Verfahrensgang

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 21.12.2016; Aktenzeichen L 2 R 326/15)

SG Hannover (Entscheidung vom 24.06.2015; Aktenzeichen S 14 R 964/12)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 21. Dezember 2016 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt W., zu gewähren, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

 

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger gegen die Pflicht zur Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen von zuletzt (Stand: 9.3.2017) 119 941,41 Euro (inklusive Säumniszuschlägen iHv 27 079 Euro).

Der Kläger befasste sich bis 2015 für Anbieter von Nahrungsmitteln mit der Organisation von verkaufsfördernden Maßnahmen durch so genannte Promoter (m/w) in Supermärkten. Nach einer Betriebsprüfung stellte die beklagte Deutsche Rentenversicherung Braunschweig/Hannover fest, dass die Promoter keine freien Mitarbeiter, sondern vom Kläger beschäftigt worden seien. Sie forderte vom Kläger für den Zeitraum 2006 bis 2009 Sozialversicherungsbeiträge iHv 542 826,87 Euro, inklusive Säumniszuschlägen, nach (Bescheide vom 22.11.2011 und 3.8.2012, Widerspruchsbescheid vom 10.10.2012, Bescheide vom 22.4.2013 und 23.6.2015). Erstinstanzlich ist die Klage erfolglos geblieben (SG-Urteil vom 24.6.2015). Mit seiner Berufung hat der Kläger überwiegend Erfolg gehabt (LSG-Urteil vom 21.12.2016). Grund hierfür war, dass das LSG zwar davon ausgegangen ist, dass die Promotoren beim Kläger beschäftigt waren. Es hat allerdings entschieden, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle wegen Geringfügigkeit (§ 8 SGB IV) keine Versicherungspflicht gegeben war bzw die angefochtenen Bescheide zum Teil wegen einer unzureichenden Anhörung formell rechtswidrig waren. In Ausführung des Berufungsurteils setzte die Beklagte den Nachforderungsbetrag durch Bescheid vom 9.3.2017 in der eingangs genannten Höhe fest.

Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG durch seinen Prozessbevollmächtigten Beschwerde eingelegt und zugleich zur Durchführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten sowie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung (seiner Klage) bis zur Entscheidung über seine Nichtzulassungsbeschwerde beantragt.

II

1. Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen. Nach § 73a SGG iVm § 114 ZPO kann einem Beteiligten für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Hieran fehlt es. Dabei kann offenbleiben, ob die Beschwerde zumindest zum Teil unzulässig ist, jedenfalls ist sie unbegründet. Ein die Zulassung der Revision rechtfertigender Grund liegt nicht vor.

2. Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18 = Juris RdNr 9).

Der Kläger macht in der Beschwerdebegründung vom 27.4.2017 ausschließlich Verfahrensmängel geltend.

a) Der Kläger rügt eine fehlerhafte Besetzung des erkennenden Senats des LSG, weil dessen geschäftsplanmäßig vorgesehener Vorsitzender trotz dessen Befangenheit mitgewirkt habe. Zwar seien seine Ablehnungsgesuche durch Beschlüsse vom 1.6.2016 und 21.12.2016 abgelehnt worden. Beide Beschlüsse des LSG verstießen jedoch gegen das Willkürverbot und gegen den Anspruch auf den gesetzlichen Richter. Der Vorsitzende habe seine Pflichten zur Unparteilichkeit, Neutralität und Distanz verletzt, indem er

"- die Einzugsstellen aufgefordert hatte, mitzuteilen, ob und ggf. aus welchen Gründen sie auf eine Vollstreckung verzichten würden, und sich damit in das Vollstreckungsverfahren eingemischt hat, obwohl keiner der Beteiligten das Gericht dazu angerufen hat,

- die Beigeladenen materiell-rechtlich dahingehend belehrt hat, dass sich ihre Rentenansprüche erhöhen könnten, wenn das Gericht zu dem Ergebnis käme, dass sie beim Beschwerdeführer abhängig beschäftigt gewesen seien und

- dem Beiladungsbeschluss an die Beizuladenden vom 20.09.2016 den ablehnenden Aussetzungsbeschluss des LSG vom 06.10.2016 wörtlich - zu Recht - wiedergegeben hat, ohne jedoch den Beizuladenden (zugleich oder danach) auch die Klagebegründung des Beschwerdeführers zu übersenden, damit diese die Möglichkeit erhielten, auch die Rechtsauffassung des Beschwerdeführers zur Kenntnis zu nehmen."

Zu Unrecht habe das LSG in den Ablehnungsbeschlüssen angenommen, die "Einmischung in das Vollstreckungsverfahren" sei unter dem Aspekt der Sachverhaltsaufklärung gerechtfertigt gewesen. Auch habe es sich nicht mit der dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden hinreichend befasst. Schließlich habe es nicht berücksichtigt, dass die Beigeladenen durch die Maßnahmen des Vorsitzenden davon abgehalten worden sein könnten, der vom Gericht im summarischen Verfahren vertretenen Auffassung, dass abhängige Beschäftigungen vorlägen, entgegenzutreten. Beide Beschlüsse über die Ablehnung der Ablehnungsgesuche seien aus den genannten Gründen nicht nur fehlerhaft, sondern "greifbar gesetzeswidrig". Beide Entscheidungen könnten daher "nur als willkürlich" angesehen werden.

Der Beschluss vom 1.6.2016 sei "auch deshalb gesetzeswidrig", weil der erkennende Senat des LSG aus anderen Gründen nicht ordnungsmäßig besetzt gewesen sei. Beide mitwirkenden Richterinnen hätten "entgegen der Bestimmungen im Geschäftsverteilungsplan" hieran nicht mitwirken dürfen. Sie hätten als verbliebene Senatsangehörige über die Befangenheit ihres Vorsitzenden zu entscheiden gehabt. Dabei hätten sie sich möglicherweise in einem "inneren Zwiespalt" befunden, weil der Vorsitzende durch Beurteilungsbeiträge ihre Karrieren hätte beeinflussen können. Es sei geboten, § 45 ZPO für Spruchköper dahingehend auszulegen, dass über die Ablehnung des Vorsitzenden eines Spruchkörpers ein anderweitiger Spruchkörper des Gerichts zu entscheiden habe.

Der daraus hergeleitete Verfahrensmangel liegt nicht vor. Der erkennende Senat des LSG war ordnungsgemäß besetzt. Der Vorsitzende war weder von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen noch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs ist grundsätzlich gemäß § 202 S 1 SGG iVm § 557 Abs 2 ZPO als unanfechtbare Vorentscheidung im Rechtsmittelverfahren nicht überprüfbar, es sei denn, der Verfahrensfehler haftet wegen seiner Schwere der angegriffenen Entscheidung selbst an. Dies ist der Fall, wenn die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs auf willkürlichen oder manipulativen Erwägungen beruht oder das Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 S 2 GG (gesetzlicher Richter) grundlegend verkannt hat (BSG Beschluss vom 5.8.2003 - B 3 P 8/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 1 RdNr 7 ff mwN), uU auch bei Verstoß gegen das rechtliche Gehör (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 60 RdNr 14b mwN). Entgegen der Bewertung des Klägers lässt seine Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde die wiederholte Ablehnung seiner Befangenheitsgesuche weder willkürlich noch greifbar gesetzeswidrig erscheinen.

b) Weiterhin rügt der Kläger eine mangelhafte Sachverhaltsermittlung durch das LSG (§ 103 S 1 SGG). Die vom LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegte Ausgangssituation entspreche nach seinem schriftlichen Vortrag und seinem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag nicht den Tatsachen. Diesem Vorbringen hätte das LSG zur Aufklärung des Sachverhalts nachgehen sollen und müssen.

Der Kläger führt auf Seite 18 der Beschwerdebegründung insoweit aus, er habe in der mündlichen Verhandlung am 21.12.2016 ua beantragt:

"zum Beweis der Tatsache, dass die Industrie den Kläger lediglich mit der Vermittlung von Werbedamen beauftragt habe, die in dem zu Protokoll gegebenen Aufzeichnungen 'Industriepartner/Auftraggeber Prüfungszeitrum 2006 bis 2009' aufgeführten Personen der dort genannten Unternehmen als Zeugen zu hören."

Die Aufzeichnung "Industriepartner/Auftraggeber Betriebsprüfungszeitraum 2006 - 2009" habe sein Prozessbevollmächtigter dem LSG mit dem Hinweis "Ich hoffe, dass die handschriftlich aufgeführten Namen für Sie lesbar sind" übergeben. Der Vorsitzende habe die Aufzeichnung entgegengenommen. Dabei habe er nicht zu erkennen gegeben, dass die handschriftlich aufgeführten Namen für ihn oder die beisitzenden Richter nicht lesbar seien. Der "Beweisantrag" stehe im Zusammenhang mit seinen Schreiben vom 14.11.2016 und 18.12.2016, mit denen er textlich und mittels der beigefügten Erklärungen der genannten Industrieunternehmen klargestellt habe, dass er keine Werbeaktionen durchgeführt habe, sondern nur beauftragt worden sei, Promotor/innen für Werbeaktionen der betreffenden Industrieunternehmen zu vermitteln.

Mit der Ablehnung der begehrten Zeugenvernehmung hat das LSG nicht gegen § 103 S 1 SGG verstoßen. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn der Verfahrensmangel sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Bei dem im Termin zur mündlichen Verhandlung gestellten Antrag handelt es sich allerdings nicht um einen Beweisantrag, sondern allenfalls um eine Beweisanregung. Schon die Formulierung der beantragten Ermittlungen lässt einen konkreten Bezug zur Ermittlung einer entscheidungserheblichen Tatsache nicht erkennen.

c) Im Zusammenhang mit dem in der mündlichen Verhandlung gestellten "Beweisantrag" führt der Kläger aus, der Vorsitzende sei nach § 106 SGG verpflichtet gewesen, "den (angeblich) unklaren Antrag zu erläutern und dafür zu sorgen, dass sachdienliche Anträge, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentliche Erklärungen abgegeben werden". Demgegenüber habe der Vorsitzende den "Beweisantrag" lediglich zu Protokoll genommen, ohne diesen zu erläutern oder darauf hinzuweisen, dass der Antrag möglicherweise unzureichend sei. Mit dem Verstoß gegen die Verfahrensregelungen des § 106 Abs 1 SGG würde im Übrigen die gerügte Befangenheit des Vorsitzenden gegenüber dem Kläger deutlich.

Soweit man darin zugunsten des Klägers die Rüge einer Verletzung von § 106 SGG sieht, ist ein entsprechender Verfahrensverstoß nicht gegeben. Es ist schon fraglich, worauf konkret der Vorsitzende bzw der Senat den anwaltlich vertretenen Kläger hätte hinweisen sollen, wenn bereits beim Prozessbevollmächtigten des Klägers Zweifel an der Lesbarkeit der im Rahmen des "Beweisantrags" übergebenen Liste bestanden haben. Auch ist eine Pflicht des Vorsitzenden, den "Beweisantrag" eines Beteiligten zu erläutern, nicht ersichtlich.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

4. Der Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage war abzulehnen, da seine Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg hat.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2, § 162 Abs 3 VwGO.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI11669447

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