Verfahrensgang
SG Reutlingen (Entscheidung vom 21.07.2020; Aktenzeichen S 10 BA 3277/18) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 28.02.2023; Aktenzeichen L 13 BA 3171/20) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. Februar 2023 wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob die Beigeladene zu 1. (im Folgenden: Beigeladene) aufgrund ihrer Tätigkeit als Anästhesistin für den Kläger seit dem 4.4.2016 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.
Die Beigeladene wird auf mündliche Absprache in Vertretung des Klägers an ein bis drei Tagen im Monat als Anästhesistin bei ambulanten Operationen in drei verschiedenen augenärztlichen Praxen tätig. Die Abrechnung erfolgt über den Kläger nach Pauschalen. Auf den Statusfeststellungsantrag der Beigeladenen und Widerspruch des Klägers stellte die Beklagte die Versicherungspflicht in der GRV sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung fest (Bescheid vom 17.5.2018; Widerspruchsbescheid vom 25.10.2018). Das SG hat die Verwaltungsentscheidung aufgehoben und festgestellt, dass die Beigeladene nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses tätig sei. Die Argumente für eine selbstständige Tätigkeit überwögen. Die Beigeladene sei nicht in den Betrieb des Klägers eingegliedert. Sie könne ihren Vergütungsanspruch individuell gestalten, weil sie auch bei Aufträgen für einen halben Tag die Pauschale für einen ganzen Tag gefordert und erhalten habe (Urteil vom 21.7.2020). Das LSG hat das Urteil des SG auf die Berufung der Beklagten aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beigeladene nehme zwar kein Personal des Klägers in Anspruch, dennoch sei sie in die vorgegebenen Organisationsabläufe eingebunden. Der Kläger habe den Praxisbetrieb auf die mit ihm kooperierenden Praxen, in denen die ambulanten Operationen stattfänden, erweitert. Dort seien sämtliche Mittel vorhanden, auf die die Beigeladene zurückgreifen könne. Insoweit setze der Kläger die Beigeladene zur Erfüllung vertraglicher Pflichten gegenüber den kooperierenden Arztpraxen ein. Es fehle an einem nennenswerten Unternehmerrisiko der Beigeladenen (Urteil vom 28.2.2023). Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.
II
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat die geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht entsprechend § 160a Abs 2 Satz 3 SGG hinreichend bezeichnet.
1. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschlüsse vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN). Eine solche Abweichung hat der Kläger nicht hinreichend dargetan.
a) Er leitet aus der Entscheidung des LSG den Rechtssatz ab:
"Eine 'Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers' im Sinne des § 7 Abs. (1) S. 2 SGB IV kann ausschließlich aus der Nutzungsmöglichkeit der Betriebsmittel folgen."
Dem stellt er die Entscheidung des BSG vom 4.6.2019 (B 12 R 10/18 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 41 RdNr 29 - Honorararzt) gegenüber, der er folgenden Rechtssatz entnimmt:
"Eine 'Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers' im Sinne des § 7 Abs. (1) S. 2 SGB IV kann nicht ausschließlich aus der Nutzungsmöglichkeit der Betriebsmittel folgen."
Der Kläger legt insoweit aber nicht hinreichend dar, dass das BSG den behaupteten Rechtssatz in seiner Verallgemeinerung tatsächlich hätte vertreten wollen (zu diesem Erfordernis vgl BSG Beschluss vom 14.2.2022 - B 12 R 30/21 B - juris RdNr 8 mwN). Denn er leitet den vermeintlichen Rechtssatz aus der Formulierung ab, dass nicht allein wegen der Benutzung von Einrichtungen und Betriebsmitteln des Krankenhauses "zwingend" eine abhängige Beschäftigung angenommen werden könne (BSG Urteil vom 4.6.2019 - B 12 R 11/18 R - BSGE 128, 191 = SozR 4-2400 § 7 Nr 42, RdNr 25; BSG Urteil vom 4.6.2019 - B 12 R 10/18 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 41 RdNr 29). Durch die Außerachtlassung des Wortes "zwingend" verändert der Kläger den Sinngehalt des Satzes; auf diese Weise kann aber die Rüge der Divergenz nicht schlüssig begründet werden.
Darauf, ob das LSG die Rechtsprechung des BSG richtig verstanden oder zutreffend umgesetzt hat, kommt es nicht an. Denn damit wird keine Abweichung des LSG, sondern im Kern die Unrichtigkeit der Entscheidung dargetan. Darauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde aber nicht gestützt werden.
b) Nach Darstellung des Klägers stellt das LSG den weiteren Rechtssatz auf:
"Bei Bezug eines festen Honorars besteht kein unternehmerisches Risiko, wenn kein eigenes Kapital oder andere Mittel eingebracht werden."
Dies widerspreche dem Rechtssatz des BSG in der Entscheidung vom 31.3.2017 (B 12 R 7/15 R - BSGE 123, 50 = SozR 4-2400 § 7 Nr 30, RdNr 42 und 48):
"Das Fehlen von Kapitalinvestitionen und ein festes Honorar sind bei reinen Dienstleistungen kein ins Gewicht fallendes Indiz für eine (abhängige) Beschäftigung und gegen unternehmerisches Tätigwerden."
Auch hier leitet der Kläger den geltend gemachten abstrakten Rechtssatz des BSG her, indem er verschiedene Ausführungen aus der Entscheidung verkürzend zusammenfasst. Soweit das BSG - wie vom Kläger dargelegt - erklärt, dass die Vereinbarung eines festen Stundensatzes "nicht zwingend für abhängige Beschäftigung" spreche, lässt es mit dieser Wortwahl Raum für eine Abwägung im Einzelfall. Dies wird aus der vom Kläger gewählten Formulierung aber nicht mehr hinreichend ersichtlich. Daher erfüllt auch hier die Ableitung des Klägers nicht die Anforderungen an die Darlegung eines konkludent aufgestellten Rechtssatzes (vgl hierzu zB BSG Beschluss vom 14.2.2022 - B 12 R 30/21 B - juris RdNr 8).
Im Übrigen ist auch ein Widerspruch der beiden behaupteten Rechtssätze nicht hinreichend dargetan. Denn der behauptete Rechtssatz des LSG betrifft das Vorliegen eines unternehmerischen Risikos, der behauptete Rechtssatz des BSG das Gewicht eines in die Bewertung einzustellenden Indizes.
Soweit der Kläger meint, dass ein unternehmerisches Risiko hier deshalb bestehe, weil die Beigeladene ihren Vergütungsanspruch individuell habe gestalten können, stellt sie auf ihre eigene Bewertung ab und rügt im Kern - trotz gegenteiliger Beteuerung - wiederum die Unrichtigkeit der Entscheidung.
2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen zur ordnungsgemäßen Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der § 109 und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Der Kläger rügt im zweiten Teil seiner noch fristgerechten Begründung eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG), weil das LSG sein Vorbringen zum unternehmerischen Risiko des Beigeladenen bei der Entscheidung übergangen habe. Die Beigeladene habe in der mündlichen Verhandlung vor dem SG vorgetragen, dass sie auch bei einem Auftrag für einen halben Tag die Pauschale für den ganzen Tag gefordert und erhalten habe. Das SG habe daraus zutreffend gefolgert, dass sie ihren Vergütungsanspruch gegenüber dem Kläger habe individuell gestalten können, was für eine selbstständige Tätigkeit spreche. Das LSG habe zwar dies und den Vortrag des Klägers im Schriftsatz vom 7.7.2021, wonach die Beigeladene Aufträge ablehnen oder die Konditionen hierzu habe verhandeln können, im Tatbestand wiedergegeben. In den Entscheidungsgründen habe es diesen aber übergangen. Bei dem übergangenen Tatsachenvortrag habe es sich um den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zur Frage des unternehmerischen Risikos gehandelt, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung gewesen sei. Die real umgesetzte Möglichkeit zur Verhandlung der Konditionen sei ein wesentlicher Anhaltspunkt für das unternehmerische Risiko. Auch das LSG habe das unternehmerische Risiko für erheblich gehalten, damit könne das Urteil auch auf dem Verfahrensmangel beruhen.
Mit diesen Ausführungen wird ein Gehörsverstoß nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht nur dazu, die Darlegungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Prozessgericht muss jedoch nicht jedes Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich bescheiden. Auch wenn der Begriff der Beschäftigung als Typusbegriff grundsätzlich eine Gesamtbewertung aller rechtlich maßgeblichen Einzelfallumstände erfordert, muss das Gericht in den Entscheidungsgründen nicht zu allen Ausführungen der Beteiligten Stellung nehmen. Das ergibt sich unmittelbar aus § 128 Abs 1 Satz 2 SGG, wonach in dem Urteil die "leitenden" Gründe anzugeben sind. Unerwähnt bleibende Umstände sprechen daher noch nicht dafür, dass das Gericht den diesbezüglichen Vortrag nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen haben könnte, sondern dass es diesen Umständen bei der Gesamtwürdigung kein entscheidendes Gewicht beigemessen hat. Art 103 Abs 1 GG schützt auch nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (vgl BSG Beschluss vom 27.3.2014 - B 9 V 69/13 B - juris RdNr 15 mwN). Daher muss eine Beschwerdebegründung "besondere Umstände" aufzeigen, aus denen sich klar ergibt, dass das Gericht seinen Pflichten nicht nachgekommen ist (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 25.3.2010 - 1 BvR 2446/09 - juris RdNr 11 mwN; BVerfG Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, 216 = juris RdNr 44). Solche Umstände sind der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.
Der Vortrag des Klägers, das LSG habe seine Ausführungen im Tatbestand erwähnt, spricht ungeachtet dessen dafür, dass das Berufungsgericht diese auch zur Kenntnis genommen hat. Dass es sich bei seinem Vortrag zur Aushandelbarkeit von Konditionen um den wesentlichen Kern seines Vortrags gehandelt habe, wird allein durch die Wiedergabe dieses Satzes ohne Einordnung in sein gesamtes Vorbringen nicht ersichtlich. Soweit der Kläger das Ablehnen von Aufträgen und Aushandeln einzelner Konditionen für das Bestehen eines "unternehmerischen Risikos" für wesentlich hält, setzt er sich im Übrigen nicht hinreichend mit den vom LSG hierfür als maßgeblich angesehenen abstrakten Kriterien auseinander.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 und 3, § 162 Abs 3 VwGO.
5. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 und 3 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI16186738 |