abweichenden Maßstäbe entwickelt, sondern ist eine Würdigung des vorliegenden Verfahrens, wie sich aus der ausdrücklichen Bezugnahme auf die Sphäre des Klägers zu 2) ergibt.
Auch im Rahmen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG beachtliche Verfahrensmängel sind den Beschwerdebegründungen nicht zu entnehmen.
Die Klägerin und die Kläger zu 2) und 4) rügen, die Entscheidung des LSG sei nicht mit Gründen versehen, weil ein mit Unterschriften der Berufsrichter versehenes Urteil in der Gerichtsakte fehle und wegen der mittlerweile verstrichenen Zeit könnten die Unterschriften auch nicht mehr nachgeholt werden, was als absoluter Revisionsgrund nach § 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 6 ZPO zu berücksichtigen wäre. Die Beschwerden übersehen dabei die Möglichkeit, Originalurteile außerhalb der Gerichtsakte aufzubewahren, um Urteilsausfertigungen oder Urteilsabschriften auch dann noch erteilen zu können, wenn die Akten nach Abschluss des Verfahrens nicht (mehr) am Gericht, das die Entscheidung getroffen hat, aufbewahrt werden. Das Fehlen der Urschrift eines Urteils in der Gerichtsakte belegt deshalb noch nicht das Fehlen von Entscheidungsgründen (vgl BSG vom 18.5.2015 - B 9 V 73/14 B - RdNr 6). Wird eine verspätete Übermittlung des unterschriebenen Urteils an die Geschäftsstelle (§ 134 Abs 2 iVm § 153 Abs 1 und 3 Satz 1 SGG) geltend gemacht, bedarf es in Fällen, in denen sich die Urschrift des Urteils nicht in der Akte befindet, der Darlegung, dass und mit welchem Ergebnis versucht worden ist, den Inhalt des amtlichen Vermerks über den Zeitpunkt der Übergabe zu erfahren (vgl BSG vom 29.9.1994 - 4 RA 52/93 - SozR 3-1500 § 164 Nr 6; BSG vom 19.8.2019 - B 14 AS 183/18 B - RdNr 5; Krasney in Krasney/Udsching, Hdb SGG, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 218a). Liegen schon wegen der Zeitspanne zwischen Verkündung des Urteils und dessen Zustellung - hier weniger als zwei Wochen - keine Anhaltspunkte für zeitliche Verzögerungen bei der Absetzung des Urteils vor und wird lediglich vorgebracht, in der Akte befinde sich keine Urschrift mit Unterschriften, ist entsprechend vorzutragen, dass und mit welchem Ergebnis versucht worden ist, Einsicht in die Urschrift des Urteils zu erhalten. An diesem Vortrag fehlt es hier.
Wegen der Bezugnahme auf die Entscheidungsbegründung des LSG im Verfahren L 13 AS 77/15, das den Nichtzulassungsbeschwerden in der Sache B 14 AS 280/19 B zugrunde liegt, rügen die Klägerin und die Kläger zu 2) und 4) das Fehlen von Urteilsgründen, weil ihnen das Urteil in dem den Nichtzulassungsbeschwerden zugrunde liegenden Verfahren L 13 AS 40/17 nach der Entscheidung im Verfahren L 13 AS 77/15 zugestellt worden sei. Dazu meinen sie unter Bezugnahme auf einen Beschluss des BVerwG, die Bezugnahme sei nur zulässig, wenn den Beteiligten die in Bezug genommene Entscheidung spätestens bei Zustellung des bezugnehmenden Urteils vorliege (vgl BVerwG vom 1.6.2016 - 3 B 67.15). Sie übersehen aber, dass das LSG seine Entscheidung nicht - wie dort - auf ein zwischen Dritten ergangenes Urteil gestützt hat. Insoweit hätte es der Auseinandersetzung mit den Funktionen der schriftlichen Urteilsbegründung bedurft (vgl dazu BVerwG vom 3.1.2006 - 10 B 17.05 - RdNr 3). Dass diese nicht erfüllt werden können, wenn die in Bezug genommene Entscheidung erst später als die bezugnehmende Entscheidung zugestellt wird (vgl zum insoweit fehlenden Verfahrensmangel BGH vom 2.10.1970 - I ZB 9/69 - NJW 1971, 39, 40), legen die Klägerin und die Kläger zu 2) und 4) nicht dar. Soweit der Kläger zu 4) außerdem geltend macht, eine Bezugnahme sei nur möglich, wenn das LSG der Begründung des Verwaltungsakts und des Widerspruchsbescheids folge, legt er nicht dar, aus welcher für das Verfahren beim LSG geltenden Vorschrift sich diese Einschränkung ergeben soll. Ähnliches gilt, soweit die Kläger zu 3) und 4) die Bezugnahme für nicht ausreichend halten, weil sie wegen der Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG zum Aktenzeichen L 13 AS 77/15 Beschwerden eingelegt haben. Soweit der Kläger zu 3) eine Verletzung des § 136 Abs 2 SGG rügt, ergibt sich aus seiner Beschwerdebegründung nicht, warum der Anwendungsbereich der Norm bei einer Bezugnahme auf Entscheidungsgründe eröffnet werden soll. Dass das LSG einen Tatbestand verkürzt dargestellt hat, hat er nicht geschildert.
Soweit die Klägerin und der Kläger zu 2) die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts (§ 547 Nr 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG) wegen ihrer Befangenheitsanträge vom 20.7.2017 in dem beim LSG unter dem Aktenzeichen L 13 AS 77/15 geführten Verfahren sowie vom 12.3.2018 rügen, bringen sie zwar unter Wiedergabe der Rechtsprechung des BVerfG vor, dass das Selbstentscheidungsrecht im vereinfachten Ablehnungsverfahren engen Grenzen unterliegt (vgl BVerfG vom 20.7.2007 - 1 BvR 2228/06 - RdNr 19 ff). Dieses Vorbringen genügt zur Darlegung des Verfahrensmangels der unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts hier nicht, weil die Kläger nichts dazu mitteilen, warum ein beim LSG angebrachtes Ablehnungsgesuch in einem anderen Verfahren zur Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels in der Sache L 13 AS 40/17 führen können soll. Soweit ihren Beschwerdebegründungen entnommen werden kann, dass das LSG ein gegen die Richter S.1, C., L.1, L.2, G., H.1, K., H.2, M.1 und S.2 gerichtetes Ablehnungsgesuch für offensichtlich ungeeignet gehalten hat, weil lediglich frühere Entscheidungen als fehlerhaft beanstandet bzw ein von den Klägern gewünschtes prozessuales Vorgehen erzwungen habe werden sollen, hätte es angesichts der Anzahl der vom Ablehnungsantrag erfassten Richterinnen und Richter und der Begründung des LSG für die Selbstentscheidung näherer Ausführungen dazu bedurft, warum die Ablehnung von den Klägern nicht als Instrument der Verfahrens- oder Fehlerkontrolle eingesetzt worden ist und dass die Selbstentscheidung einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage entbehrt oder offensichtlich so grob fehlerhaft bzw unhaltbar ist, dass sie als willkürlich erscheint (diese Vorgaben zu ungeeigneten Ablehnungsgesuchen zusammenfassend BVerfG vom 20.8.2020 - 1 BvR 793/19 - RdNr 19; vgl auch BSG vom 16.12.2015 - B 14 AS 191/15 B - RdNr 4 ff; BSG vom 23.5.2018 - B 8 SO 1/18 BH - RdNr 8).
Hinsichtlich einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG bringen die Klägerin und der Kläger zu 2) vor, sie hätten in der mündlichen Verhandlung beim LSG sinngemäß den Antrag gestellt, "Einsicht in die Steuer-CD zu nehmen und zwar zum Beweis der Tatsache, dass auf der 'Steuer-CD' tatsächlich Daten zu einem 'M.2, geb. 18. Oktober 1956' und eben nicht zu dem am 14. März 1960 geborenen Kläger gespeichert sind". Das LSG habe hingegen darauf abgestellt, dass weitere bereits vorliegende Beweise ausreichten und der ermittelnde Staatsanwalt im Rahmen einer Anfrage bei Kreditinstituten - offenkundig versehentlich - ein unrichtiges Geburtsdatum genannt habe, was die Informationen, die die Steuerbehörden dem Datenträger entnommen hätten, nicht infrage stelle. Mit diesem Vorbringen ist eine Verletzung des § 103 SGG nicht hinreichend bezeichnet. Für die hinreichend formulierte Rüge der Verletzung von § 103 SGG ist ausgehend von der Rechtsauffassung des LSG in nachvollziehbarer Weise darzulegen, inwiefern nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum Sachverhalt offengeblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden hat (vgl BSG vom 14.12.1999 - B 2 U 311/99 B - RdNr 6). Dem genügen die Beschwerdebegründungen nicht, weil die Klägerin und der Kläger zu 2) ihre eigenen Beweiswürdigungen an die Stelle derjenigen des LSG setzen, da sie - aus ihrer Sicht - den Sachverhalt für nicht ausreichend ermittelt halten, während das LSG davon ausgegangen ist, dass es sich seine Überzeugung anhand der vorliegenden Beweise bilden kann und weitere Ermittlungen nicht erforderlich sind. Die Rüge einer Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG ist im Rahmen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ausgeschlossen.
Soweit die Klägerin und der Kläger zu 2) die Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 117 SGG) rügen, weil das LSG trotz eines Beweisantrags zur Beschaffung der und Einsicht in den Datenträger "Steuer-CD" auf andere, ua über diesen erlangte Kenntnisse abgestellt habe, legen die Beschwerdebegründungen nicht nachvollziehbar dar, warum das LSG angesichts der von ihm beschriebenen Belege für die Existenz des Datenträgers und dessen klägerbezogenen Inhalts dem Beweisantrag hätte nachgehen müssen. Im Übrigen fehlt es an Darlegungen dazu, aus welchem Grund der Beweiswert zB des Augenscheins zum "Ausdruck eines screenshots" gegenüber der Ansicht des Datenträgers gemindert und dadurch verringert sein soll, dass der Ausdruck nicht durch das LSG erfolgt ist.
Auch die weiteren Verfahrensrügen der Kläger zu 3) und 4) sind nicht hinreichend begründet. Dass das SG einen beim LSG ausnahmsweise fortwirkenden Verfahrensfehler begangen hat, ergibt sich aus den Beschwerdebegründungen nicht. Denn dort ist die Ausführung des LSG dargestellt, das SG habe eine Anfechtungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen. Von welchem fortwirkenden Verfahrensmangel auszugehen ist, wird in den Beschwerdebegründungen nicht mitgeteilt. Soweit der Kläger zu 4) vorbringt, das LSG habe seine Ladung zur mündlichen Verhandlung nicht gesondert verfügt und das sei ein absoluter Revisionsgrund iS von § 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 4 ZPO, ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang seines Vorbringens jedenfalls, dass die Klägerin und der Kläger zu 2) als seine gesetzlichen Vertreter geladen worden sind und an der Verhandlung teilgenommen haben (vgl BVerwG vom 1.12.1982 - 9 C 486.82 - BVerwGE 66, 311).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Verwerfung der Beschwerden erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14366222 |