Tenor
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Europäischen Gerichtshof werden gemäß Art 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
- Ist die Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der Sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, auf Staatenlose und deren Familienangehörige anwendbar, wenn diese nach dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25. März 1957 in der Fassung des Vertrages über die Europäische Union vom 7. Februar 1992 kein Recht auf Freizügigkeit haben?
Wenn die Frage 1 zu bejahen ist:
Ist die Verordnung (EWG) Nr 1408/71 auch auf staatenlose Arbeitnehmer und deren Familienangehörige anwendbar, die unmittelbar aus einem Drittstaat in einen Mitgliedstaat eingereist und innerhalb der Gemeinschaft nicht gewandert sind?
Tatbestand
I
Streitig ist ein Anspruch auf Kindergeld (Kg) für die Zeit seit dem 1. Februar 1994.
Der Kläger ist Palästinenser aus dem Libanon. Er reiste im Jahre 1986 zusammen mit seiner Ehefrau und einem Kind in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er besitzt ein libanesisches Reisedokument für palästinensische Flüchtlinge. Sein Asylantrag blieb ohne Erfolg. Nach zunächst geduldetem Aufenthalt wurde ihm 1991 eine Aufenthaltsbefugnis erteilt. Die Beklagte gewährte dem Kläger Kg ab Juni 1989 für seine drei 1978, 1987 und 1988 geborenen Kinder und später auch für das vierte, im August 1990 geborene Kind. Den Lebensunterhalt für sich und seine Familie bestritt der Kläger zunächst mit Sozialhilfe; im März 1991 nahm er eine Erwerbstätigkeit auf. 1994 betrug sein Bruttoarbeitslohn 35.980,84 DM, 1995 waren es 43.068,75 DM. Lohnsteuer wurde in beiden Jahren nicht einbehalten. Im Hinblick auf die Neuregelung des § 1 Abs 3 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) durch das Erste Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG vom 21. Dezember 1993, BGBl I 2353) hob die Beklagte im Januar 1994 die Bewilligung von Kg auf. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 1994). Ab August 1994 erhielt der Kläger für sich und seine Familie ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt einschließlich Wohngeld.
Am 24. Juni 1994 beantragte der Kläger, den Aufhebungsbescheid zurückzunehmen und ihm ab Januar 1994 Kg zu gewähren. Er machte geltend, § 1 Abs 3 BKGG nF sei verfassungswidrig. Außerdem unterfalle er als staatenloser Palästinenser dem Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen (StlÜbk). Er sei deshalb den Arbeitnehmern gleichgestellt, die nach der EWG-Verordnung 1408/71 (EWGV 1408/71) Kg beanspruchen könnten. Die Beklagte lehnte diesen Antrag ab (Bescheid vom 20. September 1994, Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 1994).
Die hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 26. Juni 1996 abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 18. November 1997 die Beklagte verpflichtet, den Bescheid vom Januar 1994 insoweit zurückzunehmen, als die Bewilligung des Kg für den Monat Januar 1994 aufgehoben worden ist. Im übrigen wurde die Berufung zurückgewiesen. Die Aufhebung der Kg-Bewilligung für den Monat Januar 1994 sei rechtswidrig gewesen, weil insoweit die besonderen Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch – Verwaltungsverfahren (SGB X) nicht vorgelegen hätten. Ab 1. Februar 1994 sei der Aufhebungsbescheid dagegen rechtmäßig. Der Kläger könne nicht als Flüchtling angesehen werden, weil es an der hierfür erforderlichen Feststellung durch das zuständige Bundesamt fehle. Er sei auch nicht als Staatenloser anzusehen, weil er einen entsprechenden Status nicht durch Vorlage eines Reiseausweises nach Art 28 StlÜbk nachgewiesen habe. Doch selbst wenn ihm ein entsprechendes Reisedokument erteilt worden wäre, könne er keinen Kg-Anspruch geltend machen. Ein derartiger Anspruch ergebe sich weder aus dem StlÜbk noch aus § 42 BKGG iVm Art 3 EWGV 1408/71. Die Regelungen des europäischen Gemeinschaftsrechts seien nicht auf Sachverhalte anwendbar, die keinerlei Berührungspunkte mit irgendeinem der Sachverhalte aufwiesen, auf die das Gemeinschaftsrecht abstelle. Solche Berührungspunkte iS der EWGV 1408/71 seien zu verneinen, wenn ein Arbeitnehmer niemals das Recht der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (EG) ausgeübt habe.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des Art 1 und des Art 3 EWGV 1408/71.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. November 1997 und des Sozialgerichts Heilbronn vom 26. Juni 1996 zu ändern sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. September 1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 1994 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom Januar 1994 zu verpflichten, dem Kläger auch für die Zeit ab 1. Februar 1994 Kindergeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gemäß Art 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) vom 25. März 1957 zur Vorabentscheidung vorgelegten Rechtsfragen zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts sind zweifelhaft und entscheidungserheblich. Allein nach den Regelungen des BKGG steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Er scheitert daran, daß der Kläger in der fraglichen Zeit weder über eine Aufenthaltsberechtigung noch über eine Aufenthaltserlaubnis verfügte, sondern nur im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis war. Ein solcher Aufenthaltstitel reichte nach § 1 Abs 3 BKGG in seiner bis zum 31. Dezember 1995 gültigen Fassung für den Anspruch eines nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union (EU) besitzenden Ausländers auf Kg nicht aus.
1) Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm der Sonderregelung des § 20 Abs 5 BKGG in der bis zum 31. Dezember 1995 geltenden und hier anzuwendenden Fassung des BKGG. Danach ist im Kg-Recht ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, daß bei Erlaß des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Der Verwaltungsakt kann zudem ganz oder teilweise auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden; in diesem Fall handelt es sich um eine Ermessensentscheidung der Behörde. Nach nationalem Recht sind diese Voraussetzungen zu verneinen.
Der Bezug des Kg für die Zeit bis Dezember 1993 beruhte hier auf § 1 Abs 3 BKGG idF der Bekanntmachung vom 30. Januar 1990 (BGBl I S 149). Nach dieser Vorschrift hatten Ausländer, die sich ohne Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis im Geltungsbereich des BKGG aufhielten, Anspruch auf Kg nur dann, wenn ihre Abschiebung auf unbestimmte Zeit unzulässig war oder wenn sie aufgrund landesrechtlicher Verwaltungsvorschriften auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden konnten, frühestens jedoch für die Zeit nach einem gestatteten oder geduldeten ununterbrochenen Aufenthalt von einem Jahr. Diese Voraussetzungen hatte der Kläger seinerzeit erfüllt. Seinem Kg-Anspruch stand die Tatsache, daß er lediglich über eine Aufenthaltsbefugnis verfügte, nach der damals gültigen Rechtslage nicht entgegen; seine Abschiebung in den Libanon war auf unbestimmte Zeit nicht möglich.
In diesen rechtlichen Verhältnissen ist durch die Neuregelung des § 1 Abs 3 BKGG gemäß Art 5 Nr 1 des 1. SKWPG vom 21. Dezember 1993 (BGBl I S 2353), das am 1. Januar 1994 in Kraft getreten ist (Art 14 Abs 1 1. SKWPG), eine Änderung eingetreten. Nach § 1 Abs 3 Satz 1 BKGG in der nunmehr maßgeblichen und bis zum 31. Dezember 1995 gültigen Bekanntmachung der Neufassung des BKGG (Art 13 1. SKWPG) vom 31. Januar 1994 (BGBl I S 168) hat ein Ausländer nur noch dann Anspruch auf Kg, wenn er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung (§ 27 Ausländergesetz ≪AuslG≫) oder Aufenthaltserlaubnis (§ 15 AuslG) ist. Der Besitz einer Aufenthaltsbefugnis (§ 30 AuslG) reicht hingegen nicht aus. Dies gilt auch für Kg-Ansprüche bezüglich jener Kinder, die – wie die Kinder des Klägers – vor dem Inkrafttreten dieser Neuregelung, also vor dem 1. Januar 1994, geboren sind (Bundessozialgericht ≪BSG≫ SozR 3-5870 § 1 Nr 6). Da der Kläger ab 1. Januar 1994 die Voraussetzungen des § 1 BKGG für den weiteren Bezug von Kg nicht mehr erfüllte, sah sich die Beklagte nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X berechtigt und verpflichtet, die Kg-Bewilligung für die Zukunft aufzuheben. Das ist mit der bestandskräftigen Aufhebungsentscheidung von Januar 1994 geschehen. Aus dem gleichen Grunde hat sie auch den Überprüfungsantrag zurückgewiesen (Bescheid vom 20. September 1994, Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 1994). Diese Entscheidung ist – soweit noch im Revisionsverfahren streitig – nach inländischem Recht nicht zu beanstanden.
Mit der Neuregelung bezweckte der Gesetzgeber, den Kg-Anspruch auf solche Ausländer zu begrenzen, von denen im Regelfall zu erwarten ist, daß sie auf Dauer in Deutschland bleiben werden; dies hat er allein bei denjenigen angenommen, die im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis sind (BT-Drucks 12/5502, S 44 zu Art 5 Nr 1). Die Aufenthaltsbefugnis (§ 30 AuslG) ist nach der Systematik des AuslG gegenüber der Aufenthaltsberechtigung und der Aufenthaltserlaubnis ein Aufenthaltstitel minderen Ranges. Sie wurde erklärtermaßen vor allem für De-facto-Flüchtlinge geschaffen, also für Ausländer, deren Aufenthalt im Bundesgebiet nur aus humanitären Gründen (zB Bürgerkrieg im Heimatland) geduldet wird (§§ 54, 55 AuslG). Zu diesem Kreis von Ausländern gehören auch der Kläger und seine Familienangehörigen. Der Gesetzgeber konnte bei diesem Personenkreis davon ausgehen, daß seine Bindungen an Deutschland weniger ausgeprägt sind und die Erwartung, er werde dauernd hier verweilen, im Regelfall weniger begründet ist als beim Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis, also eines Aufenthaltstitels, der – auch im Falle der Befristung (§ 12 Abs 2, § 24 AuslG) – ohne Bindung an einen begrenzten Aufenthaltszweck erteilt wird (§ 15 AuslG), oder gar beim Inhaber einer – zeitlich und räumlich unbeschränkten – Aufenthaltsberechtigung (§ 27 AuslG).
Die Neuregelung des § 1 Abs 3 BKGG ist vom Wortlaut her eindeutig. Der Besitz einer Aufenthaltsbefugnis reicht für einen Kg-Anspruch nicht aus. Die Begrenzung des Anspruchs auf Ausländer, die im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis sind, ist vom Gesetzgeber im 1. SKWPG bewußt vorgenommen worden (BT-Drucks 12/5502, S 44 zu Art 5 Nr 1). Eine ausdehnende Anwendung des § 1 Abs 3 BKGG auf seit langer Zeit in Deutschland lebende Ausländer mit einer Aufenthaltsbefugnis scheidet daher von vornherein ebenso aus wie eine diesen Personenkreis einbeziehende „verfassungskonforme Auslegung” des § 1 Abs 3 BKGG. Es besteht auch kein Anlaß, das Verfahren nach Art 100 Abs 1 Grundgesetz (GG) auszusetzen, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen. Der Ausschluß der nur über eine Aufenthaltsbefugnis verfügenden Ausländer vom Bezug des Kg ist verfassungsgemäß (so bereits Urteil des Senats vom 2. Oktober 1997 – 14/10 RKg 17/96 –; stRspr).
2) Der Kläger hat auch keinen Anspruch darauf, aufgrund seiner Eigenschaft als Bürgerkriegsflüchtling wie ein Unionsbürger behandelt zu werden. Nach § 42 BKGG haben Unionsbürger, Flüchtlinge und Staatenlose „nach Maßgabe des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen” die gleichen Rechte wie Deutsche, wobei „die Bestimmungen der genannten Verordnungen auch im übrigen unberührt bleiben”. Das innerstaatliche Recht verweist damit auf das europäische Gemeinschaftsrecht (EG-Recht). Nach Art 3 Abs 1 EWGV 1408/71 stehen in einem Mitgliedstaat der EU wohnende Flüchtlinge iS der Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FlüAbk) vom 28. Juli 1951 (BGBl II 1953 S 560) sowie deren Familienangehörige und Hinterbliebene (Art 1 Buchst d und Art 2 Abs 1 EWGV 1408/71), soweit die Flüchtlinge Arbeitnehmer oder Selbständige sind, den Staatsangehörigen des Wohnstaates hinsichtlich des Anspruchs auf Familienleistungen (Art 4 Abs 1 Buchst h EWGV 1408/71), zu denen auch das Kg gehört, grundsätzlich gleich. Dabei ist aber zu beachten, daß das FlüAbk nur die materiellen Voraussetzungen normiert, unter denen eine Person als Flüchtling iS dieses Abkommens anzuerkennen ist, und deshalb nur die Rechtsstellung eines anerkannten Flüchtlings festlegt. Das Verfahren zur Verleihung des Flüchtlingsstatus wird hingegen den einzelnen Vertragsstaaten überlassen. In der Bundesrepublik Deutschland, die das FlüAbk am 22. April 1954 in Kraft gesetzt hat (BGBl II 1954 S 619), finden sich die Verfahrensvorschriften im Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) und im AuslG. Voraussetzung ist danach die formelle Anerkennung als Flüchtling durch unanfechtbare behördliche oder gerichtliche Entscheidung (vgl hierzu § 3 AsylVfG und § 51 AuslG). An dieser formellen Anerkennung fehlt es bei dem Kläger. Der Asylantrag ist bestandskräftig abgelehnt worden.
Mangels formeller Anerkennung als Flüchtling scheidet auch eine Gleichstellung des Klägers mit Deutschen nach Art 24 FlüAbk von vornherein aus. Diese Vorschrift sieht eine grundsätzliche Gleichstellung anerkannter Flüchtlinge mit Inländern bei Lohnzahlungen einschließlich Familienleistungen (Buchst a) sowie in Angelegenheiten der Sozialen Sicherheit (Buchst b), zu der auch der Familienunterhalt gehört, vor. Die Ansprüche nach dem FlüAbk stehen ferner den „Kontingentflüchtlingen” nach Art 1 des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge vom 22. Juli 1980 (BGBl I S 1057) idF durch Art 5 Nr 1 Buchst a des Gesetzes vom 9. Juli 1990 (BGBl I S 1354) zu. Den Feststellungen des LSG ist jedoch kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, daß der Kläger im fraglichen Zeitraum zum Personenkreis der Kontingentflüchtlinge gehört oder dies auch nur geltend gemacht hätte. Die Frage, inwieweit das FlüAbk die Anknüpfung des Kg-Anspruchs an den Besitz bestimmter Aufenthaltstitel untersagt (für das Kg nach der bis Ende 1995 geltenden Rechtslage ein solches Verbot verneinend BSG SozR 3-5870 § 1 Nr 2; für das Erziehungsgeld ≪Erzg≫ ein solches Verbot ebenfalls verneinend BSG SozR 3-7833 § 1 Nrn 7 und 16) und ob die dem Runderlaß (RdErl) der Beklagten vom 20. Dezember 1993 (Dienstbl RdErl 125/93) zu § 1 Abs 3 BKGG zugrundeliegende Ansicht zutrifft, schon das FlüAbk allein stelle – unabhängig vom EU-Recht – anerkannte Flüchtlinge Deutschen in Ansehung des Kg von vornherein gleich, kann daher offenbleiben.
3) Ein Anspruch des Klägers auf Kg läßt sich auch nicht aus dem StlÜbk vom 28. September 1954 herleiten, das in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1976 in Kraft getreten ist (BGBl II 1976 S 473). Der Kläger ist zwar als Staatenloser anzusehen. Die Ansicht des LSG, der Kläger habe diesen Status nicht nachgewiesen, und die Auffassung der Beklagten, die Staatsangehörigkeit des Klägers sei weiterhin „ungeklärt” geblieben, ist mit der Rechtslage nicht zu vereinbaren. Die Grundsatzfrage ist vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) durch Urteil vom 23. Februar 1993 dahingehend beantwortet worden, daß Palästinenser, die keine andere Staatsangehörigkeit besitzen, Staatenlose iS des Art 1 Abs 1 StlÜbk sind (BVerwGE 92, 116; vgl dazu bereits VGH Mannheim vom 1. Dezember 1986, NJW 1987, 3094, 3096 und OVG Berlin vom 5. Dezember 1989, InfAuslR 1990, 76). Schon seit längerem ist entschieden, daß für die Annahme einer ungeklärten Staatsangehörigkeit kein Raum ist, wenn feststeht, daß es keinen Staat gibt, der den Ausländer als seinen Staatsangehörigen ansieht (vgl BVerwG vom 17. Juli 1987, InfAuslR 1987, 278 f; Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht ≪StAngR≫, Einl F. RdNr 30). Der Besitz des libanesischen Reisedokuments für Palästinenser und der bisherige Verzicht auf die Beantragung eines deutschen Reiseausweises für Staatenlose (vgl Art 28 StlÜbk) stehen der Annahme der Staatenlosigkeit des Klägers nicht entgegen.
Allerdings begründet das StlÜbk selbst keinen Anspruch des Klägers auf Kg. In Übereinstimmung mit dem FlüAbk sieht auch Art 24 Abs 1 Buchst b ii StlÜbk vor, daß die Gleichbehandlung Staatenloser mit Inländern nicht gilt für Leistungen, die – wie das Kg und der Kg-Zuschlag – ausschließlich aus öffentlichen Mitteln bestritten werden. Demnach kann Art 24 Abs 1 Buchst b ii StlÜbk keine weitergehenden Anspüche begründen, als das inländische Recht Ausländern einräumt. Dies begegnet keinen durchgreifenden Bedenken, weil insoweit am Grundsatz der Inländergleichbehandlung nach Art 24 Abs 1 StlÜbk nichts geändert wird; die Gleichstellung Staatenloser mit anderen Ausländern im Bereich des Kg-Rechts entspricht im übrigen jener Stellung, die den Staatenlosen auch in weiteren Bereichen des StlÜbk eingeräumt wird, die lediglich die Gleichstellung mit Ausländern, nicht jedoch mit Inländern zum Ziel haben (vgl Art 7 Abs 1, 13, 14, 15, 17, 26; vgl dazu Hailbronner/Renner, StAngR, Einl F. RdNr 39).
Nach inländischem Recht in Verbindung mit internationalen Abkommen (BKGG, FlüAbk, StlÜbk) ist die angefochtene Entscheidung der Beklagten also nicht zu beanstanden.
III
Einen Anspruch auf Kg kann der Kläger aber unter Umständen aus § 42 BKGG iVm Art 2 Abs 1 und Art 3 Abs 1 EWGV 1408/71 herleiten. Der Anspruch wäre begründet, wenn beide im Tenor des Beschlusses genannten Fragen bejaht werden müßten, was der vorlegende Senat durch Auslegung der genannten Rechtsvorschriften unter Heranziehung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH nicht ohne verbleibende Zweifel entscheiden kann.
zu Frage 1:
Es kommt darauf an, ob die EWGV 1408/71 auf Staatenlose anwendbar ist, wenn diese nach dem Vertrag zur Gründung der EG vom 25. März 1957 und dem Vertrag über die EU vom 7. Februar 1992 kein Recht auf Freizügigkeit haben.
Die EWGV 1408/71 sieht die grundsätzliche Gleichbehandlung von Staatenlosen und Flüchtlingen mit Unionsbürgern im Bereich der sozialen Sicherheit vor (Art 2 Abs 1). Dieses Gleichstellungsgebot würde im vorliegenden Fall dazu führen, daß sich der Kläger als Staatenloser darauf berufen könnte, sein Status verbiete eine Schlechterstellung im Vergleich zu Unionsbürgern, deren Kg-Anspruch nicht vom Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis abhänge. Dem Kläger stünde ein Anspruch auf Kg zu, da er alle sonstigen materiellen Voraussetzungen dieses Anspruchs erfüllt (§ 1 BKGG), er insbesondere Arbeitnehmer ist, der auch die Voraussetzungen des Vorbehalts der Bundesrepublik Deutschland zum Begriff des Arbeitnehmers nach Anhang I Teil C Deutschland der EWGV 1408/71 in der fraglichen Zeit erfüllte.
Es ist jedoch zweifelhaft, ob die Einbeziehung der Staatenlosen und Flüchtlinge in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung von einer Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist. Davon hängt die Wirksamkeit dieser Gleichstellungsregelung ab. Die EWGV 1408/71 enthält die Vorschriften zur Koordinierung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit; diese Vorschriften „gehören zur Freizügigkeit von Personen und sollen zur Verbesserung von deren Lebensstandard und Arbeitsbedingungen beitragen” (Präambel der EWGV 1408/71, „Gründe” Abs 1). Betroffen sind, wie aus dem Titel der EWGV 1408/71 ausdrücklich hervorgeht, die „Arbeitnehmer und Selbständigen sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern” und die „Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit” auf diesen Personenkreis. Es geht also um einen Personenkreis, dem das „Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft” zusteht. Dieses Recht auf Freizügigkeit genießen jedoch nur die Unionsbürger (Art 8, 8a, 48 EGV). Staatenlose und Flüchtlinge besaßen und besitzen ein solches ausdrückliches Recht nicht. Ihr Aufenthaltsrecht richtet sich – geht man allein vom ratifizierten Vertrag aus – allein nach den nationalen Ausländergesetzen und beschränkt sich auf das Gebiet ihres Aufenthalts- bzw Wohnstaats (zB Art 17 FlüAbk), reicht aber nicht über die Staatsgrenzen hinaus.
Der Rat der EU hat nach dem Vertrag grundsätzlich nicht das Recht, den persönlichen Anwendungsbereich der von ihm erlassenen Verordnungen über den von der jeweiligen Ermächtigungsgrundlage bestimmten und begrenzten Personenkreis hinaus auszuweiten. Die EWGV 1408/71 stützt sich laut Eingangssatz ihrer Präambel auf die Art 51 und 235 EGV als Ermächtigungsgrundlage.
Nach Art 51 Satz 1 EGV beschließt der Rat „die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen”. Er ist dem Wortlaut nach folglich auf den Erlaß von Koordinierungsregeln für als Wanderarbeitnehmer tätige Unionsbürger beschränkt, da sie allein das Recht auf Freizügigkeit genießen.
Gemäß Art 235 EGV erläßt der Rat allerdings ferner „geeignete Vorschriften”, wenn ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich ist, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen, und im EGV die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen sind. Der EuGH wird zu entscheiden haben, ob diese Blankettermächtigung die in der EWGV getroffenen Regelungen legitimiert. Es mag vorkommen, daß eine Person, die nicht das Recht der Freizügigkeit innerhalb der EU für sich in Anspruch nehmen kann, von einem Mitgliedstaat in einen anderen wechselt, um dort zu arbeiten. Für diesen Personenkreis stellen sich dann im Bereich der sozialen Sicherheit ähnliche Fragen wie bei Wanderarbeitnehmern, die Unionsbürger sind. Es mag auch zweckmäßig sein, Regeln über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit beider betroffenen Mitgliedstaaten auch zugunsten dieses Personenkreises aufzustellen. Bedenken ergeben sich jedoch sowohl hinsichtlich der in Art 235 EGV geforderten „Erforderlichkeit” solcher Regeln als auch insoweit, daß sie notwendig sein müssen, um eines der Ziele der Gemeinschaft im Rahmen des Gemeinsamen Marktes zu verwirklichen. Die Herstellung der Freizügigkeit von Staatenlosen und Flüchtlingen innerhalb der EU ist im Vertrag als Ziel nicht genannt. Ob der Erlaß von sonstigen nicht vom Recht auf Freizügigkeit bestimmten Koordinierungsregeln im Bereich der sozialen Sicherheit zu solchen „Zielen der Gemeinschaft” gehört, erscheint zweifelhaft und ist klärungsbedürftig.
Sofern die Frage 1 vom EuGH bejaht wird, kommt es für den Anspruch des Klägers auf Kg auch auf die Frage 2 an. Es ist entscheidungserheblich, ob die Gleichstellungsregelung des Art 2 Abs 1 und Art 3 Abs 1 EWGV 1408/71 nicht nur dann gilt, wenn ein Staatenloser aus einem EU-Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat wechselt, sondern auch schon dann, wenn er – wie hier der Kläger – aus einem nicht zur EU gehörenden Staat (Drittstaat) in einen EU-Mitgliedstaat eingereist und seitdem dort geblieben ist, er also innerhalb der EU nicht gewandert ist (und dies auch nicht versucht hat) und deshalb kein EU-interner grenzüberschreitender Sachverhalt gegeben ist.
Koordinierungsregelungen der EU sind nur dort notwendig, wo sich die Frage nach der Anwendung von Vorschriften über die soziale Sicherheit von mindestens zwei Mitgliedstaaten stellt. Darauf sind die Vorschriften der EWGV 1408/71 zugeschnitten; sie gilt – wie erwähnt – ausweislich ihres Titels für „Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern”. Daher ist es zweifelhaft, ob diese Verordnung auch für Sachverhalte gilt, in denen es mangels Wanderung des Arbeitnehmers nur auf die Vorschriften eines Mitgliedstaates ankommen kann, es also keiner Koordinierungsregeln bedarf.
In Anlehnung an die bisherige Rechtsprechung des EuGH hat der bis Ende 1996 für das Kg-Recht zuständige 10. Senat des BSG in seinem Urteil vom 3. Dezember 1996 – 10 RKg 8/96 – (SozR 3-5870 § 1 Nr 12) die Frage verneint. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH gelten die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen nicht für Sachverhalte, die keinerlei Berührungspunkte mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Gemeinschaftsrecht abstellt. An einem solchen Berührungspunkt iS der EWGV 1408/71 fehlt es, wenn ein Betroffener oder sein Familienangehöriger niemals das Recht der Freizügigkeit innerhalb der EU ausgeübt hat (EuGH, Urteil vom 27. Oktober 1982 – Rs 35/82 und 36/82 Morson/Jhanjan – Slg 1982, 3723, 3738; Urteil vom 28. Juni 1984 – Rs 180/83 Moser – Slg 1984, 2539, 2548; Urteil vom 17. Dezember 1987 – Rs 147/87 Zaoui – Slg 1987, 5511, 5528; Urteil vom 28. Januar 1992 – Rs C-332/90 Steen – Slg I 341, 358; Urteil vom 19. März 1992 – Rs C-60/91 Batista Morais – Slg I 2085, 2109; Urteil vom 22. September 1992 – Rs C-153/91 Petit – Slg I 4973, 4995; Urteil vom 10. Oktober 1996 – Rs C-245/94 Hoever und C-312/94 Zachow – Slg I 4895, 4941; Urteil vom 5. Juni 1997 – Rs C-64/96 Uecker und C-65/96 Jacquet – Slg I 3182). Gleiches muß dann gelten, wenn sich der Sachverhalt auf einen Mitgliedstaat beschränkt und der Arbeitnehmer nicht einmal das Recht auf Freizügigkeit besitzt. Die Notwendigkeit eines EU-internen „grenzüberschreitenden Elements” durch Wanderung eines Arbeitnehmers bzw Selbständigen oder zumindest eines Familienangehörigen hat der EuGH zuletzt durch sein Urteil vom 5. März 1998 – Rs C-194/96 Kulzer – noch einmal bestätigt, wonach eine Person, die nur in dem Staat, dem sie angehört, gearbeitet hat, vom persönlichen Geltungsbereich der EWGV 1408/71 ausnahmsweise auch dann erfaßt wird, wenn ihr unterhaltsberechtigtes Kind, für das sie Familienleistungen beansprucht, mit ihrem früheren Ehegatten innerhalb der Gemeinschaft zu- oder abgewandert ist. An einem solchen EU-internen „grenzüberschreitenden Element” fehlt es hier. Allerdings betraf die bisherige Rechtsprechung des EuGH stets Fälle, in denen die Betroffenen und ihre Familienangehörigen entweder Unionsbürger oder Bürger von Drittstaaten waren. Sachverhalte, in denen Staatenlose aus einem Drittstaat in einen EU-Mitgliedstaat eingereist und dort geblieben sind, waren, soweit ersichtlich ist, bisher nicht Gegenstand der Rechtsprechung des EuGH. Insoweit besteht Klärungsbedarf, zumal die für Fragen der EWGV 1408/71 zuständige Referatsleiterin der Europäischen Kommission – Generaldirektion V – in einem an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers gerichteten Schreiben vom 5. März 1998 die – allerdings ausdrücklich als ihre persönliche Meinung gekennzeichnete – Auffassung vertreten hat, der Begriff des „Flüchtlings” iS der EWGV 1408/71 umfasse auch Personen, die nur Berührung mit dem Recht eines Mitgliedstaates haben. Sollte dies zutreffen, müßte das konsequenterweise auch für Staatenlose gelten.
Soweit der EuGH die Frage 2 positiv beantworten möchte, wird er gebeten, zugleich darüber Auskunft zu geben, ob die Gleichstellungsregelung des Art 2 Abs 1 und Art 3 Abs 1 EWGV 1408/71 nicht nur dann gilt, wenn ein Staatenloser aus einem Drittstaat in einen EU-Mitgliedstaat als Arbeitnehmer oder Selbständiger einreist, er sich also zum Zwecke der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erlaubt in den Mitgliedstaat begibt, sondern auch schon dann, wenn er – wie hier – aus anderen Gründen, zB als Bürgerkriegsflüchtling, einreist und er den Status als Arbeitnehmer oder Selbständiger erst im Laufe des Aufenthalts in dem Mitgliedstaat erwirbt. Eine zweifelsfreie Antwort hierauf ist aus Sicht des erkennenden Senats bisher nicht möglich. Die Frage könnte zB dahingehend beantwortet werden, daß die EWGV 1408/71 mit der Erlangung des Status als Arbeitnehmer oder Selbständiger auf in der EU lebende Staatenlose mit Wirkung für die Zukunft anwendbar wird und sich die Anwendung nicht auf solche Staatenlose beschränkt, die bereits als Arbeitnehmer mit dem Recht zur sofortigen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in einen Mitgliedstaat eingereist sind, was in der Praxis kaum einmal vorkommen dürfte. Die Frage ist hier von Bedeutung, weil der Kläger als Bürgerkriegsflüchtling nach Deutschland gekommen ist und ihm die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zunächst nicht erlaubt war, er aber später eine Arbeitserlaubnis bekommen hat, und der geltend gemachte Kg-Anspruch einen Zeitraum betrifft, in dem er den Status als Arbeitnehmer bereits besaß.
Fundstellen