Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 27. Januar 2022 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil als Zulassungsgrund weder ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, noch eine grundsätzliche Bedeutung in der gebotenen Weise dargelegt oder bezeichnet wird (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).
1. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; siehe bereits BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36).
Die Beschwerde wird diesen Darlegungsanforderungen nicht gerecht. Der Kläger, der in der Sache höhere Leistungen für Unterkunftskosten begehrt, macht die Verletzung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren durch eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör geltend. Das LSG habe ihm eine für das Verfahren bedeutsame Stellungnahme der Firma, die das Konzept zu den Unterkunftskosten für den Beklagten erstellt hat, vom 3.12.2021 nicht zur Kenntnis gebracht. Voraussetzung für eine erfolgreiche Gehörsrüge ist allerdings, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles Zumutbare getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (stRspr; vgl etwa BVerfG vom 18.8.2010 - 1 BvR 3268/07; BSG vom 26.7.2016 - B 4 AS 47/15 R - BSGE 122, 25 = SozR 4-1500 § 114 Nr 2, RdNr 36; BSG vom 30.8.2018 - B 2 U 230/17 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 38; BSG vom 3.11.2021 - B 4 AS 186/21 B - RdNr 7). Selbst wenn dem Kläger die besagte Stellungnahme vom 3.12.2021 nicht zeitnah übersandt worden sein sollte, ist diese nach seinem Vorbringen und dem Inhalt des vorgelegten Sitzungsprotokolls jedenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Die Beschwerdebegründung hätte deshalb aufzeigen müssen, was in dieser Situation veranlasst wurde, um noch vor der Entscheidung des LSG Kenntnis vom Inhalt dieser Stellungnahme zu erlangen. Zumutbar und naheliegend wäre etwa gewesen, eine Unterbrechung oder Vertagung der mündlichen Verhandlung zu beantragen, um die Stellungnahme zur Kenntnis nehmen und zu ihrem Inhalt ggf weiter vortragen zu können. Entsprechende Anträge hat der Kläger indessen nach seinem Vorbringen nicht gestellt. Er hat damit nicht aufgezeigt, alles Zumutbare unternommen zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen.
Soweit die Beschwerde weiter ausführt, der Kläger habe nicht davon ausgehen können, dass das LSG in seiner Entscheidung auf diese Stellungname abstelle, macht er eine Überraschungsentscheidung des LSG geltend. Eine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung liegt aber nur vor, wenn das Urteil auf Gesichtspunkte gestützt wird, die bisher nicht erörtert worden sind, und dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (stRspr; vgl etwa BVerfG vom 1.8.2017 - 2 BvR 3068/14 - NJW 2017, 3218 ff, 3219; BSG vom 22.4.2015 - B 3 P 8/13 R - BSGE 118, 239 = SozR 4-3300 § 23 Nr 7, RdNr 37; BSG vom 13.3.2018 - B 11 AL 19/17 B - juris, RdNr 9; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 62 RdNr 8b). Der Verfahrensmangel einer Überraschungsentscheidung ist deshalb nur dann schlüssig bezeichnet, wenn im Einzelnen vorgetragen wird, aus welchen Gründen auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs nicht damit rechnen musste, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bestimmten Gesichtspunkt stützt (zu den Anforderungen vgl etwa BSG vom 7.6.2016 - B 13 R 40/16 B - juris, RdNr 9). Dem wird das Vorbringen nicht gerecht. Die Beschwerde legt nicht dar, warum in einem langwierigen Verfahren mit zahlreichen Hinweisen und Stellungnahmen zur Schlüssigkeit des Konzepts des Beklagten gerade diese eine Stellungnahme vom 3.12.2021 für das LSG ohne Bedeutung hätte sein können. Ausweislich des Sitzungsprotokolls hat der Beklagte im Termin ausdrücklich erklärt, die in dieser Stellungnahme mitgeteilten Mietwerte verbindlich anzuerkennen, woraus sogar auf eine besondere Relevanz der Stellungnahme zu schließen ist. Zutreffend weist der Beklagte im Übrigen darauf hin, dass es keine über das Verbot einer Überraschungsentscheidung hinausgehende allgemeine Pflicht des Gerichts zu einem Hinweis zu seiner Rechtsauffassung gibt, denn diese würde eine tatsächliche und rechtliche Würdigung voraussetzen, die sich regelmäßig erst aufgrund einer abschließenden Beratung ergeben kann (stRspr; vgl etwa BSG vom 26.7.2016 - B 4 AS 47/15 R - BSGE 122, 25 = SozR 4-1500 § 114 Nr 2, RdNr 34 f mwN).
2. Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert wird. Weiter muss ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit im jeweiligen Rechtsstreit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufgezeigt werden (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht gerecht. Bei der formulierten Frage zur Notwendigkeit einer Erhöhung des Angemessenheitswerts eines Konzepts zu Kosten der Unterkunft - abhängig von verschiedenen, in der Frage unterstellten Bedingungen - dürfte es sich schon nicht um eine abstrakt zu beantwortende Rechtsfrage handeln. Die Frage zielt eher auf die Rechtsanwendung im Einzelfall, deren mögliche Unrichtigkeit die Zulassung der Revision indessen nicht zu rechtfertigen vermag (stRspr; vgl nur BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7).
Dies kann dahinstehen, denn jedenfalls ist weder die Klärungsbedürftigkeit noch die Entscheidungserheblichkeit der Frage schlüssig aufgezeigt. Die Beschwerdebegründung macht nicht in der gebotenen Weise deutlich, warum die Frage durch die umfangreiche Rechtsprechung des BSG zur Angemessenheit der Kosten der Unterkunft (vgl zB - die bisherige Rechtsprechung zusammenfassend - BSG vom 30.1.2019 - B 14 AS 24/18 R - BSGE 127, 214 = SozR 4-4200 § 22 Nr 101; zuletzt Senatsurteil vom 5.8.2021 - B 4 AS 82/20 R - vorgesehen für SozR 4) nicht zu klären bzw nicht schon geklärt ist. Insbesondere hätte es einer Auseinandersetzung mit den Ausführungen des BSG in seinem Urteil vom 30.1.2019 (B 14 AS 24/18 R, aaO) bedurft, wonach die Erstellung eines schlüssigen Konzepts zur Ermittlung der abstrakt angemessenen Nettokaltmiete gerichtlich zwar voll überprüfbar ist, aber nicht durch das Gericht ersetzt werden darf. Denn hierauf zielt letztlich die mit der aufgeworfenen Frage intendierte Erhöhung der im Konzept enthaltenen Werte um einen Sicherheitszuschlag unter bestimmten Voraussetzungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Meßling Burkiczak Söhngen
Fundstellen
Dokument-Index HI15414126 |