Verfahrensgang

Sächsisches LSG (Urteil vom 14.06.2017; Aktenzeichen L 6 KN 39/16)

SG Dresden (Entscheidung vom 18.12.2015; Aktenzeichen S 24 KN 410/15)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 14. Juni 2017 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Das Sächsische LSG hat mit Urteil vom 14.6.2017 einen Anspruch des Klägers auf höhere Altersrente für schwerbehinderte Menschen unter Berücksichtigung der in der Rehabilitierungsbescheinigung vom 8.1.2002 nach § 3 des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes (BerRehaG) anerkannten Verfolgungszeiten (Verfolgte Schüler) als Pflichtbeitragszeiten nach §§ 11, 13 BerRehaG verneint.

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Kläger einen Verfahrensfehler und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Beschwerdebegründung vom 18.9.2017 genügt nicht der vorgeschriebenen Form. Er hat weder den geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) in der hierfür erforderlichen Weise bezeichnet, noch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ordnungsgemäß dargetan (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht.

Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger in seiner Beschwerdebegründung nicht. Er stützt die Rüge eines Verfahrensmangels darauf, dass das LSG nicht auf den "sachdienlichen Antrag auf Einbeziehung des Vorbescheids (Umwertungsbescheid der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit) hingewirkt" habe.

Dieser sinngemäß behauptete Verstoß gegen die prozessuale Fürsorgepflicht (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 S 2 SGG; vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 123 RdNr 3; Schmidt, ebd, § 112 RdNr 8) ist nicht substantiiert dargelegt. Es fehlt jedenfalls an hinreichenden Ausführungen dazu, dass das Berufungsurteil auf diesem behaupteten Verfahrensmangel beruhen kann. Dies wäre nur dann der Fall, wenn eine Klageerweiterung "sachdienlich" iS des § 99 Abs 1 SGG gewesen wäre und zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis geführt hätte.

Dafür hätte der Kläger zumindest darlegen müssen, dass eine Klageerweiterung zulässig gewesen wäre, denn nur dann hätte über sie auch eine Sachentscheidung getroffen werden können (vgl BSG Beschluss vom 7.9.1999 - B 2 U 190/99 B - Juris RdNr 3 mwN). Insoweit gelten für eine geänderte Klage (§ 99 Abs 1 SGG) die üblichen Prozessvoraussetzungen wie für eine neue Klage. Dazu gehört, dass über die Gewährung von Sozialleistungen vor der Klageerhebung ein Verwaltungsverfahren geführt und mit einem Verwaltungsakt abgeschlossen worden ist (vgl BSG Urteil vom 16.11.2005 - B 2 U 28/04 R - Juris RdNr 11).

Der Kläger trägt aber nicht vor, dass die Beklagte in dem angegriffenen Bescheid über die Neufeststellung der Altersrente vom 21.5.2003 oder in einem davon gesonderten Bescheid auch eine Neufeststellung über die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit getroffen hat.

Er behauptet lediglich, dass eine solche Neufeststellung auf Antrag nach § 309 Abs 1a SGB VI iVm §§ 3, 12 Abs 2 BerRehaG zu einer höheren Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bis zu deren Umwandlung in die Altersrente ab 1.6.2003 geführt haben könnte.

Sollte der Kläger darauf abzielen, dass der "Vorbescheid" auch ohne Neufeststellung bzw Zugunstenentscheidung inzident bei der Anwendung des § 88 SGB VI für den Zeitraum ab 1.6.2003 zu überprüfen sei, so würde dies nicht das Verfahrensrecht betreffen, sondern das materielle Recht. Auf die Behauptung der inhaltlichen Unrichtigkeit einer Entscheidung kann die Nichtzulassungsbeschwerde aber nicht gestützt werden (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 9.1.2014 - B 13 R 157/14 B - Juris RdNr 9).

2. Für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung ist in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung zu bezeichnen und schlüssig aufzuzeigen, dass diese klärungsbedürftig, in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 19, Nr 22 RdNr 5; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 2 ff, Nr 9 RdNr 4, jeweils mwN). Es muss aus der Beschwerdebegründung ersichtlich sein, dass sich die Antwort auf die Rechtsfrage nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt; hierzu bedarf es der Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Entscheidungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung. Diese Anforderungen, die allerdings nicht überspannt werden dürfen, sind verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG ≪Kammer≫ SozR 4-1500 § 160a Nr 12 RdNr 3 f, Nr 16 RdNr 4 f, Nr 24 RdNr 5 ff).

Der Kläger misst der Frage grundsätzliche Bedeutung bei,

"ob verfolgte Schüler mit bestandskräftig gewordener Rehabilitierungsbescheinigung nach §§ 3 Abs 1 Nr 1, 22 Abs 2 BerRehaG die Anerkennung einer verfolgungsbedingten Unterbrechung der Schulausbildung für einen bestimmten Verfolgungszeitraum, hier: 1.9.1957 bis 31.8.1960, keinen rentensteigernden Nachteilsausgleich nach §§ 11, 13 BerRehaG durch Anerkennung von weiteren Pflichtbeitragszeiten oder auch Anrechnungszeiten erhalten, wenn und soweit - wie im vorliegenden Fall - die Anwendung von § 88 Abs 1 SGB VI dazu führt, dass sich trotz Anwendung von §§ 3 Abs 1 S 2, 12 Abs 2 BerRehaG kein höherer Zahlbetrag der Folgerente (hier: Altersrente wegen Schwerbehinderung) ergibt."

Es kann dahinstehen, ob darin eine hinreichend klare Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht liegt. Denn der Kläger hat jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht ausreichend dargelegt. Wer mit der Nichtzulassungsbeschwerde einen Verfassungsverstoß geltend macht, darf sich nicht auf die bloße Benennung angeblich verletzter Grundrechte (hier Art 3 Abs 1 GG) beschränken. Vielmehr muss - unter Einbeziehung der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur - im Einzelnen aufgezeigt werden, welche Regelungen welche Auswirkungen haben und woraus sich konkret die gerügte Ungleichbehandlung ergeben soll. Dazu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verfassungsverletzung dargelegt werden (vgl BSG Beschluss vom 14.12.2017 - B 5 R 202/17 B - Juris RdNr 15; BSG Beschluss vom 4.10.2017 - B 12 R 6/17 B - Juris RdNr 15).

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Soweit der Kläger eine willkürliche Ungleichbehandlung von Schülern allgemeinbildender Schulen mit der Personengruppe rügt, die bereits eine berufsbezogene Ausbildung begonnen hat, setzt er sich nicht mit der vom LSG herangezogenen systematischen Unterscheidung von Pflichtbeitragszeiten (§§ 50, 70 SGB VI) und Anrechnungszeiten (§ 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB VI) im Rentenrecht auseinander. Abgesehen davon bleibt unklar, warum es bei der Beantwortung der von ihm aufgeworfenen Frage gerade auf die Anerkennung von Pflichtbeitragszeiten statt - wie hier - von Anrechnungszeiten ankommen sollte.

Soweit es der Kläger für gleichheitswidrig hält, dass in seinem Fall aus der Rehabilitierung nach § 3 Abs 1 S 1 Nr 1 und S 2 iVm § 12 Abs 2 BerRehaG aufgrund des § 88 Abs 1 S 1 SGB VI kein höherer Zahlbetrag resultierte, setzt er sich nicht mit der Bedeutung dieser Norm als Besitzschutzregelung auseinander. Dem Kläger gelingt daher keine nachvollziehbare Darlegung, weshalb die ausschließlich zugunsten des Versicherten auswirkenden Rechtsfolge des § 88 Abs 1 S 1 SGB VI, wonach für eine spätere Rente mindestens die bisherigen persönlichen Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, eine Benachteiligung gegenüber den Versicherten darstellen kann, die keinen Anspruch auf Besitzschutz haben. Denn ohne die Auswirkung des § 88 Abs 1 SGB VI wäre es zwar auch bei ihm durch die berufliche Rehabilitierung zu einer Erhöhung der persönlichen Entgeltpunkte mit der Folge einer höheren Altersrente gekommen. Dann wäre der Rentenzahlbetrag der Altersrente aber geringer ausgefallen als der der Erwerbsunfähigkeitsrente.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI12076529

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