Verfahrensgang

LSG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 22.07.1998; Aktenzeichen L 7 Ar 82/96)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 22. Juli 1998 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger wehrt sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der beklagten Bundesanstalt für Arbeit betreffend die Gewährung von Altersübergangsgeld (Alüg) in der Zeit vom 13. Januar bis 6. August 1994 in Höhe von insgesamt 14.868 DM (Bescheid vom 1. Dezember 1994; Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 1995). Begründet ist der Bescheid damit, daß der Kläger im fraglichen Zeitraum nicht verfügbar gewesen sei, weil er sich nicht unter der beim Arbeitsamt angegebenen Wohnanschrift, sondern in L. … aufgehalten habe.

Während die Klage erstinstanzlich Erfolg hatte (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 18. November 1998), hat das Landessozialgericht (LSG) das SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 22. Juli 1998). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Kläger sei im streitigen Zeitraum mangels Erreichbarkeit für die Beklagte nicht verfügbar gewesen.

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Es stelle sich die Frage, wer die postalische Erreichbarkeit iS der Aufenthaltsanordnung darzulegen und zu beweisen habe. Aus Formulierungen des angegriffenen LSG-Urteils lasse sich schließen, daß grundsätzlich eine Darlegungs- und Beweislast des leistenden Arbeitsamtes angenommen werde. Andere Darlegungen in den Entscheidungsgründen schienen jedoch die Darlegungs- und Beweislast dem Empfänger von Alüg/Alg auferlegen zu wollen. Zumindest in seinem (des Klägers) Fall, in dem entgegen einem beim Postamt des Wohnsitzes hinterlegten Nachsendeauftrag die postalische Erreichbarkeit an dem dem Arbeitsamt angegebenen Ort tatsächlich gegeben gewesen sei, hätte es vertiefter Nachforschungen des leistenden Arbeitsamtes bedurft. Dem hätte das Berufungsgericht nachgehen müssen. Die Besonderheit des Rechtsstreits liege gerade darin, daß für den Zeitraum bis Mai 1994 (Ablauf des Nachsendeauftrags) die tatsächliche Erreichbarkeit gegeben gewesen sei, die postalische Erreichbarkeit iS der höchstrichterlichen Rechtsprechung jedoch nur deshalb gefehlt habe, weil von Seiten des Postamts unreflektiert falsche Angaben gemacht worden seien. Soweit ersichtlich, sei noch kein Fall höchstrichterlich entschieden worden, in welchem, entgegen einem gestellten Postnachsendeauftrag, tatsächlich die postalische Erreichbarkeit an dem ursprünglichen Leistungsort gegeben gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht in der erforderlichen Weise dargelegt ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die – über den Einzelfall hinaus – aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muß daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung – ggf sogar des Schrifttums – angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, daß diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und daß das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten läßt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nrn 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65). Mit anderen Worten: Es müssen Rechtsfragen klar formuliert und deren abstrakte Klärungsbedürftigkeit und konkrete Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie deren Breitenwirkung dargelegt werden. Diesen Anforderungen entspricht die Begründung des Klägers nicht.

Zwar hat er zumindest die Rechtsfrage, wer die postalische Erreichbarkeit iS der Aufenthaltsordnung darzulegen und zu beweisen hat, hinreichend klar formuliert. Die Beschwerdebegründung macht indes nicht deutlich, ob der Kläger auch die Rechtsfrage aufwirft, ob Erreichbarkeit anzunehmen ist, wenn sich der Arbeitslose zwar tatsächlich an dem beim Arbeitsamt angegebenen Wohnsitz aufhält, jedoch wegen eines Postnachsendeauftrags an einen anderen Ort postalisch nicht erreichbar war.

Der Beschwerdebegründung fehlt es indes insgesamt an der erforderlichen Darlegung der Klärungsbedürftigkeit. Hierzu hätte der Kläger unter Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch zu vergleichbaren Rechtsbereichen vortragen müssen, daß das Bundessozialgericht (BSG) zu der bezeichneten Rechtsfrage (Darlegungs- und Beweislast) noch keine Entscheidung gefällt hat oder durch schon vorliegende Urteile die aufgeworfenen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung abstrakt noch nicht oder nicht umfassend beantwortet sind (BSG SozR 1500 § 160a Nr 65). Hierzu genügt nicht die Behauptung, das BSG habe die Darlegungs- und Beweislast für die postalische Erreichbarkeit noch nicht konkretisiert; vielmehr hätte es einer Auseinandersetzung mit Entscheidungen zur Darlegungs- und Beweislast allgemein bedurft (vgl nur BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 7).

Der Kläger hat aber darüber hinaus auch nicht die Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage dargelegt. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nämlich nur, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31; BFHE 105, 335, 336). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müßte das Revisionsgericht also – in Ergänzung zur abstrakten Klärungsbedürftigkeit – konkret-individuell sachlich entscheiden können (BSG SozR 1500 § 160 Nrn 39 und 53 und § 160a Nr 31; BVerwG Buchholz 310 § 75 VwGO Nr 11; BFHE 96, 41, 44). Dies erfordert, daß der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darstellt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Diesen Voraussetzungen ist schon deshalb nicht genügt, weil vom Kläger nicht einmal der entscheidungserhebliche Sachverhalt in ausreichender Weise dargeboten wird. Aufgabe der Revisionsinstanz ist es jedoch nicht, sich den für die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde erforderlichen Sachverhalt selbst aus dem Urteil des LSG bzw den Leistungsakten herauszusuchen. Insbesondere hat der Kläger nicht dargetan, inwieweit das Revisionsgericht bei einer Zulassung der Revision über die als grundsätzlich bezeichnete Rechtsfrage notwendig zu entscheiden hat. Der Kläger hat nicht einmal behauptet, daß das LSG sich in seiner Entscheidung zu der aufgeworfenen Frage der Darlegungs- und Beweislast geäußert habe. Er hat vielmehr lediglich auf widersprüchliche Äußerungen in der Urteilsbegründung hingewiesen, die darauf schließen ließen, daß das LSG einerseits eine Darlegungs- und Beweislast des leistenden Arbeitsamtes, andererseits eine Darlegungs- und Beweislast des Leistungsempfängers angenommen habe. Ob und inwieweit das LSG damit eine Entscheidung über die Darlegungs- und Beweislast getroffen hat, wird daraus weder deutlich noch nachvollziehbar.

Entspricht mithin die Begründung der Beschwerde nicht den gesetzlichen Anforderungen, muß die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig verworfen werden (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1 und 5).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175827

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