Verfahrensgang
SG Aurich (Entscheidung vom 13.06.2018; Aktenzeichen S 16 R 134/14) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 11.02.2021; Aktenzeichen L 12 R 128/18) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11. Februar 2021 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die im Jahr 1975 geborene Klägerin begehrt eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte nach Einholung ärztlicher Berichte sowie eines internistischen und eines orthopädischen Gutachtens eine Leistungsgewährung ab (Bescheid vom 9.10.2013 und Widerspruchsbescheid vom 17.3.2014). Das SG hat weitere Befundberichte und ein orthopädisches Gutachten sowie nach § 109 SGG ein psychiatrisches Gutachten eingeholt und die Klage abgewiesen (Urteil vom 13.6.2018). Das LSG hat im Berufungsverfahren ein weiteres psychiatrisches Gutachten nach Aktenlage eingeholt und sodann ebenfalls einen Anspruch der Klägerin auf eine Rente wegen Erwerbsminderung verneint (Beschluss vom 11.2.2021). Nach dem Ergebnis der sozialmedizinischen Ermittlungen sei die Klägerin trotz ihrer Erkrankungen zu dem Zeitpunkt, an dem sie letztmals die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (3/5-Belegung) erfüllt habe (28.2.2014), noch in der Lage gewesen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt körperlich leichte Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt. Sie rügt Verfahrensmängel.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Die Klägerin hat einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht.
a) Die Klägerin rügt eine Verletzung des § 103 SGG, weil das LSG ihre Beweisanträge nicht berücksichtigt habe. Sie habe mit Schriftsatz vom 14.2.2020 Beweisanträge gestellt, die darauf gerichtet gewesen seien,
- eine ergänzende Begutachtung mit persönlicher Untersuchung auf psychiatrischem Gebiet durchzuführen,
- hilfsweise das vorliegende Gutachten von Dr. T um eine persönliche Begutachtung zu ergänzen,
- den Sachverständigen Dr. G bezüglich des Vorliegens psychischer Beeinträchtigungen in den Jahren 2013/2014 ergänzend zu befragen und
- den behandelnden Arzt Dr. M bezüglich des Vorliegens psychischer Beeinträchtigungen in den Jahren 2013/2014 ergänzend als sachverständigen Zeugen zu befragen.
Obgleich sie diese Beweisanträge mit Schriftsatz vom 1.4.2020 ausdrücklich aufrechterhalten habe, seien sie vom LSG bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt worden.
Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht geltend gemacht, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr, vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 3.4.2020 - B 9 SB 71/19 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 20.1.2021 - B 5 R 248/20 B - juris RdNr 7; Fichte in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 160a RdNr 56).
Es fehlt bereits an hinreichendem Vortrag dazu, dass die Klägerin ihre Anträge bis zum Schluss aufrechterhalten hat. Auf welchen gerichtlichen Hinweis ihr als Anlage zur Beschwerdebegründung beigefügter Schriftsatz vom 1.4.2020 Bezug nahm und in welcher Weise sich das Berufungsverfahren in den mehr als neun Monaten nach Absendung dieses Schriftsatzes weiter entwickelte, wird aus der Beschwerdebegründung nicht ersichtlich (zum Aufrechterhalten eines Beweisantrags nach Anhörung zu einer Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG vgl BSG Beschluss vom 6.2.2007 - B 8 KN 16/05 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 7; BSG Beschluss vom 14.3.2019 - B 5 R 22/18 B - juris RdNr 21 f).
Die Klägerin zeigt aber auch nicht schlüssig auf, inwiefern weiterer Aufklärungsbedarf im Sinne der von ihr formulierten Beweisanträge bestanden hat. Nach ihren Angaben sollten die ergänzenden Begutachtungen oder Befragungen zu der Fragestellung erfolgen, ob "bei der Klägerin (…) eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine depressive Episode ohne psychische Symptome oder andere psychische Probleme seit 2013/14" vorlagen. Sie trägt jedoch selbst vor, dass es nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts für die Erfüllung der Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht auf die Diagnose einzelner Erkrankungen, sondern auf die Einschränkungen des rentenrechtlich relevanten Leistungsvermögens ankommt. Die Erheblichkeit der Ermittlung weiterer Diagnosen "seit 2013/14" ist auf dieser Grundlage nicht erkennbar. Nicht nachvollziehbar ist insbesondere, inwiefern aufgrund einer psychischen Erkrankung "ohne erkennbare psychische Symptome oder andere psychische Probleme" die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin im hier relevanten Zeitraum bis spätestens am 28.2.2014 in weitergehendem Umfang eingeschränkt gewesen sein könnte als dies das LSG in seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.
Entsprechendes gilt für die zweite von der Klägerin benannte Fragestellung für die von ihr geforderten weiteren Begutachtungen und Befragungen. Danach sollte aufgeklärt werden, ob davon ausgegangen werden könne, dass sie - die Klägerin - sich die erstmals beim psychiatrischen Gutachter Dr. G im Januar 2018 berichtete Vergewaltigung im Alter von 14 Jahren als Auslöser einer posttraumatischen Belastungsstörung ausgedacht habe, wie das die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Forensische Psychiatrie und Fachärztin für Neurologie Dr. T in ihrem Gutachten gemutmaßt habe. Auch insoweit erschließt sich aus den Darlegungen in der Beschwerdebegründung nicht, inwiefern diese Frage entscheidungserheblich sein könnte. Das LSG hat in dem angefochtenen Beschluss seine Feststellungen zum verbliebenen Restleistungsvermögen der Klägerin bis zum Zeitpunkt der letztmaligen Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Februar 2014 ausdrücklich "unabhängig davon" getroffen, ob die Klägerin tatsächlich nunmehr an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide. Ebenso hat es den Wahrheitsgehalt der Schilderungen eines Vergewaltigungsgeschehens gegenüber Dr. G ausdrücklich als nicht entscheidend angesehen.
Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang rügt, dass bereits das erstinstanzliche Gericht eine Überraschungsentscheidung getroffen und weitere Sachaufklärung nicht durchgeführt habe, lässt sie außer Acht, dass ein Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG das prozessuale Vorgehen im unmittelbar vorangehenden Rechtszug betrifft (vgl BSG Beschluss vom 19.1.2011 - B 13 R 211/10 B - juris RdNr 15; BSG Beschluss vom 7.2.2017 - B 5 R 308/16 B - juris RdNr 9). Dass die von der Klägerin beanstandete Vorgehensweise des SG trotz der vom LSG veranlassten weiteren Ermittlungen im Berufungsverfahren noch fortgewirkt hätte, ergibt sich aus ihren Darlegungen nicht.
b) Die Klägerin rügt weiterhin als verfahrensfehlerhaft, dass das LSG auf der Grundlage des nach Aktenlage erstellten Gutachtens der Sachverständigen Dr. T die vorangegangene, vom Sachverständigen Dr. G nach persönlicher Untersuchung erstellt Beurteilung als widerlegt angesehen habe. In dem sensiblen Bereich der psychischen Beeinträchtigungen dürfe eine Entscheidung nicht nur nach Aktenlage getroffen werden. Damit macht sie eine Verletzung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung iS von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG geltend. Diese Rüge ist im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde aufgrund der ausdrücklichen Anordnung in § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG jedoch ausgeschlossen (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 537). Das gilt auch, soweit gerügt wird, das LSG habe die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten (vgl BSG Beschluss vom 8.4.2020 - B 13 R 260/18 B - juris RdNr 15; BSG Beschluss vom 3.11.2020 - B 1 KR 63/20 B - juris RdNr 6). Unabhängig davon kam es nach der Rechtsauffassung des LSG entscheidend auf die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin spätestens am 28.2.2014 an. Welche Erkenntnisse hierzu eine persönliche Untersuchung der Klägerin im Jahr 2020 durch Dr. T oder einen anderen psychiatrischen Sachverständigen noch hätte erbringen können, zeigt die Klägerin nicht auf.
c) Schließlich beanstandet die Klägerin, das LSG habe mit Beschluss vom 30.3.2020 über ihren Befangenheitsantrag gegen die Sachverständige Dr. T vom 12.8.2019 unzutreffend und über den weiteren Befangenheitsantrag gegen diese Sachverständige vom 6.12.2019 überhaupt nicht entschieden. Einen Verfahrensmangel hat sie damit ebenfalls nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet.
aa) Soweit sie die Unrichtigkeit des ihr Befangenheitsgesuch als verfristet und deshalb als unzulässig, jedenfalls aber als unbegründet zurückweisenden LSG-Beschlusses vom 30.3.2020 geltend macht, berücksichtigt die Klägerin nicht, dass die Entscheidung des LSG über das Befangenheitsgesuch eine nicht anfechtbare Vorentscheidung enthält (vgl § 118 Abs 1 Satz 1 SGG, der nicht auf § 406 Abs 5 ZPO verweist, sowie § 177 SGG; s dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 118 RdNr 12o). Diese unterliegt nicht der Beurteilung durch das Revisionsgericht (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 557 Abs 2 ZPO; vgl BSG Urteil vom 15.3.1995 - 5 RJ 54/94 - SozR 3-1500 § 170 Nr 5 S 8). Die Gründe, aus denen ein Befangenheitsantrag gegenüber einem Sachverständigen vom LSG zurückgewiesen wurden, können deshalb grundsätzlich nicht als Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG gerügt werden (BSG Beschluss vom 4.12.2019 - B 9 V 25/19 B - juris RdNr 11). Anhaltspunkte dafür, dass hier ausnahmsweise etwas anderes gelten könnte, hat die Klägerin nicht vorgetragen (vgl dazu BSG Beschluss vom 24.5.2013 - B 1 KR 50/12 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 7.6.2018 - B 9 V 69/17 B - juris RdNr 6).
bb) Die Rüge, das LSG habe über ihren Ablehnungsantrag gegen die Sachverständige Dr. T vom 6.12.2019 verfahrensfehlerhaft überhaupt nicht entschieden, zeigt das Vorliegen eines Verfahrensmangels nicht schlüssig auf. Die Klägerin hat in ihrer Beschwerdebegründung zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass der Beschluss des LSG vom 30.3.2020 ausdrücklich nur das "mit Schreiben vom 12.6.2019 gestellte Ablehnungsgesuch" beschied. Sie zeigt aber nicht auf, inwiefern der von ihr mit Schriftsatz vom 6.12.2019 "nochmals" gestellte Befangenheitsantrag über denjenigen vom 12.8.2019 hinausging. Aus welchen Gründen die erneute Ablehnung der Sachverständigen als ein gegenüber der ursprünglichen Ablehnung aus August 2019 hinausgehender und gesondert zu würdigender Antrag anzusehen sein sollte, ergibt sich aus der Beschwerdebegründung nicht. Insbesondere trägt die Klägerin nicht vor, welche zusätzlichen Gründe für eine Befangenheit der Sachverständigen Dr. T sie vorgebracht hat. Ein lediglich wiederholendes Vorbringen musste das LSG nicht erneut bescheiden (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 19.4.2021 - 1 BvR 2552/18 ua - juris RdNr 8). Ungeachtet dessen fehlen auch Ausführungen dazu, inwiefern der Beschluss des LSG vom 11.2.2021 auf dem gerügten Fehler beruhen kann. Die pauschale Behauptung, dass die Entscheidung des LSG möglicherweise "anders ausgefallen wäre, wenn das LSG ordnungsgemäß verfahren hätte", reicht dafür nicht aus.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14578948 |