Leitsatz (amtlich)
1. Ein Verstoß gegen SGG § 62 liegt nicht vor, wenn der Prozeßbeteiligte nur deswegen einen Termin zur mündlichen Verhandlung nicht wahrnimmt, weil die ihm nach SGG § 63 iVm VwZG § 3 Abs 3, ZPO § 182 durch Niederlegung beim Postamt ordnungsgemäß zugestellte Terminladung nicht in seinen Besitz gelangt ist.
2. SGG § 110 S 1, wonach der Vorsitzende den Beteiligten Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung "in der Regel zwei Wochen vorher" mitteilt, ist eine Ordnungsvorschrift, deren Verletzung allein keinen wesentlichen Verfahrensmangel begründet.
Normenkette
SGG § 62 Fassung: 1953-09-03, § 63 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, § 110 S. 1 Fassung: 1953-09-03; VwZG § 3 Abs. 3 Fassung: 1952-07-03; ZPO § 182; SGG § 162 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 1. August 1972 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger hat gegen das oben bezeichnete Urteil form- und fristgerecht die Revision eingelegt und begründet. Da das Landessozialgericht (LSG) die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen hat, wäre die Revision nur statthaft, wenn vom Kläger ein wesentlicher Mangel des Verfahrens vor dem LSG i.S. von § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG oder eine Verletzung des Gesetzes bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung i.S. des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG gerügt wird und vorliegt (vgl. BSG 1, 150, 254). Das ist jedoch nicht der Fall.
Eine Gesetzesverletzung im o.a. Sinne rügt der Kläger nicht. Auch mit seinem Vorbringen über Verfahrensmängel kann er die Statthaftigkeit der Revision nicht dartun.
Er trägt vor, daß ihm die Ladung zum Termin für die mündliche Verhandlung vor dem LSG am 1. August 1972 nicht zugegangen sei. Selbst wenn eine Zustellung der Ladung am 20. Juli 1972 erfolgt wäre, wäre dies jedenfalls nicht rechtzeitig gewesen. Weil er infolgedessen nicht zum Termin habe erscheinen können, sei ihm das rechtliche Gehör versagt worden. Neben der dadurch bedingten Verletzung des § 62 SGG rügt der Kläger ausdrücklich deswegen die Verletzung der §§ 110, 112, 124, 126 SGG.
Diese Rügen greifen nicht durch. Die Terminsmitteilung ist dem Kläger am 20. Juli 1972 durch Zustellung mittels Postzustellungsurkunde nach § 63 SGG i.V.m. § 3 VwZG zugegangen. Daß der Postbedienstete dem Kläger die Terminsladung nicht persönlich übergeben hat, weil er ihn in seiner Wohnung nicht antraf, steht dem nicht entgegen. Denn nach dem Inhalt der formgerecht ausgefüllten und unterzeichneten Postzustellungsurkunde hat der Postbedienstete die Ladung beim Postamt 1 Berlin 48 niedergelegt und darüber für den Kläger unter dessen Anschrift eine schriftliche Mitteilung in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben. Die Zustellung ist sonach in einer auch für den Bereich des SGG-Verfahrens rechtsgültigen Weise vorgenommen worden (§ 63 SGG, § 3 Abs. 3 VwZG, § 182 ZPO), so daß sie der Kläger gegen sich gelten lassen muß. Sein Nichterscheinen im Termin am 1. August 1972 begründet sonach nicht einen Verstoß gegen § 62 SGG. Die Möglichkeit, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, war ihm in rechtlich zulässiger Weise eingeräumt gewesen (vgl. BVerfG 5, 9; BSG 7, 209), zumal das LSG den Kläger bereits im August 1971 an die von ihm schon mehrfach angekündigte Abgabe einer weiteren Berufungsbegründung erinnert hatte.
Gleichzeitig liegen auch die vom Kläger aufgrund der o.a Tatumstände gerügten Verstöße des LSG gegen §§ 110, 112, 124, 126 SGG nicht vor. Weil der Kläger ordnungsgemäß und unter Hinweis auf die Regelung des § 126 SGG geladen worden war, durfte das LSG auf den Antrag des Beklagtenvertreters auch ohne mündliche Verhandlung nach Lage der Akten entscheiden.
Daraus, daß zwischen dem Zugang der Terminsladung (20.7.1972) und dem Termin selbst (1.8.1972) keine vollen zwei Wochen liegen, ergibt sich kein Verstoß gegen § 110 SGG. Denn nach dem Wortlaut dieser Vorschrift teilt der Vorsitzende Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung den Beteiligten "in der Regel" zwei Wochen vorher mit. Dieser Zeitraum ist also nicht zwingend vorgeschrieben; er kann je nach Sachlage ohne Verfahrensverstoß nicht nur über-, sondern auch unterschritten werden, sofern dadurch nicht eine Beschränkung des Rechts auf Wahrung des rechtlichen Gehörs stattfindet. Dafür ist im vorliegenden Fall weder etwas vorgetragen noch ersichtlich, wie sich insbesondere aus dem Umstand ergibt, daß der Kläger am Gerichtsort wohnt. Die bloße Verletzung der Ordnungsvorschrift des § 110 ist kein Verfahrensmangel wesentlicher Art, der zur Statthaftigkeit der Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG führen könnte (vgl. BSG 1, 126, 130).
Die vom Kläger weiterhin gerügten Verstöße gegen §§ 103, 106 SGG liegen ebenfalls nicht vor. Nach dem sachlich-rechtlichen Standpunkt des LSG, der für den Umfang seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts allein maßgeblich ist (vgl. BSG in SozR Nrn 7 und 40 zu § 103 SGG), kam es für die Frage, ob eine Schädigung des Klägers i.S. des BVG (§ 5 Abs. 2 Buchstabe a) vorliegt, nur darauf an, ob für Besatzungsschäden grundsätzlich eine Leistungspflicht seitens der Besatzungsbehörden anerkannt worden ist. Dies hat das LSG auch für das Gebiet von West-Berlin nach den von ihm angeführten Rechtsvorschriften in der Zeit ab 1. August 1945 als gegeben angesehen. Weil das LSG weiterhin der sachlich-rechtlichen Auffassung war, daß es dabei ohne Bedeutung sei, ob im Einzelfall tatsächlich Leistungen gewährt worden sind oder werden, brauchte es sich nicht gedrängt zu fühlen, die Akten des Entschädigungsamtes und der Besatzungsmacht über den Schadensfall des Klägers beizuziehen. Nach den Aktenunterlagen hat der Kläger im übrigen dort nie einen Antrag auf Entschädigungsleistungen gestellt, wohingegen das Landesamt für Besatzungslasten der LVA Berlin für deren Rentenleistungen an den Kläger teilweise Erstattung gewährt.
Soweit der Kläger als verletzt auch die Vorschrift des § 128 SGG bezeichnet, kann er nicht gehört werden. Denn er nennt keinerlei Tatsachen oder Beweismittel, aus denen sich eine Überschreitung der Grenzen des Rechts zur freien Beweiswürdigung durch das LSG ergeben könnte (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Falls der Kläger auch die Nichtzulassung der Revision durch das LSG rügen will, ist ihm entgegenzuhalten, daß sich hieraus nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ein Verfahrensverstoß nicht herleiten läßt (vgl. BSG in SozR Nr. 175 zu § 162 SGG mit weiteren Nachweisen).
Schließlich ergeben sich keine Verfahrensmängel aus dem Vorbringen des Klägers, das LSG habe die rechtliche Lage Berlins außer Betracht gelassen, wegen deren Besonderheiten dort für Besatzungsschäden das BVG Anwendung finden müsse. Der Kläger wendet sich insoweit nämlich nicht gegen das Verfahren, sondern gegen die materiell-rechtliche Auffassung des Berufungsgerichts.
Da sonach die vom Kläger behaupteten Verfahrensverstöße des LSG nicht gegeben oder nicht hinreichend substantiiert sind, ist die Revision nicht statthaft. Sie mußte infolgedessen durch Beschluß als unzulässig verworfen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen