Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 28.04.2022; Aktenzeichen L 6 VS 420/21)

SG Ulm (Entscheidung vom 08.12.2020; Aktenzeichen S 15 VS 3330/17)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. April 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über die Anerkennung einer weiteren Schädigungsfolge als Teil der dem Kläger gewährten Soldatenversorgung.

Der 1971 geborene Kläger war seit 1993 Berufssoldat und zuletzt bis Ende Juni 2018 als Hauptfeldwebel im Bereich Datenverarbeitung eingesetzt. In den Jahren 2003 und 2004 leistete er seinen Dienst zeitweise in Afghanistan.

Mit Bescheid vom 29.1.2015 lehnte die Beklagte es ab, die schwere Alkoholabhängigkeit des Klägers als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen und dafür Ausgleich zu leisten.

Mit Teilabhilfebescheid vom 22.8.2017 erkannte die Beklagte eine durch schädigende Einwirkungen iS des § 81 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) hervorgerufene "psychoreaktive Störung (hier: PTBS)" als Folge einer Wehrdienstbeschädigung an. Sie gewährte dafür Ausgleich nach § 85 SVG ab 1.1.2010 bis längstens zum Dienstzeitende nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 30.

Das SG hat die schwere Alkoholabhängigkeit des Klägers als weitere Folge der Wehrdienstbeschädigung festgestellt und die Beklagte verurteilt, dem Kläger dafür Ausgleich nach einem GdS von 50 ab dem 1.1.2010 und von 80 ab dem 1.1.2018 zu gewähren (Urteil vom 8.12.2020).

Das LSG hat das SG-Urteil nach weiterer medizinischer Beweiserhebung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Eine PTBS sei nicht erwiesen und könne deshalb auch nicht Ursache der schweren Alkoholkrankheit des Klägers sein. Aber auch wenn man die PTBS als anerkannte Schädigungsfolge zugrunde lege, sei die Klage unbegründet. Die Abhängigkeitserkrankung sei multifaktoriell bedingt. Der Kläger habe schon vor dem Auslandseinsatz zu schädlichem Alkoholkonsum und zur Konfliktbewältigung mit Alkohol geneigt. Zudem hätten auch außerhalb der Auslandseinsätze mehrere Belastungsfaktoren bestanden. Die Versorgungsärztin S habe deshalb die Auslandseinsätze als wesentliche Ursache für die Alkoholerkrankung überzeugend ausgeschlossen (Urteil vom 28.4.2022).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt und sei von der Rechtsprechung des BSG abgewichen.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache noch eine Divergenz ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

1. Der Kläger hat keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt.

Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.8.2020 - B 9 V 5/20 B - juris RdNr 6 mwN).

Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung.

Der Kläger hält es für grundsätzlich bedeutsam,

in welchem Umfang die Anerkennung einer Schädigungsfolge (§ 81 SVG) bzw eines Ausgleichs (§ 85 SVG) die Leistungsträger und die Gerichte bei der Prüfung der Anerkennung weiterer, nachträglich geltend gemachter Schädigungsfolgen im Hinblick auf das Vorliegen von komorbiden Gesundheitsstörungen und deren Ursachen bindet.

Offenbleiben kann, ob der Kläger damit eine hinreichend konkrete Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten, genau bezeichneten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert hat (vgl BSG Beschluss vom 9.5.2022 - B 9 SB 75/21 B - juris RdNr 7 mwN). Denn unabhängig davon legt der Kläger schon nicht dar, ob die von ihm aufgeworfene Frage in einem Revisionsverfahren überhaupt klärungsfähig (entscheidungserheblich) wäre. Dazu hätte es vertiefter Darlegungen bereits deshalb bedurft, weil das LSG - worauf auch die Beklagte in ihrer Beschwerdeerwiderung hinweist - in seinem Urteil ausgeführt hat, die Klage sei selbst dann unbegründet, wenn der weiteren Beurteilung die PTBS als anerkannte Schädigungsfolge zugrunde gelegt werde. Stützt das Gericht seine Entscheidung - wie hier - kumulativ auf mehrere Gründe, von denen jeder für sich genommen das Entscheidungsergebnis trägt, so kommt eine Zulassung der Revision nur in Betracht, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungsstränge ein Zulassungsgrund vorliegt (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 29.11.2017 - B 6 KA 51/17 B - juris RdNr 16). Mit der Beschwerde muss dann für jede Begründung ein Zulassungsgrund formgerecht gerügt werden (BSG Beschluss vom 18.1.2012 - B 8 SO 36/11 B - juris RdNr 5). Daran fehlt es. Soweit der Kläger hingegen ausführt, der PTBS komme gegenüber konkurrierenden Faktoren eine zumindest gleichwertige Bedeutung für die Entstehung seiner Alkoholkrankheit zu, wendet er sich im Ergebnis gegen die anderweitige Beweiswürdigung des Berufungsgerichts (vgl § 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Diese ist jedoch gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzogen. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (BSG Beschluss vom 1.7.2020 - B 9 SB 5/20 B - juris RdNr 10 mwN). Soweit der Kläger im Übrigen Bezug nimmt auf das beim BSG zur Zeit der Beschwerdebegründung noch anhängige Revisionsverfahren B 9 V 1/21 R, sei darauf hingewiesen, dass sich dieses Verfahren inzwischen erledigt hat, weil der dortige Kläger die Revision zurückgenommen hat.

2. Die für eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) notwendigen Voraussetzungen zeigt der Kläger ebenfalls nicht im gebotenen Maße auf.

Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen bezeichnen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der angegriffenen Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die höchstrichterliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (stRspr; zB BSG Beschluss vom 23.2.2022 - B 9 V 35/21 B - juris RdNr 8 f; BSG Beschluss vom 13.12.2017 - B 5 R 256/17 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 13 R 140/17 B - juris RdNr 12 f).

Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht. Nach Ansicht des Klägers beruht die Entscheidung des LSG auf dem Rechtssatz, die durch Bescheid erfolgte Feststellung von Schädigungsfolgen binde den Beklagten und die Gerichte im Hinblick auf die tatbestandliche Voraussetzung einer Wehrdienstbeschädigung lediglich bei der Beurteilung eben dieser Schädigungsfolgen, nicht aber bei der Prüfung weiterer Schädigungsfolgen. Das LSG habe in seinem Urteil insoweit ausgeführt, da die PTBS trotz ihrer bindenden Anerkennung als Schädigungsfolge tatsächlich nicht bestehe, könne sie auch nicht seine Alkoholkrankheit verursacht haben. Der Kläger versäumt es jedoch darzulegen, warum das Urteil des LSG auf diesem Verständnis vom Umfang der Bindungswirkung des Teilabhilfebescheids vom 22.8.2017 und damit auf dem von ihm angenommenen Rechtssatz beruhen sollte. Leitet der Beschwerdeführer - wie hier - aus der angegriffenen Entscheidung nur einen Rechtssatz ab, so muss dieser einziges und damit allein tragendes Argument der Urteilsbegründung sein (vgl Karmanski in BeckOGK, SGG, Stand 1.11.2022, § 160a RdNr 90). Dazu verhält sich die Beschwerdebegründung nicht. Ausführungen hierzu wären aber schon deshalb notwendig gewesen, weil das LSG - wie oben ausgeführt - unabhängig von der Frage der Bindungswirkung entschieden hat, dass die Klage auf Feststellung der Alkoholkrankheit als weitere Schädigungsfolge selbst dann unbegründet sei, wenn die PTBS als anerkannte Schädigungsfolge der weiteren Beurteilung zugrunde gelegt werde. Der Kläger führt nicht aus, warum die von ihm gerügte Divergenz zu der Entscheidung des BSG vom 22.6.1967 (9 RV 188/66 - BSGE 27, 22 = SozR Nr 59 zu § 77 SGG) in einem Revisionsverfahren dennoch entscheidungserheblich sein könnte.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

4. Die nicht formgerecht begründete Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Kaltenstein                                Othmer                              Röhl

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15615641

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