Entscheidungsstichwort (Thema)

Leistungsantrag. Auslegung

 

Orientierungssatz

Ein Antrag erhält ohne Rücksicht auf seine Formulierung im allgemeinen das Begehren, alle Leistungen geltend zu machen, die dem Antragsteller zustehen (vgl BSG vom 19.3.1986 7 RAr 48/84 = BSGE 60, 43, 47 mwN).

 

Normenkette

SGB 1 § 16 Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 26.10.1988; Aktenzeichen III JBf 44/88)

 

Gründe

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Hamburg vom 26. Oktober 1988 ist unzulässig, weil der Kläger seine Beschwerde nicht substantiiert begründet hat. Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 Nrn 1 bis 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) genannten Gründen - grundsätzliche Bedeutung, Divergenz oder Verfahrensfehler - zugelassen werden. Der Kläger hat sich auf grundsätzliche Bedeutung berufen. In der Beschwerdebegründung muß jedoch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache "dargelegt" werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gehört es, daß der Beschwerdeführer die Rechtsfrage, um die es nach seiner Auffassung geht, selbst formuliert und die nach seiner Meinung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Wege der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und dabei insbesondere den Schritt darstellt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Der Kläger hat zwar eine Rechtsfrage kenntlich gemacht, die nach seiner Auffassung klärungsbedürftig ist. Er hat jedoch nicht dargelegt, inwiefern es auf diese Rechtsfrage in seinem Fall ankommen soll. Klärungsbedürftig ist nach Meinung des Klägers die Frage, ob bei einem Antrag eines Versicherten nach dem deutsch-amerikanischen Sozialversicherungsabkommen die "Meistbegünstigung" gilt, und zwar in dem Sinne, daß der Versicherte mit einem Antrag alles gefordert hat, was er beantragen kann. Außerdem hält der Kläger für klärungsbedürftig, ob es sich bei der Ausschlußfrist im deutsch-amerikanischen Sozialversicherungsabkommen um eine sog materielle Ausschlußfrist handelt, gegen die es Wiedereinsetzung nicht gibt.

Hinsichtlich beider Rechtsfragen hat der Kläger nicht dargetan, inwiefern es auf sie in seinem Falle ankommen kann. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist bereits allgemein geklärt, daß ein Antrag ohne Rücksicht auf seine Formulierung im allgemeinen das Begehren enthält, alle Leistungen geltend zu machen, die dem Antragsteller zustehen (BSGE 60, 43, 47 mwN). Dabei muß aber berücksichtigt werden, daß bei jeder Auslegung einer Willenserklärung ein tatsächlicher und ein rechtlicher Teil unterschieden werden müssen. Die Feststellung des tatsächlichen Teils obliegt allein dem Tatsachengericht. Die vom Revisionsgericht nachprüfbare Würdigung der rechtlichen Bedeutung einer Willenserklärung setzt die grundsätzlich bindende (§ 163 SGG) tatrichterliche Feststellung voraus, was der Erklärende sprachlich, sei es mündlich oder schriftlich, erklärt hat (Erklärungswortlaut) und was er mit seiner Erklärung wirklich gewollt hat (Erklärungsinhalt). Dabei sind alle, auch die außerhalb der sprachlichen Erklärung liegenden Umstände zu berücksichtigen, sofern sie gegenüber dem Empfänger der Erklärung in irgendeiner Weise Ausdruck gefunden haben (vgl BSG SozR 5070 § 10a Nr 3 S 6 mwN). Das LSG hat in der vom Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß sich der Rentenantrag des Klägers vom 10. Mai 1984 nicht als Antrag auf Wiedereinzahlung erstatteter Beiträge auslegen läßt. Es fehle an jedem Anhaltspunkt, auf den eine solche Auslegung sich stützen ließe. Der Kläger habe durch nichts angedeutet, daß er von diesem Recht Gebrauch machen wolle. Er habe im Gegenteil die Frage nach einer etwaigen Beitragserstattung - wahrheitswidrig - verneint. Es wäre Sache des Klägers gewesen, mit der Nichtzulassungsbeschwerde darzutun, inwiefern dennoch bei Zugrundelegung dieser Tatsachen es auf eine Rechtsfrage hinsichtlich der Auslegung von Willenserklärungen ankommen kann.

Dasselbe gilt hinsichtlich der Rechtsfrage, ob die Fristen nach dem deutsch-amerikanischen Sozialversicherungsabkommen materielle Ausschlußfristen sind. Voraussetzung für die Erheblichkeit dieser Rechtsfrage wäre, daß dem Kläger, gesetzt es handele sich nicht um eine materielle Ausschlußfrist, die Wiedereinsetzung gewährt werden könnte. Angesichts des von dem LSG hervorgehobenen Umstandes, daß der Kläger 5 Jahre Zeit hatte, seinen Antrag auf Nachentrichtung zu stellen, ist dies nicht zweifelsfrei. Insoweit fehlt es an ausdrücklichen Darlegungen seitens des Klägers. Im übrigen hat der erkennende Senat durch Urteil vom 22. Februar 1989 - 5 RJ 42/88 - zu einem hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen des LSG vergleichbaren Sachverhalt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verneint.

Die Beschwerde des Klägers ist nach alledem unzulässig und durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§§ 202 SGG iVm 574 Zivilprozeßordnung und § 169 SGG analog; vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1, 5; BVerfG aaO Nr 30).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654114

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