Verfahrensgang

SG Hannover (Entscheidung vom 01.07.2020; Aktenzeichen S 73 AS 1604/19)

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 04.11.2021; Aktenzeichen L 11 AS 357/20)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren einen besonderen Vertreter zu bestellen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 4. November 2021 - L 11 AS 357/20 - wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

1. Nach § 72 Abs 1 SGG kann für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter bis zum Eintritt eines Vormunds, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren ein besonderer Vertreter bestellt werden. Die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor, weil der Kläger prozessfähig ist.

Ein Beteiligter ist prozessfähig, soweit er sich durch Verträge verpflichten kann (§ 71 Abs 1 SGG). Daran fehlt es ua bei Personen, die sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befinden, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist (§ 105 Abs 1, § 104 Nr 2 BGB). Prozessunfähigkeit setzt also die Aufhebung freier Willensbestimmung voraus, die auf anhaltende psychische Störungen erheblichen Ausmaßes zurückzuführen sein muss; solche psychischen Störungen sind möglichst exakt zu beschreiben und bedürfen der Einordnung in eines der gängigen Diagnosesysteme (zB ICD-10, DSM-5) unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen (ausführlich dazu letztens BSG vom 27.1.2022 - B 2 U 175/20 B - vorgesehen für SozR 4-1500 § 71 Nr 4 RdNr 10 ff mwN). Der Senat ist vorliegend unter Berücksichtigung der den Beteiligten bekannten medizinischen Gutachten vom 13.8.2014, 25.8.2015 und 29.8.2018 nicht davon überzeugt, dass bei dem Kläger entsprechende psychische Störungen und damit Prozessunfähigkeit vorliegen. Er sieht sich auch nicht zu weiteren Ermittlungen gedrängt. Eine Verschlechterung seines Gesundheitszustands macht der Kläger nicht geltend. Eine solche Verschlechterung ist auch nach Aktenlage nicht ersichtlich. Hierauf ist der Kläger bereits mit Schreiben vom 17.6.2022 ausdrücklich hingewiesen worden.

Mit den seine Prozessfähigkeit bejahenden Entscheidungen des Senats (vgl Senatsbeschlüsse vom 10.8.2022 - B 4 AS 51/22 BH und B 4 AS 63/22 BH) setzt sich der Kläger weder auseinander, noch benennt er medizinische Befunde, die seine gegenteilige Annahme stützen würden. Die bloße Schilderung des bisherigen Prozessverhaltens ist demgegenüber nicht aussagekräftig, um daraus eine spezifische psychische Beeinträchtigung abzuleiten. Dass der Kläger im bisherigen Verfahren - ebenso wie in zahlreichen Parallelverfahren - Schwierigkeiten hatte, seine Rechtspositionen adäquat geltend zu machen, begründet zwar fachkundigen Vertretungsbedarf, stellt aber seine Prozessfähigkeit nicht infrage (vgl auch hierzu BSG vom 27.1.2022 - B 2 U 175/20 B - vorgesehen für SozR 4-1500 § 71 Nr 4 RdNr 18 mwN). Der Vortrag, es sei nicht ersichtlich, dass der Kläger eine Vielzahl von Klagen aus querulatorischen Gründen erhoben habe, und er müsse deshalb prozessunfähig sein, überzeugt ebenfalls nicht.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels nicht in der gebotenen Weise bezeichnet wird (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; siehe bereits BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Beschwerde macht zum einen geltend, das LSG habe verfahrensfehlerhaft trotz Prozessunfähigkeit des Klägers ohne Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 72 Abs 1 SGG entschieden. Insoweit fehlt es schon - anknüpfend an die vorstehenden Ausführungen zur Prozessfähigkeit des Klägers - an der erforderlichen substantiierten Darlegung, aus welchen Gründen der Kläger prozessunfähig gewesen sein sollte.

Auch soweit zum anderen die Beschwerde als Verfahrensfehler geltend macht, SG und LSG hätten gegen § 123 SGG verstoßen, weil über einen Anspruch des Klägers nicht entschieden worden sei, fehlt es an einer ausreichend substantiierten Begründung (vgl zu den in diesem Punkt bestehenden Anforderungen etwa BSG vom 9.1.2019 - B 13 R 25/18 B - RdNr 6 ff). Vor dem Hintergrund, dass das SG die Klage(n) bereits als unzulässig angesehen hat, wäre darzulegen gewesen, dass der nach dem Vorbringen der Beschwerde bereits vor dem SG geltend gemachte, aber übergangene Anspruch nach § 44a Abs 1 Satz 7 SGB II zulässigerweise Gegenstand des Verfahrens geworden sein könnte. Dies hätte jedenfalls Vortrag zum Verwaltungsverfahren (Antragstellung; Entscheidungen des Beklagten) erfordert, der indessen fehlt. Somit erschließt sich aufgrund der Beschwerdebegründung schon nicht, warum die Entscheidung des LSG auf einer Verletzung von § 123 SGG beruhen könnte.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil diese nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Meßling                                   Burkiczak                           Söhngen

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15615651

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