Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Zulässige Rüge eines Verfahrensfehlers. Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes. Anforderungen an einen Beweisantrag. Nichtbefolgung des Beweisantrags
Orientierungssatz
Wurde die Vernehmung eines bestimmten Zeugen zuvor schriftsätzlich beantragt, hat das LSG diesen Zeugen unter Angabe eines bestimmten Beweisthemas zum Termin geladen und wartete der Zeuge vor dem Sitzungssaal auf seine Vernehmung, so handelt es sich bei der in der mündlichen Verhandlung vom Prozessbevollmächtigten abgegebenen Erklärung, es werde "nach wie vor angeregt" ua diesen Zeugen zu hören, um einen Beweisantrag iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 103
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung eines Eingliederungszuschusses.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin, die den schwerbehinderten C als Handwerker eingestellt hatte, im April 1999 einen monatlichen Zuschuss von 2.087,93 DM für den Förderungszeitraum 15. Februar 1999 bis 14. Februar 2000. Im April 2000 kündigte die Klägerin mit Zustimmung der Hauptfürsorgestelle das Arbeitsverhältnis des C zum 31. Mai 2000. Die Beklagte hob daraufhin mit dem angefochtenen Bescheid die Leistungsbewilligung rückwirkend auf und forderte Erstattung der ausbezahlten 22.967,23 DM. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) C als Zeugen zum Verhandlungstermin vom 23. November 2004 geladen und den Beteiligten als Beweisthema Fragen zum Verhalten des C bei Erkrankung bzw zur Abmahnung durch die Klägerin mitgeteilt. In der mündlichen Verhandlung hat das LSG ausweislich der Niederschrift vom 23. November 2004 ua den anwesenden Vorstandsvorsitzenden der Klägerin befragt, hat jedoch den vor dem Sitzungssaal wartenden Zeugen C trotz einer festgehaltenen Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, es werde nach wie vor angeregt, ua den Zeugen C zu hören, nicht vernommen. Später hat die Klägerin Berichtigung des Protokolls sowie Berichtigung des Tatbestandes des angefochtenen Urteils beantragt und hierzu vorgetragen, ihr Prozessbevollmächtigter habe zunächst die Vernehmung von Zeugen beantragt und sich nur aufgrund eines Hinweises des Vorsitzenden ("Sie können hier gar nichts beantragen, Sie können nur anregen") auf die protokollierte Anregung beschränkt; diese Berichtigungsanträge hat das LSG abgelehnt.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das LSG die Berufung der Klägerin gegen den klageabweisenden erstinstanzlichen Gerichtsbescheid zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt: Der angefochtene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid sei rechtmäßig. Die Rückzahlungspflicht folge aus § 223 Abs 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der bis 31. Juli 1999 geltenden Fassung; die für die Zeit danach geänderte Fassung sei nicht anwendbar. Ein Ausnahmetatbestand gemäß § 223 Abs 2 Satz 2 SGB III sei nicht gegeben. Der Klägerin habe zu keinem Zeitpunkt ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit C zugestanden (§ 223 Abs 2 Satz 2 Nr 1 SGB III). Auf das Vorbringen der Klägerin lasse sich ein solches Recht nicht stützen; es habe dem Senat auch keinen Anlass gegeben, den ua benannten Zeugen C zu hören. Die Klägerin habe die Zeiten, zu denen C unentschuldigt der Arbeit fern geblieben sei, nicht genau bezeichnet. Dem Vortrag der Klägerin sei nicht klar zu entnehmen, ob sie überhaupt bzw wann genau eine Abmahnung ausgesprochen habe und ob die von ihr angesprochenen Abmahnungen den arbeitsrechtlich gebotenen Anforderungen genügten. Dazu befragt, ob die Klägerin noch Tatsachen vortragen wolle, die der Senat noch nicht kenne, habe der Vorstandsvorsitzende der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nichts vorgebracht, woraus eine Ermahnung oder Warnung des Zeugen C zu entnehmen sei. Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, nach § 223 Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGB III von der Rückzahlungspflicht befreit zu sein, da die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf das Bestreben des C hin erfolgt sei.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt die Klägerin als Verfahrensfehler gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Verletzungen der Amtsermittlungspflicht sowie des rechtlichen Gehörs. Das LSG habe sich trotz Ladung des Zeugen C unter Angabe von Beweisfragen damit begnügt, den Zeugen aus dem Saal zu schicken und ihn dort bis zum Ende der Verhandlung warten zu lassen. Die "Befragung" des Vorstandsvorsitzenden der Klägerin habe sich auf die Frage des Vorsitzenden beschränkt, ob er noch Tatsachen vortragen wolle, die der Senat nicht kenne. Dass das LSG nun entgegen seinem eigenen Beweisbeschluss ausführe, es gebe keinerlei Anlass zu weiteren Ermittlungen, könne nur als richterlicher Willkürakt bezeichnet werden. Auch habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorsorglich nochmals den Antrag gestellt, ua den Zeugen C zu den schriftsätzlich bereits eingehend diskutierten Beweisthemen zu hören. Stattdessen habe der Vorsitzende des Senats dem Prozessbevollmächtigten wörtlich mitgeteilt, er könne "hier gar nichts beantragen", sondern "nur anregen"; dies sei auch Gegenstand von Anträgen auf Berichtigung des Protokolls bzw des Tatbestandes gewesen. Dieser Umgang des LSG mit den Beweisanträgen der Klägerin sei als unkorrekt, überraschend und irreführend im Sinne eines fairen Verfahrens zu werten. Eine Sachaufklärung jedenfalls durch Vernehmung des Zeugen C sei im Hinblick auf § 223 Abs 2 Satz 2 Nr 1 und Nr 2 SGB III notwendig gewesen. Dies habe die Klägerin auch in mehreren Schriftsätzen näher ausgeführt. Außerdem habe die Rechtssache im Hinblick auf die Frage, ob vorliegend § 223 SGB III in der ab 1. August 1999 geltenden Fassung anzuwenden sei, grundsätzliche Bedeutung.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig und begründet, soweit sie als Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG eine Verletzung des § 103 SGG rügt und in diesem Zusammenhang geltend macht, das LSG sei einem Beweisantrag der Klägerin ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt.
In der Begründung der Beschwerde wird der behauptete Verfahrensmangel schlüssig bezeichnet. Der Beschwerdeführer legt die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen - insbesondere Antrag, den Zeugen C zu hören, Nichtvernehmung des Zeugen, keine hinreichende Begründung des LSG - substantiiert dar (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Dargelegt ist auch, dass die angefochtene Entscheidung auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 36).
Der gerügte Verfahrensmangel liegt auch tatsächlich vor; das LSG ist einem Beweisantrag der Klägerin ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Die angefochtene Entscheidung des LSG kann auch auf dem Verfahrensmangel beruhen.
Bei der in der mündlichen Verhandlung vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin abgegebenen Erklärung, es werde "nach wie vor angeregt", ua den Zeugen C zu hören, handelt es sich um einen Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Denn mit dieser Erklärung hat die Klägerin dem LSG in der mündlichen Verhandlung hinreichend deutlich vor Augen geführt, dass sie die gerichtliche Aufklärungspflicht in einem bestimmten Punkt noch nicht als erfüllt ansieht ("Warnfunktion", vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 21). Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Klägerin zuvor bereits schriftsätzlich die Vernehmung des Zeugen C beantragt hatte, dass das LSG den Zeugen C unter Angabe eines bestimmten Beweisthemas zum Termin geladen hatte und dass der Zeuge vor dem Sitzungssaal auf seine Vernehmung wartete. Unter diesen Umständen steht die Formulierung, es werde nach wie vor angeregt, den Zeugen zu hören, der Wertung der Erklärung als Beweisantrag im Sinne der Rechtsprechung zu § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht entgegen. Auch die protokollierte Anregung konnte unter den gegebenen Umständen vom LSG nicht anders verstanden werden, als dass die Klägerin das LSG unter Hinweis auf die Amtsermittlungspflicht auffordern wollte, den Zeugen jedenfalls zu den in der Ladung bezeichneten Beweisfragen zu hören. Offen bleiben kann deshalb, ob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin - wie die Beschwerde geltend macht - vor der Protokollierung der Anregung zunächst einen Antrag auf Vernehmung des Zeugen stellen wollte und hiervon nur durch einen Hinweis des Vorsitzenden, es sei nur eine Anregung möglich, abgehalten wurde.
Das LSG ist dem Antrag, den Zeugen C zu hören, auch ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt und das angefochtene Urteil kann auf diesem Verfahrensmangel beruhen. Denn nach der - für die Beurteilung des behaupteten Verfahrensmangels maßgeblichen - Rechtsauffassung des LSG war entscheidungserheblich, ob die Klägerin berechtigt war, das Arbeitsverhältnis des C aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen (§ 223 Abs 2 Satz 2 Nr 1 SGB III in der bis 31. Juli 1999 geltenden Fassung). Es kam deshalb entscheidend auf die Beantwortung der im Zusammenhang mit der Ladung des Zeugen C durch das LSG formulierten Fragen an, ob C mehrfach seiner Meldepflicht im Krankheitsfall nicht nachgekommen und ob er deshalb mehrfach von der Klägerin abgemahnt worden sei. Die Ausführungen des LSG im angefochtenen Urteil, die Klägerin selbst habe die krankheitsbedingten Fehlzeiten des C nicht genau bezeichnet und habe nicht eindeutig genug zum Gesichtspunkt der Abmahnung vorgetragen, sind nicht mit den Grundprinzipien der Amtsermittlung zu vereinbaren und stellen keine hinreichende Begründung für die Nichtbefolgung des Beweisantrages dar. Denn unabhängig davon, dass sich die Klägerin - wie von der Beschwerde näher ausgeführt - in ihren in den Tatsacheninstanzen eingereichten Schriftsätzen zum Gesichtspunkt mehrfacher Pflichtverletzungen des C bzw der Abmahnung geäußert hat, war der in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag gerade darauf ausgerichtet, von C Tatsachen zu den angesprochenen Fragen in Erfahrung zu bringen. Dass C entsprechende Angaben hätte machen können, was die Klägerin mit ihrem Beweisantrag sinngemäß behauptet hat, kann allein aufgrund der Würdigung der von der Klägerin bzw ihrem Vorstandsvorsitzenden sonst abgegebenen Erklärungen nicht ausgeschlossen werden.
Da somit die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 160a Abs 5 SGG).
Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen