Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertretungszwang. Prozessvollmacht
Leitsatz (redaktionell)
1. Alle Prozesshandlungen im gesamten Verfahren vor dem Bundessozialgericht unterliegen dem Vertretungszwang; daran ändert nichts, dass für die Stellung eines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe eine Ausnahme vom Vertretungszwang gilt.
2. Das Vorhandensein der Prozessvollmacht ist grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen; dies gilt auch für den Fall, dass ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt im Wege des Prozesskostenhilfeverfahrens beigeordnet wird.
3. Ist eine Prozessvollmacht nicht zu den Gerichtsakten gelangt, bedarf es, damit das Gericht das Rechtsmittel ohne Prüfung in der Sache als unzulässig verwerfen kann, regelmäßig einer vorherigen richterlichen Aufforderung an den vollmachtlosen Vertreter, binnen einer bestimmten Frist die fehlende Vollmachtsurkunde nachzureichen, verbunden mit dem Hinweis, dass das Rechtsmittel anderenfalls als unzulässig verworfen werden wird.
Normenkette
SGG § 166 Abs. 1, § 73 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 13. Dezember 2001 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Mit Urteil vom 13. Dezember 2001 hat das Landessozialgericht Niedersachsen (LSG) einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Altersrente abgelehnt, weil die erforderliche Wartezeit von fünf Jahren nicht erfüllt sei.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger persönlich mit Schreiben vom 6. April 2002 – sinngemäß – Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG eingelegt und für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Mit Beschluss vom 25. Juli 2002 hat der erkennende Senat dem Kläger die beantragte Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S. … aus K. … beigeordnet.
Mit Schreiben vom 26. Juli 2002 hat Rechtsanwalt S. … gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Beschwerde eingelegt, diese zugleich begründet und hinsichtlich der versäumten Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Abschließend hat er ausgeführt, er habe den Kläger gebeten, eine Prozessvollmacht schriftlich auszustellen.
Mit weiterem Senatsbeschluss wurde dem Kläger wegen der Versäumnis der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Trotz der Erinnerungsschreiben des Senats vom 8. Oktober 2002 und 3. Dezember 2002 an Rechtsanwalt S. … und eines Schreibens vom 19. Dezember 2002 an den Kläger persönlich ist in der Folgezeit eine Vollmacht des Klägers für Rechtsanwalt S. … nicht vorgelegt worden. Mit Schreiben vom 18. März 2003 ist Rechtsanwalt S. … letztmals eine Frist bis zum 10. Mai 2003 für die Vorlage der Vollmacht gesetzt und der Kläger mit persönlich an ihn gerichtetem Schreiben darüber unterrichtet worden. Der Eingang der Vollmacht ist bis heute nicht zu verzeichnen.
Die von Rechtsanwalt S. … namens des Klägers nach erfolgter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Beschwerdefrist eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des LSG vom 13. Dezember 2001 ist als unzulässig zu verwerfen, weil der Kläger selbst nicht persönlich die Beschwerde einlegen konnte und es für die von Rechtsanwalt S. … namens des Klägers eingelegte Beschwerde an der erforderlichen, vom Kläger zu erteilenden Prozessvollmacht fehlt.
Die vom Kläger zunächst selbst eingelegte Beschwerde ist schon deshalb unzulässig, weil alle Prozesshandlungen im gesamten Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG), also auch die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde, dem Vertretungszwang des § 166 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unterliegen. Hierüber ist der Kläger in der Rechtsmittelbelehrung des LSG-Urteils belehrt worden. Daran ändert nichts, dass für die Stellung eines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe eine Ausnahme vom Vertretungszwang gilt (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl, § 166 RdNr 3).
Die von Rechtsanwalt S. … nach der gewährten Wiedereinsetzung fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist dagegen unzulässig, weil diesem vom Kläger entgegen dem Erfordernis des § 73 Abs 2 Satz 1 SGG bis heute keine Prozessvollmacht erteilt worden ist.
Nach § 73 Abs 2 Satz 1 SGG ist die Prozessvollmacht schriftlich zu erteilen und bis zur Verkündung der Entscheidung zu den Akten zu reichen. Das Vorhandensein der Vollmacht und die daran geknüpfte Zulässigkeit der vorgenommenen Prozesshandlung – hier: der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde – ist im sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen (vgl Beschluss des GmSOGB vom 17. April 1984 in SozR 1500 § 73 Nr 4; BSG SozR 1500 § 73 Nr 5; BSG SozR 3-1500 § 73 Nr 2, 9, 10). Mit Rücksicht auf die Regelung in § 73 Abs 2 Satz 1 SGG bestehen auch keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass das Gericht auf einer zu den Gerichtsakten bis zur abschließenden Entscheidung einzureichenden schriftlichen Prozessvollmacht besteht und diese vom Bevollmächtigten anfordert (BSG SozR 3-1500 § 73 Nr 9). Dies gilt auch für den Fall, dass ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt im Wege des Prozesskostenhilfeverfahrens beigeordnet wird, weil die Beiordnung die Erteilung der Prozessvollmacht durch den Vertretenen nicht ersetzt, insbesondere wenn – wie hier – die Beiordnung eines bestimmten Rechtsanwalts ohne vorherige persönliche Zustimmung des Antragstellers erfolgt ist.
Ist eine Prozessvollmacht nicht zu den Gerichtsakten gelangt, bedarf es allerdings, damit das Gericht das Rechtsmittel ohne Prüfung in der Sache als unzulässig verwerfen kann, regelmäßig einer vorherigen richterlichen Aufforderung an den vollmachtlosen Vertreter, binnen einer bestimmten Frist die fehlende Vollmachtsurkunde nachzureichen, verbunden mit dem Hinweis, dass das Rechtsmittel anderenfalls als unzulässig verworfen werden wird (BSG SozR 3-1500 § 73 Nr 9 mwN). Eine derartige Aufforderung ist – nach zwei vorangegangenen Erinnerungsschreiben – unter dem 18. März 2003 an Rechtsanwalt S. … und zusätzlich auch an den Kläger ergangen. Dem Antwortschreiben von Rechtsanwalt S. … vom 5. Juni 2003 ist zu entnehmen, dass es ihm gleichwohl nicht gelungen ist, eine Vollmacht vom Kläger zu erlangen. Der Kläger selbst hat sich nicht mehr geäußert.
Nachdem der Kläger mit dem Schreiben des Senats vom 18. März 2003 darüber belehrt worden ist, dass er eventuelle durch eine Entscheidung entstehende Nachteile zu tragen habe, wenn eine Prozessvollmacht nicht erteilt werde, erscheint ein längeres Zuwarten schon aus Gründen der Prozessökonomie und Rechtssicherheit (für die Beklagte) nicht länger zumutbar.
Es sind auch keine Gründe erkennbar, warum der Kläger sich seit der Übersendung der Unterlagen für die beantragte Prozesskostenhilfe derart passiv verhält, während er den gesamten vorangegangenen Rechtsstreit selbst geführt hat und offenkundig in der Lage war, die hierfür erforderlichen Prozesshandlungen fristgerecht vorzunehmen.
Die Verwerfung der vollmachtlos und damit in unzulässiger Weise eingelegten Beschwerde erfolgt gemäß § 160 Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen