Leitsatz (amtlich)

Wenn ein Versicherungsträger nach RVO § 1544g Abs 2 die Rente eines Wanderversicherten als Gesamtleistung festgestellt hat, ist im Streit um die Gesamtleistung ein anderer Versicherungsträger, aus dessen Versicherungszweig Leistungsanteile mit berücksichtigt worden sind, nicht deswegen nach SGG § 75 Abs 2 beizuladen, weil zwischen ihm und dem feststellenden Versicherungsträger ein finanzieller Ausgleich in Betracht kommt (RVO § 1544h).

 

Normenkette

SGG § 75 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; RVO § 1544g Abs. 2 Fassung: 1956-05-09, § 1544h Fassung: 1943-02-22

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Celle vom 4. Mai 1956 wird als unzulässig verworfen.

 

Gründe

I.

In dem Urteil des Landessozialgerichts Celle vom 4. Mai 1956 ist die Revision nicht zugelassen (vgl. § 162 Abs.1 Nr.1 SGG); die Revision ist deshalb nur statthaft, wenn gerügt wird, das Verfahren des Landessozialgerichts leide an einem wesentlichen Mangel und wenn dieser Mangel auch tatsächlich vorliegt (§ 162 Abs.1 Nr.2 SGG und BSG 1, 150). In dieser Hinsicht behauptet die Beklagte,

1.) das Landessozialgericht habe § 103 SGG verletzt, weil es unterlassen habe, den Sachverhalt auch daraufhin zu erforschen, ob der Kläger in dem für ihn in Frage kommenden räumlichen Arbeitsbereich nicht eine Beschäftigung finden könne, in der er auf Grund seiner beruflichen Kenntnisse tätig werden könne, ohne gezwungen zu sein, ein Kraftfahrzeug zu fahren oder eine Maschine zu bedienen; das Landessozialgericht habe die Möglichkeit gehabt, durch eine Nachfrage beim Arbeitsamt oder durch Vernehmung eines Sachverständigen aus dem Kreise der Fuhrunternehmer den Sachverhalt weiter aufzuklären. Diese Klärung sei auch geboten gewesen, weil davon die Verweisung des Klägers auf eine andere zumutbare Beschäftigung abhänge;

2.) das Landessozialgericht habe es entgegen § 75 Abs.2 SGG unterlassen, die Landesversicherungsanstalt Braunschweig beizuladen; daß das Ruhegeld des Wanderversicherten nach § 1544 g Abs.2 RVO als Gesamtleistung festgesetzt werde, schließe es nicht aus, daß die Entscheidung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und der Landesversicherungsanstalt gegenüber nur einheitlich ergehen könne; die Landesversicherungsanstalt könne im Verurteilungsfall bei Durchführung des Erstattungsverfahrens nach § 1544 h RVO nicht einwenden, die Voraussetzungen für die Leistung der Invalidenversicherung seien nicht erfüllt gewesen.

II.

1.) Für die Frage, ob das Landessozialgericht seine Pflicht, den Sachverhalt zu erforschen, nicht erfüllt und dadurch § 103 SGG verletzt hat, kommt es darauf an, ob der Sachverhalt, wie er dem Landessozialgericht zur Zeit der Urteilsfällung bekannt gewesen ist, von dessen sachlich-rechtlichem Standpunkt aus zur Entscheidung des Rechtsstreits ausreichte oder ob er das Landessozialgericht zu weiteren Ermittlungen hätte drängen müssen (vgl. Urteil des BSG. vom 7.6.1956, 1 RA 135/55). Im vorliegenden Fall hat das Landessozialgericht in dem Urteil ausführlich dargelegt, daß der Kläger seiner Ansicht nach nicht auf eine Tätigkeit verwiesen werden kann, für die das Führen oder das Bedienen einer Maschine Voraussetzung ist, daß für den Kläger auch keine Tätigkeit im Innendienst eines Fuhrunternehmens oder als Angestellter im Außendienst eines Fuhrunternehmers in Betracht kommt und daß eine Verweisung auf eine Tätigkeit als Pförtner oder eine ähnliche Beschäftigung ausscheiden muß, weil damit für den Kläger ein sozialer Abstieg verbunden wäre. Wenn das Landessozialgericht bei dieser sachlich-rechtlichen Beurteilung des Falles keinen Anlaß gesehen hat, noch andere Arbeitsmöglichkeiten, die das Führen eines Kraftfahrzeugs nicht voraussetzen, näher zu ergründen, so liegt hierin keine Verletzung der Pflicht, den Sachverhalt zu erforschen; auch die Beklagte hat hierüber im Verwaltungsverfahren keine Ermittlungen angestellt, obwohl sie ebenso wie das Gericht den Sachverhalt vor Erteilung eines Bescheids von Amts wegen zu erforschen hat.

2.) Auch eine Verletzung des § 75 Abs.2 SGG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist u.a. ein "Dritter" beizuladen, wenn er an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt ist, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Davon kann aber bei dem Rechtsstreit um die Rente des Wanderversicherten nicht die Rede sein. § 75 Abs.2 SGG hat die Fälle im Auge, in denen sich - wie in den Fällen des § 62 ZPO - die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung zwangsläufig auch auf einen Dritten erstreckt, nicht aber die Fälle, in denen - wie das hier der Fall ist - eine gesetzliche Vorschrift, nämlich § 1544 g Abs.2 RVO, einen Versicherungsträger ermächtigt, in einer "Gesamtleistung" neben eigenen Leistungsanteilen auch die Leistungsanteile eines fremden Versicherungszweiges festzustellen. Wird der Rentenbescheid der Beklagten von dem Versicherten im Wege der Klage angegriffen, so erstreckt sich die Rechtskraft des darauf ergehenden Urteils nur auf die Rechtsbeziehungen zwischen ihr und dem Versicherten. Das Erstattungsverfahren nach § 1544 h RVO wird davon nicht berührt; im Rahmen dieses Verfahrens kann der Versicherungsträger, der zur Erstattung verpflichtet ist, geltend machen, die Voraussetzungen für eine Leistung aus seinem Versicherungszweig seien nicht gegeben gewesen.

III.

Unter diesen Umständen ist die Revision nach § 162 Abs.1 Nr. 2 SGG nicht statthaft; sie muß deshalb nach § 169 SGG als unzulässig verworfen werden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2297163

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