Entscheidungsstichwort (Thema)
Honorarkürzung wegen "offensichtlichen Mißverhältnisses"
Leitsatz (redaktionell)
1. Wenn sich das SG mit der Richtigkeit der Vergleichswerte, nämlich den Durchschnittswerten der Fachgruppe des Kassenarztes, dem unwirtschaftliche Behandlungsweise vorgehalten wird, eingehend auseinandergesetzt und der Kläger gegen diese Vergleichswerte keine substantiierten Rügen vorgebracht hat, bedarf es insofern keiner weiteren Sachaufklärung.
2. Wenn das LSG keine Beweiserhebung durchgeführt hat, bestand auch keine Möglichkeit der Beweiswürdigung, so daß die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung nicht überschritten werden konnten.
Normenkette
SGG § 103 S. 1 Fassung: 1953-09-03, § 128 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 06.11.1974; Aktenzeichen L 14 Ka 4/73) |
SG München (Entscheidung vom 25.10.1972; Aktenzeichen S 29 Ka 122/71) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. November 1974 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger ist als Facharzt für innere Krankheiten zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen. Der Prüfungsausschuß für RVO-Kassen, Bezirksstelle Oberpfalz der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KÄV), kürzte die Honoraranforderungen des Klägers für das Quartal II/1967 um 1.302,69 DM, weil die Anforderungen des Klägers in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu den Durchschnittswerten seiner Fachgruppe stünden. Auf die Beschwerde des Klägers hin hielt der beklagte Beschwerdeausschuß die Kürzung aufrecht. Die Überschreitung der Durchschnittswerte bei den Sonderleistungen könne nicht als notwendig und wirtschaftlich anerkannt werden. Selbst wenn man nicht von den Durchschnittswerten ausgehe, die der Prüfungsausschuß verwendet habe, sondern diejenigen heranziehe, die der Kläger für zutreffend halte, überschreite er nach der Kürzung noch den Gesamtdurchschnitt um 24 %. Damit sei den Besonderheiten seiner Praxis hinreichend Rechnung getragen.
Die Klage gegen diesen Bescheid hat das Sozialgericht (SG) München abgewiesen (Urteil vom 25. 10. 1972). Die Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise des Klägers lasse sich aus einem Vergleich mit den Abrechnungswerten ähnlicher Praxen ersehen. Der Kläger habe den Durchschnitt der Fachgruppe nicht nur für den Behandlungsfall, sondern auch auf den Teilgebieten der Sonderleistungen und der Röntgenleistungen erheblich überschritten. Aus diesem Grunde habe es keiner Einzelfallprüfung bedurft. Die Behauptung des Klägers, daß seine Maßnahmen in ihrer Gesamtheit als wirtschaftlich anzusehen seien, werde durch die erwiesenen Auftragsüberschreitungen in Überweisungsfällen widerlegt. Die Höhe der Kürzungen sei nicht zu beanstanden, weil dem Kläger bei den Sonderleistungen noch eine Überschreitung um 31,9 % und bei den Röntgenleistungen um 50,5 % belassen worden sei.
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen (Urteil vom 6. 11. 1974), Das Verfahren des SG leide nicht an wesentlichen Mängeln. Die Verpflichtung des Gerichts zur Sachaufklärung (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) sei nicht verletzt. Das SG habe keinen Sachverständigen benötigt, weil es sachkundig besetzt gewesen sei. Mit der Einzelfallbegründung des Klägers hinsichtlich der Labor- und Röntgenleistungen habe es sich auseinandergesetzt. Dem Kläger sei auch nicht das rechtliche Gehör versagt worden, denn er habe sich zu der Frage, ob er seine Aufträge überschritten habe, in der mündlichen Verhandlung vor dem SG äußern können. Wenn das SG die von der KÄV Bayerns mitgeteilten Vergleichswerte als zutreffend angesehen habe, so liege darin keine Überschreitung des Rechts der freien Beweiswürdigung.
Gegen dieses Urteil richtet sich die nicht zugelassene Revision des Klägers. Er rügt, das LSG habe die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung überschritten (§ 128 Abs. 1 SGG). Das SG sei nicht in eine Einzelfallprüfung eingetreten, obwohl sie unbedingt geboten gewesen sei. Da das SG dieses zwingende Erfordernis verkannt habe und das LSG ihm darin gefolgt sei, habe es die Grenzen zulässiger Beweiswürdigung überschritten. Desweiteren habe das SG seine Verpflichtung zur Sachaufklärung (§ 103 SGG) dadurch verletzt, daß es keinen Sachverständigen hinzugezogen habe, obwohl zur Aufklärung der streitigen Honorarüberschreitungen ein Sachverständiger unerläßlich gewesen sei. Auch insoweit habe das LSG die Rüge des Klägers im Berufungsverfahren nicht zutreffend gewürdigt und damit die Grenzen der Beweiswürdigung überschritten. Sodann sei der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt worden. Das SG habe sich trotz wiederholten Ersuchens des Klägers geweigert, auf dessen substantiierte Ausführungen einzugehen, dadurch sei ihm das Wort abgeschnitten worden. Ein weiterer Mangel liege in der Auffassung des SG, daß die von der KÄV Bayerns mitgeteilten Durchschnittswerte vermutlich richtig seien; eine derartige gesetzliche Vermutung bestehe nicht.
Die Revision des Klägers ist nicht zulässig.
Ihre Zulässigkeit bestimmt sich nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG in der bis zum 31. 12. 1974 geltenden Fassung (SGG a. F.), weil das angefochtene Urteil am 6. 11. 1974 verkündet worden ist (Art. III und IV des Gesetzes zur Änderung des SGG vom 30. 7. 1974 - BGBl. I 1625). Die Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 164 Abs. 2 SGG a. F. sind jedoch nicht erfüllt.
Der Kläger geht zutreffend davon aus, daß ein wesentlicher Mangel des zweitinstanzlichen Verfahrens dann vorläge, wenn das Berufungsgericht das Rechtsmittel nicht hätte als unzulässig verwerfen dürfen, sondern in der Sache hätte entscheiden müssen (BSG 1, 283). Für die Beurteilung dieser Frage kommt es darauf an, ob die Berufung statthaft war. Gegenstand des Rechtsstreits vor dem SG wie auch der Berufung war eine Kürzung der Honorarabrechnung des Klägers für das II. Quartal 1967. Zutreffend hat das LSG ausgeführt, daß bei diesem Streitgegenstand die Berufung nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG a. F. nicht zulässig war (BSG 11, 102). Da das SG in seinem Urteil die Berufung auch nicht zugelassen hatte, wäre das Rechtsmittel nur dann statthaft gewesen, wenn die Voraussetzungen des § 150 Nr. 2 SGG a. F. gegeben gewesen wären. Das LSG hat das indes ohne Rechtsirrtum verneint. Die gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor.
Zur Beurteilung der Frage, ob das SG seine Verpflichtung zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 103 SGG) verletzt hatte, mußte das LSG die sachlich-rechtliche Auffassung des SG zugrunde legen (BSG 2, 84). Das erstinstanzliche Gericht war von der Rechtsauffassung ausgegangen, daß die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise eines Arztes aus einem Vergleich seiner Honoraranforderungen mit den entsprechenden Durchschnittswerten seiner Fachgruppe erschlossen werden kann. Diesen Vergleich hat das SG durchgeführt. Es hat sich dabei mit der Frage der Richtigkeit der Vergleichswerte eingehend auseinandergesetzt. Da der Kläger gegen diese Vergleichswerte keine substantiierten Rügen vorgebracht hatte und der Beschwerdeausschuß auch unter Verwendung der vom Kläger damals mitgeteilten Werte zum Ergebnis einer unwirtschaftlichen Behandlungsweise gekommen war, bedurfte es insofern keiner weiteren Sachaufklärung. Das LSG hat somit zutreffend das Vorliegen eines Verfahrensmangels verneint. Bei dieser Rechtsauffassung des SG bedurfte es insbesondere keiner Prüfung einzelner Behandlungsfälle, und aus dem Grund war es auch nicht erforderlich, einen Sachverständigen zum Prozeß hinzuzuziehen. Diese Revisionsrügen des Klägers richten sich in ihrem Kern nicht gegen das gerichtliche Verfahren, sondern gegen die vom SG vertretene Rechtsansicht. Wenn er weiter bemängelt, das SG habe die Richtigkeit der verwandten Durchschnittswerte nicht vermuten dürfen, so greift es damit gleichfalls die Rechtsauffassung des SG an. Sofern der Kläger mit dieser Beanstandung einen Verfahrensmangel zulässig hätte geltend machen wollen, hätte er in seiner Revision die Tatsachen und die jeweiligen Beweismittel substantiiert bezeichnen müssen, die den Mangel ergeben (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG a. F.). Daran fehlt es jedoch. Das gleiche gilt für die von ihm gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs. Der Kläger hat zu diesem Punkt zwar Behauptungen aufgestellt, jedoch dafür keine Beweismittel angegeben, aus denen das Revisionsgericht den Mangel hätte erschließen können.
Soweit der Kläger rügt, das LSG habe die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung überschritten, verkennt er, daß dieser Verfahrensmangel überhaupt nur dann in Betracht kommen kann, wenn Beweise zu würdigen sind. Da das LSG jedoch keine Beweiserhebung durchgeführt hat, bestand auch keine Möglichkeit der Beweiswürdigung. Wogegen sich der Kläger in Wirklichkeit wendet, ist die rechtliche Subsumtion der Vorinstanzen.
Diese ist jedoch im vorliegenden Verfahren wegen der Unstatthaftigkeit der Revision nicht nachzuprüfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen