Leitsatz (amtlich)
Auf die Vertreter der Verbände, die nach SGG § 73 Abs 6 S 3 befugt sind, Verbandsangehörige vor den Sozialgerichten, Landessozialgerichten und dem Bundessozialgericht zu vertreten, sind die Vorschriften anzuwenden, die für die in VwZG § 5 Abs 2 aufgeführten Personengruppen gelten; VwZG § 5 Abs 2 ist sonach auf die vereinfachte Zustellung an Verbandsvertreter ebenso entsprechend anzuwenden, wie dies durch ArbGG § 50 Abs 2 für die in ArbGG § 11 Abs 1 genannten Verbandsvertreter im arbeitsgerichtlichen Verfahren ausdrücklich bestimmt ist.
Normenkette
VwZG § 5 Abs. 2 Fassung: 1952-07-03; SGG § 73 Abs. 6 S. 3 Fassung: 1954-08-10; ArbGG § 11 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 50 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03
Tenor
1. Der Antrag des Klägers, ihm wegen Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wird abgelehnt.
2. Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. November 1958 wird als unzulässig verworfen.
3. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
1. Das Urteil des Landessozialgerichts (LSG.) Baden-Württemberg ist den damaligen Prozeßbevollmächtigten des Klägers, den Sozialreferenten des Verbandes der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands, Landesverband Baden-Württemberg in Stuttgart - VdK. -, am 18. Dezember 1958 vom LSG. gegen Empfangsbekenntnis nach § 5 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) vom 3. Juli 1952 (BGBl. I S. 379) zugestellt worden. Gegen dieses Urteil hat der vom Kläger im Revisionsverfahren bevollmächtigte Vertreter des Gewerkschaftsbundes, Bundesvorstand Kassel, am 5. März 1959 Revision eingelegt, diese Revision ist am 13. März 1959 rechtswirksam zurückgenommen worden. Mit Schriftsatz vom 15. Januar 1959 hat Rechtsanwalt Dr. M als Bevollmächtigter des Klägers durch Eilbrief Revision eingelegt, diese Revisionsschrift ist am 20. Januar 1959 beim Bundessozialgericht (BSG.) eingegangen, der Eilbrief ist am 19. Januar 1959 vom Postamt Ulm abgestempelt; am 16. März 1959 hat Rechtsanwalt Dr. M dem BSG. angezeigt, daß er die Vertretung niedergelegt habe. Mit Schriftsatz vom 16. März 1959 hat sich Rechtsanwalt Sch als Prozeßbevollmächtigter des Klägers legitimiert, er hat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Revisionsfrist beantragt, Revisionsanträge gestellt und die Revision begründet. Zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung hat Rechtsanwalt Sch eine schriftliche Erklärung von Rechtsanwalt Dr. M vorgelegt, in der dieser anwaltschaftlich versichert, daß in seiner Kanzlei angefertigte Schriftsätze nicht vordatiert werden und daß sie regelmäßig spätestens am nächsten Tag nach der maschinenschriftlichen Abfassung unterzeichnet werden; wann der Schriftsatz vom 15. März 1959 zur Post gebracht worden sei, lasse sich mit Sicherheit nicht mehr feststellen.
2. Die Wahrung der Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels gehört zu den Prozeßvoraussetzungen für die Statthaftigkeit des Rechtsmittels und ist von Amts wegen zu prüfen. Die Entscheidung dieser Frage ist davon abhängig, ob die Zustellung am 18. Dezember 1958 wirksam gewesen ist. Nach § 5 Abs. 1 VwZG kann eine Behörde einen Schriftsatz dadurch zustellen, daß der zustellende Bedienstete das Schriftstück dem Empfänger aushändigt, der Empfänger ein mit dem Datum der Aushändigung versehenes Empfangsbekenntnis unterschreibt und der Bedienstete das Datum der Zustellung auf dem auszuhändigenden Schriftstück vermerkt. Nach § 5 Abs. 2, 1. Halbsatz, VwZG kann das Schriftstück "an Behörden, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, Rechtsanwälte, Patentanwälte, Verwaltungsrechtsräte, Notare, Steuerberater und Helfer in Steuersachen auch auf andere Weise übermittelt werden", nach § 5 Abs. 2, 2. Halbsatz VwZG genügt dann "als Nachweis der Zustellung .... das mit Datum und Unterschrift versehene Empfangsbekenntnis, das an die Behörde zurückzusenden ist". Die Zustellung an den zu den damaligen Prozeßbevollmächtigten des Klägers zählenden Sozialreferenten Sch des VdK. ist durch ein solches Empfangsbekenntnis nachgewiesen. Die Sozialreferenten oder Verbandsvertreter des VdK. sind zwar unter den Personengruppen, an die nach § 5 Abs. 2 VwZG vereinfacht zugestellt werden kann, nicht aufgeführt, der VdK. gehört auch nicht zu den Behörden, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts. Es bestehen jedoch keine Bedenken, auf die Vertreter der Verbände, die nach § 73 Abs. 6 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) befugt sind, Verbandsangehörige vor den Sozialgerichten, Landessozialgerichten und dem Bundessozialgericht zu vertreten, die Vorschriften anzuwenden, die für die in § 5 Abs. 2 VwZG aufgeführten Personengruppen gelten (ebenso Tesmer, Die Ortskrankenkasse 1957 S. 245 ff. (257); LSG. Baden-Württemberg, Breithaupt 1957 S. 177 ff. (179); LSG. Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1959 S. 80; Miesbach-Ankenbrank, Anm. zu § 63 SGG, § 5 VwZG, S. 63; a. A. Peters-Sautter-Wolff zu § 63 SGG; Klink, Die Ortskrankenkasse 1959 S. 6 ff.). Der Senat sieht ebenso wie Tesmer und auch Peters-Sautter-Wolff das gesetzgeberische Motiv für die Regelung der vereinfachten Zustellung in § 5 Abs. 2 VwZG in dem besonderen Vertrauen, das die dort aufgeführten Stellen und Personen verdienen. Dieses besondere Vertrauen ist aber jedenfalls nicht nur deshalb gerechtfertigt, weil diese Personengruppen eine durch eine besondere Auslese und Verpflichtung bedingte Stellung im öffentlichen Leben haben und dem Staat und meist auch einer Standesorganisation gegenüber durch ihren Beruf oder ihr Amt verantwortlich sind (so Klink a. a. O.), es ergibt sich vielmehr ebenso auch daraus, daß diese Personengruppen mit der Führung fremder Rechtsangelegenheiten im allgemeinen oder auf einem besonderen Fachgebiet besonders vertraut sind; dieses Vertrauen ist in § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG dadurch zum Ausdruck gekommen, daß die dort aufgeführten Verbandsvertreter, auch wenn sie die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten vor Gericht geschäftsmäßig betreiben, nicht nach § 157 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) in der mündlichen Verhandlung ausgeschlossen sind, im Gegensatz zu Rechtsbeiständen und Prozeßagenten, die nach § 157 Abs. 3 ZPO, auf den in § 73 Abs. 6 Satz 1 SGG verwiesen wird, auch vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit in der mündlichen Verhandlung in der Regel ausgeschlossen sind. Wenn in § 5 Abs. 2 VwZG die in § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG genannten Verbandsvertreter nicht ausdrücklich aufgeführt sind, so erklärt sich dies, wie Tesmer a. a. O. zutreffend ausführt, daraus, daß das SGG vom 3. September 1953 erst nach dem VwZG in Kraft getreten ist. Auch aus der Tatsache, daß in § 50 Abs. 2 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) in der Fassung vom 3. September 1953 (BGBl. I S. 1267) durch die Verweisung auf § 11 Abs. 1 ArbGG und § 212 a ZPO die vereinfachte Zustellung an Verbandsvertreter in der Form, wie sie auch in § 5 Abs. 2 VwZG geregelt ist, zugelassen ist, kann nicht geschlossen werden, daß es sich um eine Ausnahmebestimmung handele, die als solche zu dem Umkehrschluß zwinge, daß im sozialgerichtlichen Verfahren an die nicht ausdrückliche in § 5 Abs. 2 VwZG genannten Personengruppen nicht vereinfacht zugestellt werden dürfe. Die in § 11 Abs. 1 ArbGG genannten Verbandsvertreter decken sich weitgehend mit den in § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG genannten (Vertreter von Gewerkschaften, Arbeitgebervereinigungen, von selbständigen Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung); soweit dies nicht der Fall ist - wie bei den Mitgliedern und Angestellten von Vereinigungen der Kriegsopfer - ergibt sich dies daraus, daß der Vertretung der Kriegsopfer eine besondere Rolle im sozialgerichtlichen Verfahren, nicht aber im arbeitsgerichtlichen Verfahren, zukommt; es kann jedoch keinesfalls gesagt werden, daß die Vertreter von Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen besser zur Vertretung vor Arbeitsgerichten qualifiziert seien als die Vertreter von Vereinigungen der Kriegsopfer zur Vertretung vor den Sozialgerichten. Bei der Neufassung des ArbGG hat ein sachlicher Anlaß bestanden, die Vertretungsbefugnis und die Befugnis zur vereinfachten Zustellung an Verbandsvertreter ausführlich zu regeln, weil das VwZG im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht gilt und weil im Zivilprozeßrecht, das grundsätzlich vom Anwaltszwang ausgeht, für eine Regelung der Vertretungsbefugnis durch und damit auch für eine vereinfachte Zustellung an Verbandsvertreter kein Anlaß bestanden hat. Es kann dahingestellt bleiben, aus welchen Gründen bei Verkündung des SGG eine den § 50 Abs. 2 ArbGG entsprechende Regelung für die vereinfachte Zustellung an Verbandsvertreter unterblieben ist, jedenfalls kann aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Regelung noch nicht geschlossen werden, der Gesetzgeber habe die vereinfachte Zustellung an Verbandsvertreter, wie sie in § 5 Abs. 2 VwZG für andere Personengruppen zugelassen ist, im sozialgerichtlichen Verfahren ausschließen wollen. Es trifft auch nicht zu, daß Ausnahmebestimmungen eine Analogie verbieten und zu einem Umkehrschluß zwingen . Zwar darf eine Vorschrift, die für einen bestimmten Ausnahmefall oder eine Gruppe solcher Fälle erlassen ist, nicht analog angewandt werden auf Fälle, in denen diese Ausnahmesituation nicht gegeben ist, in den Grenzen des Grundgedankens der Ausnahmevorschrift ist aber sehr wohl eine Analogie statthaft (vgl. z. B. Engisch, Einführung in das juristische Denken S. 147/148). Der Grundgedanke für die Ausnahmevorschrift in § 5 Abs. 2 VwZG und in den §§ 50 Abs. 2, 11 Abs. 1 ArbGG ist die besondere Vertrauenswürdigkeit bestimmter Personengruppen und ihre besondere Vertrautheit mit Grundsätzen des allgemeinen Prozeßrechts oder das arbeitsgerichtlichen Verfahrens, die sie auch dann haben können und in der Regel auch haben werden, wenn sie nicht unter "personeller oder sachlicher Aufsicht" des Staates oder einer berufsständischen Vertretung stehen. Dieser Grundgedanke trifft für das sozialgerichtliche Verfahren auch für die nicht ausdrücklich in § 5 Abs. 2 VwZG erwähnten Vertreter der in § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG genannten Verbände zu. Auch die Tätigkeit von Verbandsvertretern im arbeitsgerichtlichen Verfahren ist nicht grundsätzlich anders als die Tätigkeit der Vertreter der im § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG genannten Verbände im sozialgerichtlichen Verfahren. § 5 Abs. 2 VwZG ist sonach auf die vereinfachte Zustellung an Verbandsvertreter im sozialgerichtlichen Verfahren ebenso entsprechend anzuwenden, wie dies durch § 50 Abs. 2 ArbGG für die in § 11 Abs. 1 ArbGG genannten Verbandsvertreter im arbeitsgerichtlichen Verfahren ausdrücklich bestimmt ist.
2. Da das Urteil des LSG. den damaligen Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 18. Dezember 1958 wirksam zugestellt worden ist, hat die Revisionsfrist am 19. Dezember 1958 begonnen (§ 64 Abs. 1 SGG), sie hat, da der 18. Januar 1959 auf einen Sonntag fiel, am 19. Januar 1959 geendet (§ 64 Abs. 2 und 3 SGG). Die Revisionsschrift vom 15. Januar 1959 ist aber am 20. Januar 1959, also nach Fristablauf, beim BSG. eingegangen. Der Senat hat keine Bedenken gegen die anwaltschaftliche Versicherung von Rechtsanwalt Dr. M, daß der Schriftsatz vom 15. Januar 1959 nicht vordatiert ist; Rechtsanwalt Dr. M hat aber auch erklärt, er könne nicht mehr mit Sicherheit feststellen, wann der Schriftsatz zur Post gebracht worden sei. Da der Eilbrief, mit dem die Revisionsschrift dem BSG. übersandt worden ist, den Poststempel vom 19. Januar 1959 trägt, ist davon auszugehen, daß der Eilbrief auch an diesem Tag, also an dem Tag, an dem die Revisionsfrist abgelaufen ist, zur Post gegeben worden ist. Der Kläger hat in seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht dargelegt, daß Rechtsanwalt Dr. M ohne Verschulden gehindert gewesen sei, die Revisionsfrist einzuhalten; die Revision hätte selbst dann noch rechtzeitig telegrafisch eingelegt werden können, wenn der am 15. Januar 1959 gefertigte Schriftsatz bis zum 19. Januar 1959 liegen geblieben ist. Ein Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten muß der Kläger aber ebenso gegen sich gelten lassen wie sein eigenes Verschulden (§ 73 Abs. 3 Satz 2 SGG). Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist deshalb abzulehnen (§ 67 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 SGG). Da die Revision nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt worden ist, ist sie schon deshalb als unzulässig zu verwerfen (§ 169 Satz 2 SGG); es bedarf keiner Erörterung darüber, ob sie auch noch aus anderen Gründen unzulässig wäre.
3. Die Entscheidung über die Kosten ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen