Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensfehler. Untersuchungsgrundsatz. Darlegung der Verfahrens- und Prozessgeschichte sowie des tatsachengerichtlich festgestellten Sachverhalts. Vernehmung medizinischer Laien zu Krankheitssymptomen. abweichende Einschätzungen von Sachverständigen. Darlegung der Erforderlichkeit weiterer Ermittlungen. gesteigerte Substantiierungslast. unterschiedliche Anknüpfungs- bzw Befundtatsachen in den Gutachten. richterliche Beweiswürdigung. weiteres Gutachten nicht zwingend erforderlich. Qualität des Gutachtens. mangelhafte Befragung der Begutachtungsperson. konkretisierende Angaben in der Beschwerdebegründung. Umfang der Amtsermittlungspflicht. konkretes Beweisthema im Beweisantrag. Darlegungsanforderungen
Orientierungssatz
1. Die Vernehmung eines medizinischen Laien zu spezifischen Krankheitssymptomen kann durchaus geeignet sein, zur Aufklärung von Tatsachen beizutragen, denen im weiteren Erkenntnisprozess medizinische Bedeutung zukommt (vgl BSG vom 7.4.2011 - B 9 SB 47/10 B).
2. Liegen dem Tatsachengericht bereits mehrere abweichende Einschätzungen von Sachverständigen vor, reicht es für einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag nicht aus, lediglich nochmals das Bestehen der konkreten Gesundheitsbeeinträchtigung (hier: posttraumatisches Belastungssyndrom) unter Beweis zu stellen bzw ohne nähere Erläuterung auf die abweichenden Einschätzungen der Sachverständigen zu verweisen.
3. Beruhen die Differenzen zwischen den Auffassungen von Sachverständigen darauf, dass diese von verschiedenen tatsächlichen Annahmen ausgehen, muss der Tatsachenrichter, ggf nach weiterer Aufklärung, die für seine Überzeugungsbildung maßgebenden Tatsachen feststellen oder begründen, weshalb und zu wessen Lasten sie beweislos geblieben sind (vgl BGH vom 23.9.1986 - VI ZR 261/85 = NJW 1987, 442). Diese letztgültige Feststellung der maßgeblichen Anknüpfungs- bzw Befundtatsachen muss nicht zwingend durch ein weiteres Gutachten, sondern kann in freier Beweiswürdigung der von den Sachverständigen festgestellten Tatsachen erfolgen (Abgrenzung zu BSG vom 12.5.2015 - B 9 SB 93/14 B) .
4. Mit dem Vorwurf, der Sachverständige habe die Begutachtungsperson mangelhaft befragt, weshalb es ihm nicht gelungen sei, gewisse Symptome "herauszuarbeiten", kritisiert die Beschwerde letztlich nur Methode und Vorgehensweise des Sachverständigen und legt einen Qualitätsmangel des Gutachtens nicht in substantiierter Weise dar.
5. Wird im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde ein Verstoß gegen die tatsachengerichtliche Sachaufklärungspflicht geltend gemacht, erfordert die Beschwerdebegründung insbesondere auch die Darlegung der Tatumstände, die zur weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten. Eine Beschwerdebegründung wird diesem Erfordernis nicht gerecht, wenn es an einer zusammenhängenden und aus sich heraus verständlichen Darlegung der Verfahrens- und Prozessgeschichte sowie des vom LSG festgestellten Sachverhalts fehlt.
6. Konkretisierende Angaben in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde vermögen dabei allerdings nicht die Voraussetzung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG zu ersetzen.
7. Ein auf das Vorliegen eines "Vollbilds einer posttraumatischen Belastungsstörung nach ICD-10 Nummer F 43.1" gerichteter Beweisantrag umfasst nicht ohne Weiteres auch das Vorliegen von sonstigen Reaktionen nach schweren Belastungen nach ICD-10 Nummer F 43.8 und zwingt damit nicht zu einer entsprechenden weitergehenden Ermittlung von Amts wegen.
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 1, Nr. 2, §§ 103, 128 Abs. 2, § 106 Abs. 3-4, § 118 Abs. 1 S. 1, §§ 123, 163; ZPO §§ 373, 412 Abs. 1; StPO § 244 Abs. 3 S. 2; VersMedV Anlage Teil B Nr. 3.7; ICD-10-GM Nr. F43.1; ICD-10-GM Nr. F43.8
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Juni 2016 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt Entschädigung für die Folgen rechtsstaatswidriger Haft in der ehemaligen DDR im Jahr 1987.
Im November 2008 beantragte die Klägerin zum wiederholten Mal Versorgungsleistungen wegen der Haftfolgen. Sie leide deshalb ua an Depressionen und Schlaflosigkeit. Der Beklagte lehnte den Antrag nach medizinischen Ermittlungen ab, weil kein Zusammenhang zwischen den vorgebrachten Gesundheitsstörungen und der Inhaftierung bestehe (Bescheid vom 15.4.2010, Widerspruchsbescheid vom 6.12.2010).
Das SG holte ein Gutachten des Psychiaters Prof. Dr. S. ein, der der Klägerin als Folge der Haft ein subsyndromales posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) bescheinigte und einen Grad der Schädigung (GdS) von 10 vorschlug. Das SG hat den Beklagten unter Änderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, als Folgen der Haft eine sonstige Reaktion auf schwere Belastung (subsyndromales PTBS) anzuerkennen und die Klage im Übrigen abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 10.10.2014).
Die Klägerin hat dagegen Berufung, der Beklagte Anschlussberufung eingelegt. Das LSG hat auf Antrag der Klägerin ein Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Prof. Dr. P. eingeholt. Nach seiner Ansicht liegt bei der Klägerin das Vollbild einer PTBS vor, die auf Dauer mit einem GdS von 40 zu bewerten sei. Das LSG ist dagegen dem erstinstanzlich gehörten Gutachter gefolgt, hat den Gerichtsbescheid aufgehoben, die Klage abgewiesen und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Nach den gängigen Diagnosesystemen entsprechend der Nomenklatur der ICD-10 und der Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) könne sich der Senat vom Vorliegen einer PTBS bei der Klägerin nicht überzeugen. Es fehle jedenfalls an dem C- oder Vermeidungskriterium sowie an dem D- oder Hypersensitivitätskriterium (Urteil vom 23.6.2016).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Das LSG habe Verfahrensfehler begangen, sei von der Rechtsprechung des BSG abgewichen und habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder die behaupteten Verfahrensmängel (1.) noch die angebliche Divergenz und grundsätzliche Bedeutung (2.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung dieses Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden. Daran fehlt es hier.
a) Die Beschwerde hat den behaupteten Verstoß des LSG gegen seine Pflicht zur Amtsermittlung aus § 103 SGG und in diesem Zusammenhang gegen §§ 128 Abs 2, 106 Abs 3 und 4 SGG sowie § 412 ZPO nicht hinreichend substantiiert dargelegt.
Rügt ein Beschwerdeführer Verstöße gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG), muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 160a RdNr 56).
Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Zunächst fehlt es an der zusammenhängenden und aus sich heraus verständlichen Darlegung der Verfahrens- und Prozessgeschichte sowie des vom LSG festgestellten Sachverhalts und damit der Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass hätten geben können. Die Beschwerde beschränkt sich insoweit auf eine wenige Zeilen umfassende "Vorbemerkung" mit einer bruchstückhaften Zusammenfassung des Prozessgeschehens aus Sicht der Klägerin.
Darüber hinaus hat die Klägerin nicht dargelegt, einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt zu haben. Der von ihr wiedergegebene Antrag,
sie neurologisch, psychiatrisch und psychotherapeutisch von Amts wegen begutachten zu lassen zu der Frage, ob bei ihr das Vollbild PTBS nach der ICD-10 GM 2016 Nr F43.1 und/oder dem DSM IV oder dem DSM 5 erfüllt ist bzw aufgrund der unterschiedlichen Einschätzungen zweier Sachverständiger zur Schwere der Ausprägung der psychischen Erkrankung im Sinne von Teil B Nr 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze sowie zur Feststellung des Grades der sozialen Anpassungsstörungen aufgrund der Unterschiedlichkeit der Sachverständigengutachten,
enthält weder die erforderliche, hinreichend bestimmte Beweisbehauptung ("ob"), noch gibt er das voraussichtliche Ergebnis der beantragten Beweiserhebung an. Darüber hinaus lässt der Antrag zwar erkennen, zu welchen Tatsachen die Klägerin eine Beweiserhebung für nötig erachtet hat. Um in der aktuellen Prozesssituation ein Beweisthema für das LSG hinreichend genau zu bezeichnen, hätte sie aber zusätzlich angeben müssen, warum gerade diese Punkte weiter klärungsbedürftig sein sollten. Denn je mehr Aussagen von Sachverständigen oder (sachverständigen) Zeugen zum Beweisthema bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller auf mögliche Unterschiede und Differenzierungen eingehen (Fichte, SGb 2000, 653, 656). Angesichts dessen reichte es nicht aus, lediglich nochmals das Bestehen einer PTBS im Vollbild unter Beweis zu stellen bzw ohne nähere Erläuterung auf die abweichenden Einschätzungen der Sachverständigen zur psychischen Erkrankung der Klägerin zu verweisen, da zu diesen Themenkomplexen bereits drei Sachverständigengutachten vorlagen. Der allgemein gehaltene und relativ undifferenzierte Antrag der Klägerin war daher nicht dazu geeignet, dem Berufungsgericht noch klärungsbedürftige Punkte aufzuzeigen und es damit zu weiteren Ermittlungen zu veranlassen.
Auch der von der Klägerin weiter wiedergegebene Antrag, ihren Lebensgefährten als Zeugen zur Feststellung der Symptome der Krankheit, insbesondere der sozialen Anpassungsschwierigkeiten im Bereich Partnerschaft, sonstige soziale Beziehungen und an ihrem Arbeitsplatz zu vernehmen, gibt nicht hinreichend substantiiert an, welche Tatsachen genau in das Wissen des Zeugen gestellt werden und teilt zudem das zu erwartende Ergebnis der Zeugenvernehmung nicht mit (vgl BSG Beschluss vom 13.8.2015 - B 9 V 13/15 B - RdNr 10 mwN). Hierzu hätte in besonderem Maße Veranlassung bestanden, nachdem sich die eingeholten Gutachten entsprechend den Angaben der Beschwerdebegründung mit der relevanten Krankheitssymptomatik befasst hatten. Konkretisierende Angaben in der Beschwerdebegründung vermögen einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht zu ersetzen. Zudem erscheint es in der konkreten Situation vertretbar, wenn das Berufungsgericht die Vernehmung eines medizinischen Laien zu spezifischen Krankheitssymptomen als von vornherein völlig ungeeignetes Beweismittel angesehen hat, vgl § 244 Abs 3 S 2 Strafprozessordnung, obwohl dieser im Übrigen durchaus geeignet sein kann zur Aufklärung von Tatsachen beizutragen, denen im weiteren Erkenntnisprozess medizinische Bedeutung zukommt (vgl BSG hierzu Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 SB 47/10 B - mwN).
Unabhängig davon hat die Beschwerde auch nicht schlüssig dargelegt, warum die Anträge der Klägerin das LSG hätten zu weiterer Beweiserhebung drängen müssen. Dazu hätte es der Darlegung bedurft, warum das Gericht objektiv gehalten gewesen war, den Sachverhalt weiter aufzuklären und den beantragten Beweis zu erheben (vgl BSG Beschluss vom 29.4.2010 - B 9 SB 47/09 B - Juris). Daran fehlt es hier. Die Würdigung voneinander abweichender Gutachtenergebnisse oder ärztlicher Auffassungen gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zur Einholung eines so genannten Obergutachtens (zu diesem Begriff Pawlak in Hennig, SGG, Stand September 2016, § 128 RdNr 73) besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtensergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 128 RdNr 7d, 7e mwN). Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einzuholen (Pawlak aaO § 128 RdNr 71). Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 8). Gründe für eine Ausnahme sind hier nicht dargelegt. Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten ungenügend sind, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO, weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9 mwN).
Die von ihr behaupteten, nur durch ein weiteres Gutachten aufzulösenden Widersprüche zwischen den unterschiedlichen Gutachten hat die Beschwerde nicht substantiiert dargelegt. Entgegen ihrer Auffassung genügt es dafür nicht schon, dass das auf Antrag der Klägerin eingeholte Sachverständigengutachten einerseits sowie die vom Gericht sowie vom Beklagten eingeholten Gutachten andererseits aus ihrer Sicht miteinander nicht zu vereinbarende Tatsachenfeststellungen enthalten. So ist auch der von der Beschwerde zitierte Senatsbeschluss vom 12.5.2015 (B 9 SB 93/14 B) nicht zu verstehen. Nach dieser Entscheidung braucht das Tatsachengericht jedenfalls dann kein weiteres Gutachten einzuholen, wenn der Kläger bereits nicht darlegt, dass sich die Tatsachengrundlagen der Gutachten widersprechen. Daraus ergibt sich aber umgekehrt noch nicht, dass bereits widersprüchliche Tatsachenfeststellungen verschiedener Gutachten stets ein weiteres Gutachten erzwingen, um den Widerspruch aufzulösen. Beruhen vielmehr die Differenzen zwischen den Auffassungen von Sachverständigen darauf, dass diese von verschiedenen tatsächlichen Annahmen ausgehen, dann muss der Tatrichter, ggf nach weiterer Aufklärung, die für seine Überzeugungsbildung maßgebenden Tatsachen feststellen oder begründen, weshalb und zu wessen Lasten sie beweislos geblieben sind (vgl BGH Urteil vom 23.9.1986 - VI ZR 261/85). Diese letztgültige Feststellung der maßgeblichen Anknüpfungs- bzw Befundtatsachen muss nicht zwingend durch ein weiteres Gutachten, sondern kann in freier Beweiswürdigung der von den Sachverständigen festgestellten Tatsachen erfolgen. Denn haben die Sachverständigen unterschiedliche Befunde erhoben, so obliegt es grundsätzlich dem Tatsachengericht, die Aussagekraft der erhobenen Befunde anhand nachvollziehbarer Kriterien zu gewichten, soweit es dazu nicht auf medizinische Sachkunde zurückgreifen muss, die ihm die Sachverständigen im zu entscheidenden Fall nicht vermittelt haben und über die es auch sonst nicht verfügt.
Die Beschwerde hat nicht substantiiert dargelegt, warum diese nachvollziehbare Gewichtung der unterschiedlichen Befunde dem LSG misslungen sein sollte. Was insbesondere eine erhöhte Reizbarkeit und Konzentrationsschwierigkeiten als maßgebliche (Unter-)Symptome einer PTBS angeht, hat das LSG die Feststellungen des von Amts wegen gehörten Sachverständigen als überzeugender angesehen. Diese habe sich - anders als der auf Antrag der Klägerin gehörte Sachverständige - nicht allein auf ihre Schilderungen verlassen, sondern die objektiv feststellbaren Befunde ausgewertet und zum Zeitpunkt der Begutachtung insbesondere eine Reizbarkeit sowie nennenswerte Konzentrationsstörungen nicht feststellen können. Die Beschwerde legt nicht substantiiert dar, warum diese nachvollziehbare Argumentation des LSG, die den Kernbereich der grundsätzlich der Tatsacheninstanz vorbehaltenen Tatsachenwürdigung betrifft, offensichtlich fehlsam gewesen sein könnte.
Nichts anderes gilt für die Verneinung des C- oder Vermeidungskriteriums durch das LSG, das sich insoweit der im Verwaltungsverfahren gehörten Sachverständigen angeschlossen hat, deren Gutachten es zulässigerweise im Wege des Urkundsbeweises verwertet hat. Das LSG hat maßgeblich auf die von der Sachverständigen hervorgehobenen intensiven regelmäßigen Kontakte der Klägerin zu ihren Mithäftlingen aus der Haftzeit abgestellt, durch die sie aktiv mit dem Trauma konfrontiert werde sowie auf Reisen der Klägerin in ihrer Heimat und die Beschäftigung mit ihrer Stasiakte verwiesen. Der Vorwurf der Beschwerde, diese Tatsachenfeststellungen der Sachverständigen seien unvollständig und die Sichtweise des LSG selektiv, zeigt nicht substantiiert auf, warum das LSG seinen Beurteilungsspielraum bei der Gewichtung unterschiedlicher Befunde überschritten haben sollte. In diesem Zusammenhang fehlt es zudem an der Darlegung, warum die von der Beschwerde kritisierte Verneinung des Merkmals der Vermeidung für sich genommen für die Entscheidung des LSG tragend gewesen sein könnte, da das LSG gleichzeitig das D-Kriterium der PTBS verneint und die Beschwerde, wie ausgeführt, nicht substantiiert dargelegt hat, warum insoweit ihrem Beweisantrag stattzugeben gewesen wäre.
Ebenso wenig substantiiert dargelegt hat die Beschwerde die behaupteten Qualitätsmängel der von ihr kritisierten Sachverständigengutachten des Prof. Dr. S. und der Frau O. und die angeblich daraus resultierende Notwendigkeit weiterer Beweiserhebung. Das LSG hat sein ablehnendes Urteil auf der Grundlage der sachverständigen Feststellungen - wie von der Rechtsprechung des BSG (vgl BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17) vorausgesetzt - ausdrücklich zumindest an einem der gängigen Diagnosesysteme, dem ICD-10, orientiert, sowie zusätzlich am System des DSM IV. Dabei hat das LSG den aus seiner Sicht fehlenden Nachweis ausreichend objektivierbarer Befunde insbesondere zu einer relevanten Konzentrationsschwäche und sowie einer Reizbarkeit der Klägerin auf eine Gesamtschau der von den Sachverständigen erhobenen Befunde gestützt. So hat es ua argumentiert, das Fehlen des Kriteriums der Hypersensitivität ergebe sich letztlich schon aus dem Wahlgutachten von Prof. Dr. P., weil allein eigenanamnestische Angaben der Klägerin nicht ausreichten, um medizinische Umstände hinreichend verlässlich festzustellen. Die Beschwerde hat nicht dargelegt, warum die aus ihrer Sicht fehlende Berücksichtigung spezieller Literatur zu der besonderen Situation von DDR-Haftopfern, insbesondere zur langen Latenzzeit von Traumafolgestörungen, durch den Sachverständigen Prof. Dr. S. der Grund dafür gewesen sein könnte, warum sich bei ihr die vollständigen Symptome für die Diagnose einer PTBS, wie sie nach den Ausführungen aller Sachverständigen erforderlich waren, nach der nicht angreifbaren Beweiswürdigung des LSG insgesamt nicht hinreichend objektivieren ließen. Mit dem Vorwurf, der Sachverständige Prof. Dr. S. habe die Klägerin mangelhaft befragt, weshalb es ihm nicht gelungen sei, gewisse Symptome "herauszuarbeiten", kritisiert die Beschwerde ohne substantiierte Belege letztlich nur Methode und Vorgehensweise des Sachverständigen.
Mit der Behauptung, die Klägerin erfülle die Diagnosekriterien des Diagnosesystems DSM 5 für eine posttraumatische Belastungsstörung, was keiner der Gutachter bisher dezidiert geprüft habe, versucht die Beschwerde schließlich, eigene medizinische Sachkunde an die Stelle derjenigen der Sachverständigen zu setzen. Insoweit hat die Klägerin zudem nicht substantiiert dargelegt, warum nur eine Begutachtung nach dem Diagnosesystem DSM 5 dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entsprochen hätte.
b) Auch die Verletzung rechtlichen Gehörs hat die Klägerin nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Ein solcher Verstoß liegt ua vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Dementsprechend sind insbesondere Überraschungsentscheidungen verboten (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 62 RdNr 8b mwN). Zur Begründung eines entsprechenden Revisionszulassungsgrundes ist nicht nur der Verstoß gegen diesen Grundsatz selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, welches Vorbringen ggf dadurch verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Ferner ist Voraussetzung für den Erfolg einer Gehörsrüge, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35; vgl auch BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die Klägerin gibt an, sie und ihr Prozessbevollmächtigter seien durch die Ausführungen des LSG in der mündlichen Verhandlung zu den Haftbedingungen in der JVA H. überrascht und sprachlos gewesen. Damit räumt die Klägerin selber ein, dass sie vor dem LSG Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt hätte. Soweit die Klägerin vorträgt, sie hätte, um die Einschätzung des LSG zu widerlegen, historische Unterlagen vorlegen können, gibt sie zu einem deren Inhalt nicht substantiiert an. Zum anderen erschließt sich nicht, warum sie die Möglichkeit zur Vorlage dieser Unterlagen nicht durch einen Vertagungs- bzw einen Beweisantrag hätte erzwingen und sich so rechtliches Gehör verschaffen können.
c) Ebenso wenig hat die Beschwerde den behaupteten Verstoß des LSG gegen § 123 SGG und den darin enthaltenen Grundsatz ne ultra petita substantiiert dargelegt. Die Beschwerde zeigt nicht in schlüssiger Weise auf, dass das LSG den Streitgegenstand des Verfahrens verkannt und deshalb § 123 SGG verletzt habe (zu einem solchen Verfahrensmangel vgl BSG Beschluss vom 29.3.2001 - B 7 AL 214/00 B - SozR 3-1500 § 123 Nr 1; BSG Beschluss vom 13.6.2013 - B 13 R 454/12 B - Juris RdNr 13 ff). Denn sie legt nicht dar, weshalb das LSG über einen anderen Streitgegenstand als den von ihr geltend gemachten entschieden habe. Hierzu hätte zumindest aufgezeigt werden müssen, welchen Antrag die anwaltlich vertretene Klägerin zum Schluss des Berufungsverfahrens gestellt und inwiefern das LSG durch seine Entscheidung die von ihr geltend gemachten Ansprüche ganz oder teilweise verfehlt hat. Der Verweis auf Ausführungen der Gutachter kann diese Darlegungen nicht ersetzen.
Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang rügt, das LSG hätte auch zum Vorliegen einer Erkrankung nach ICD 10 F 43.8 - sonstige Reaktionen auf schwere Belastung - von Amts wegen weiter ermitteln müssen, so hat sie nicht substantiiert dargelegt, warum ihr ausdrücklich auf das Vorliegen eines "Vollbilds einer posttraumatischen Belastungsstörung nach ICD-10 Nummer F 43.1" gerichteter Beweisantrag entgegen der Annahme des LSG auch diese Gesundheitsstörung mitumfasste.
2. Ebenso wenig hat die Beschwerde die Voraussetzungen einer Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG dargelegt. Sie liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Eine solche Divergenz kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss daher entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN).
Einen solchen abstrakten Rechtssatz bezeichnet die Beschwerde nicht, sondern behauptet lediglich, das LSG habe sich über die Vorgaben der Entscheidung des Senats vom 12.5.2015 - B 9 SB 93/14 B - hinweggesetzt. Dies trifft zum einen, wie bereits ausgeführt, in der Sache nicht zu. Vor allem aber kritisiert die Beschwerde damit letztlich nur die Rechtsanwendung des LSG im Fall der Klägerin. Die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall ist aber nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Dasselbe gilt für die von der Beschwerde aufgestellte Behauptung, das LSG setzte sich in Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG und des darin geforderten Rückgriffs auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse, insbesondere zu den Folgen rechtsstaatswidriger Haft in der ehemaligen DDR. Auch insoweit zeigt die Beschwerde keinen abstrakten Rechtssatz des LSG auf, mit dem dieses diese Notwendigkeit infrage gestellt hätte. Vielmehr rügt die Beschwerde insoweit wiederum lediglich die vermeintlich falsche Rechtsanwendung des LSG im Einzelfall. Soweit sie dem LSG vorwirft, es habe zu Unrecht das Diagnosesystem des DSM nicht herangezogen, so legt sie darüber hinaus auch nicht dar, warum dieser vermeintliche Rechtsfehler für die Entscheidung des LSG erheblich gewesen sein sollte. Denn das LSG hat ausdrücklich offengelassen, ob das Diagnosesystem heranzuziehen ist, weil auch unter seiner Zugrundelegung die Voraussetzungen einer PTBS nicht erfüllt seien.
Dasselbe gilt hinsichtlich der von der Beschwerde behaupteten, aber nicht näher ausgeführten angeblichen grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Die Beschwerde hat weder dargelegt und ausformuliert, welche grundsätzliche Rechtsfrage der Fall der Klägerin aufwerfen sollte, noch, warum sich eine solche Rechtsfrage nicht anhand der von ihr selber zitierten Rechtsprechung des BSG beantworten lässt.
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 10484681 |
NZS 2017, 440 |