Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 28.06.2018; Aktenzeichen L 5 KR 183/17)

SG Schleswig (Entscheidung vom 06.10.2017; Aktenzeichen S 5 KR 121/16)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 28. Juni 2018 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens der Klägerin zu erstatten.

 

Gründe

I

Das Schleswig-Holsteinische LSG hat mit Urteil vom 28.6.2018 den Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit einem Bioness L 300 Fußhebersystem mit Neurostimulation zum Ausgleich einer Behinderung nach § 33 Abs 1 S 1 Var 3 SGB V bestätigt und die beklagte Krankenkasse zur Versorgung mit diesem bzw einem vergleichbaren Hilfsmittel verurteilt: Bei der im Jahre 1945 geborenen, an einer Halbseitenlähmung links leidenden Versicherten verbessere der Einsatz des Gerätes die eingeschränkte Gehfähigkeit sowie das Gangbild der Klägerin und ermögliche eine Erweiterung der Gehstrecke. Es handele sich um ein Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich. Es lägen hingegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die ärztliche Verordnung einen therapeutischen Krankenbehandlungsansatz verfolge oder die ärztliche Verordnung in ein Therapiekonzept eingebunden sei. Das Hilfsmittel diene nicht dazu, den Erfolg einer Krankenbehandlung im Hinblick auf die Folgen des erlittenen Schlaganfalls im Sinne einer Besserung oder Rückbildung der Halbseitenlähmung zu sichern. Da das Hilfsmittel über eine vom therapeutischen Nutzen unabhängige Funktion zum Ausgleich der Behinderung beim Gehen verfüge, sei es auch nicht untrennbarer Bestandteil einer Krankenbehandlung und bedürfe daher auch nicht des positiven Votums des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 135 SGB V.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorgenannten Urteil des LSG hat die Beklagte Beschwerde eingelegt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Beklagte den allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht formgerecht dargelegt hat (§ 160a Abs 2 S 3 SGG). Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59, 65).

Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Beklagte hält für grundsätzlich bedeutsam die Fragen,

"Greift bei der Versorgung mit einem Hilfsmittel, das sowohl dem Behinderungsausgleich dient als auch zu therapeutischen Zwecken im Rahmen einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode eingesetzt werden kann, der Vorbehalt des § 135 Abs. 1 SGB V?"

"Kommt es für die Beurteilung des Vorbehalts bei doppelfunktionalen Hilfsmitteln darauf an, ob der Schwerpunkt beim Behinderungsausgleich oder bei der Krankenbehandlung liegt?"

Zur Begründung führt sie aus, dass bislang keine Rechtsprechung dazu vorliege, ob der Vorbehalt von § 135 Abs 1 SGB V auch dann greife, wenn ein Hilfsmittel sowohl dem Behinderungsausgleich diene als auch im Rahmen der Krankenbehandlung eingesetzt werden könne bzw ob unterschiedliche Bewertungen angezeigt seien, je nachdem wo der Schwerpunkt des Einsatzes des Hilfsmittels liege. Zum Erfordernis der Beteiligung des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 135 SGB V bezieht sich die Beklagte auf die Senatsurteile vom 8.7.2015 (B 3 KR 6/14 R - BSGE 119, 180 = SozR 4-2500 § 139 Nr 7 ≪CAM-Kniebewegungsschiene≫ und vom 11.5.2017 - B 3 KR 6/16 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 51 ≪Kopforthese≫).

Den von der Beklagten aufgeworfenen Fragen fehlt es bereits an hinreichenden Darlegungen zur Entscheidungserheblichkeit im angestrebten Revisionsverfahren. Wenn die Beklagte "im Gegensatz zu den Ausführungen der Vorinstanzen" (S 12 der Beschwerdebegründung) meint, das Hilfsmittel sei doppelfunktional konzipiert, weil es neben der Komponente zum Behinderungsausgleich auch eine hiervon untrennbare therapeutische Komponente zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung habe, stehen diese Darlegungen den - nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher den Senat - bindenden Tatsachenfeststellungen des LSG (§ 163 SGG) entgegen. Danach verfügt das Hilfsmittel über eine vom therapeutischen Nutzen unabhängige Funktion zum Ausgleich der Behinderung beim Gehen. Die therapeutische Trainingsfunktion sichere auch nicht den Erfolg einer Krankenbehandlung, da nicht jedwede gesundheitsfördernde Betätigung - wie hier im Betrieb des Trainingsmodus - im Rahmen eines therapeutischen Krankenbehandlungsansatzes erfolge (S 14 Entscheidungsgründe). Dem Vortrag der Beklagten fehlt es daher an hinreichender Plausibilität, aus welchem Grund gleichwohl über eine - lediglich behauptete - Doppelfunktionalität des Hilfsmittels bzw Untrennbarkeit beider Funktionen im Rahmen des angestrebten Revisionsverfahrens tragend zu entscheiden sein sollte.

Im Übrigen fehlt es auch an ausreichender Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Problematik, weil das LSG die maßgebliche Rechtsprechung des BSG seinem Urteil tragend zugrunde gelegt hat.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 2 Halbs 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI12903216

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