Verfahrensgang
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 30.04.2020; Aktenzeichen S 21 SO 168/20) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 24.09.2020; Aktenzeichen L 7 SO 1557/20) |
Tenor
Das Gesuch des Antragstellers, den Vorsitzenden Richter C., die Richterin K. sowie den Richter L. wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird als unzulässig verworfen.
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. September 2020 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger hat selbst mit einem nach Weiterleitung durch das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg am 19.10.2020 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schreiben vom 11.10.2020 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 24.9.2020 (öffentlich zugestellt durch Beschluss des LSG vom 30.9.2020, nachdem die Zustellung an die vom Kläger benannte Anschrift nicht möglich gewesen ist und Ermittlungen des LSG über eine Einwohnermeldeamtsanfrage erfolglos geblieben sind) eingelegt sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt und den Vorsitzenden Richter C, die Richterin K sowie den Richter Prof. Dr. L als befangen abgelehnt hat. Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist erst am 4.12.2020 beim BSG eingegangen.
II
Der Senat entscheidet in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung zugleich über die Befangenheitsgesuche sowie den Antrag auf Bewilligung von PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts. Für den Sozialgerichtsprozess enthalten § 60 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm §§ 41 ff Zivilprozessordnung (ZPO) Regelungen über das Verfahren zur Behandlung des Ablehnungsgesuchs und bestimmen, dass das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung zur Entscheidung auf der Grundlage einer dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters berufen ist. In der Rechtsprechung ist allerdings anerkannt, dass abweichend von diesem Grundsatz und vom Wortlaut des § 45 Abs 1 ZPO der Spruchkörper ausnahmsweise in ursprünglicher Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters über rechtsmissbräuchliche und deshalb offensichtlich unzulässige Ablehnungsgesuche entscheidet (vgl Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ vom 19.6.2012 - 2 BvR 1397/09 - BVerfGE 131, 239, 252 f = NVwZ 2012, 1304; BVerfG vom 2.6.2005 - 2 BvR 625/01 ua = BVerfGK 5, 269, 280 f; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 60 RdNr 10d mwN). Von einer Unzulässigkeit wegen Rechtsmissbrauchs ist ua dann auszugehen, wenn kein bzw nur ein von vornherein völlig ungeeigneter Ablehnungsgrund genannt wird (vgl nur BSG vom 29.3.2007 - B 9a SB 18/06 B - SozR 4-1500 § 60 Nr 4 RdNr 8; BSG vom 31.8.2015 - B 9 V 26/15 B - juris RdNr 16 mwN; Keller, aaO, § 60 RdNr 10b). So liegt der Fall hier. Der Antragsteller hat ohne Darlegung objektiver Anknüpfungspunkte die Unparteilichkeit der genannten Richter lediglich pauschal behauptet. Damit konnten die an der Entscheidung beteiligten Richter, auch soweit die Gesuche sie betreffen, selbst entscheiden (vgl zu dieser Möglichkeit nur Keller, aaO, § 60 RdNr 10d mwN; vgl auch BSG vom 19.1.2010 - B 11 AL 13/09 C - SozR 4-1500 § 60 Nr 7 RdNr 8).
Dem Kläger kann PKH nicht bewilligt werden. Damit entfällt auch die Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO). Voraussetzung dafür ist nach der Rechtsprechung des BSG und der anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes, dass sowohl der (grundsätzlich formlose) Antrag auf PKH als auch die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Erklärung) in der für diese gesetzlich vorgeschriebenen Form (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 117 Abs 2 und 4 ZPO), dh mit dem durch die PKH-Formularverordnung vom 6.1.2014 (BGBl I 34) eingeführten Formular, bis zum Ablauf der Beschwerdefrist eingereicht werden. Dies ist nicht innerhalb der maßgeblichen einmonatigen Beschwerdefrist, die am Montag, dem 30.11.2020 endete (§ 160a Abs 1, § 64 Abs 2, § 63 Abs 2 Satz 1 SGG, § 185 ff ZPO), geschehen. Das LSG hat vor dem Beschluss über die öffentliche Zustellung (zu den Voraussetzungen vgl Senatsbeschluss vom 5.7.2018 - B 8 SO 50/17 B -, juris RdNr 6 f) mehrere Male erfolglos versucht, Schreiben an die vom Kläger angegebene Adresse zu senden und mittels Anfrage beim Einwohnermeldeamt erfolglos versucht, den Aufenthaltsort des Klägers zu ermitteln. Der Kläger hat erst nach dem Beschluss des LSG über die öffentliche Zustellung vom 30.9.2020 seine (zusätzliche) Postfach-Anschrift mitgeteilt. Letztlich kann offenbleiben, ob das LSG alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, das Urteil dem Kläger in anderer Weise zuzustellen, da der Kläger bereits während der laufenden öffentlichen Zustellung das Urteil des LSG auch an seine Postfach-Anschrift übersandt bekam und noch während der laufenden öffentlichen Zustellung Beschwerde beim BSG eingelegt hat. Ein etwaiger Zustellungsmangel wäre durch den tatsächlichen Zugang des Urteils über die Postfach-Anschrift geheilt (§ 63 Abs 2 Satz 1 SGG iVm § 189 ZPO) geheilt (zur Anwendbarkeit des § 189 ZPO bei der öffentlichen Zustellung nach §§ 185 ff vgl nur Vogt-Beheim in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO, 79. Aufl 2021, § 189 RdNr 8). Dass der Kläger von dem Inhalt des Urteils tatsächlich Kenntnis genommen hat, verlangt § 189 ZPO nicht. Für den tatsächlichen Zugang reicht es aus, dass der Adressat die Möglichkeit zur Kenntnisnahme hatte (BGH vom 1.3.2004 - AnwZ (B) 8/03 - juris RdNr 5).
Der Kläger hat zwar innerhalb der Beschwerdefrist PKH beantragt, aber bis zum Ablauf der Frist keine Erklärung vorgelegt, obwohl ihn das LSG und nochmals der Senat mit Schreiben vom 22.10.2020 ausdrücklich darüber belehrt hat, dass sowohl das PKH-Gesuch als auch die formgerechte Erklärung bis zum Ablauf der Beschwerdefrist am 30.11.2020 beim BSG einzureichen sind. Der Kläger hat die Erklärung (datiert vom 2.12.2020) erst am 4.12.2020 vorgelegt. Es ist weder ersichtlich noch vom Kläger dargetan, dass er hieran ohne Verschulden gehindert war. Auf eine etwaige Obdachlosigkeit des Klägers kommt es dabei nicht an. Dem Kläger ist dieses Procedere angesichts unzähliger Verfahren, die er am BSG bereits geführt hat, bekannt. Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass dem Senat seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse aus anderen Verfahren bekannt seien und deshalb die Übersendung der Erklärung reine Förmelei sei. Aus dem Erfordernis, dass sich der Inhalt der Erklärung auf den Zeitpunkt der Antragstellung beziehen soll, ist abzuleiten, dass grundsätzlich für jede Instanz die Erklärung auf einem gesonderten aktuellen Formular abgegeben werden muss. Eine Bezugnahme auf ein in der Vorinstanz oder in einem parallel anhängigen Verfahren abgegebene Erklärung kann jedoch ausreichend sein, wenn der Antragsteller geltend macht, dass gegenüber der früher abgegebenen Erklärung keine Veränderungen eingetreten sind (vgl Schultzky in Zöller, ZPO, 33. Aufl 2020, § 117 RdNr 22 mwN). Dies erfordert, dass die in Bezug genommene Erklärung eine Beurteilung der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse ermöglicht. Sie muss grundsätzlich die durch das Formular geforderten Angaben enthalten. Der Erklärung müssen ggf Belege zum Nachweis der gemachten Angaben beigefügt sein. Diese - erleichterte - Bewilligungsvoraussetzung ist hier nicht erfüllt (BSG vom 7.6.2016 - B 1 KR 2/16 BH). Der Kläger hat bis zum Ablauf der einmonatigen Beschwerdefrist die Erklärung nicht durch eine hinreichende Bezugnahme ersetzt. Weitere Verfahren des Klägers, denen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse entnommen werden könnten, sind im 8. Senat nicht anhängig. Es ist auch nicht Aufgabe des Senats zu ermitteln, ob ggf in einem bei einem anderen Senat des BSG anhängigen Verfahren eine (noch) aktuelle Erklärung vorliegt.
Die vom Kläger selbst eingelegte Beschwerde entspricht nicht den zwingenden gesetzlichen Vorschriften. Der Kläger muss sich vor dem BSG gemäß § 73 Abs 4 SGG durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Er kann eine Prozesshandlung rechtswirksam nicht vornehmen, folglich nicht selbst Beschwerde einlegen. Schon die Beschwerdeschrift muss von einem nach § 73 Abs 4 SGG zugelassenen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Hierauf wurde der Kläger ausdrücklich hingewiesen. Die nicht formgerecht eingelegte Beschwerde ist schon deshalb nach § 160a Abs 4 Satz 1 SGG iVm § 169 Satz 3 SGG ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14456214 |