Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 19.10.1999)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Oktober 1999 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die außergerichtlichen Kosten der Beklagten im Beschwerdeverfahren zu erstatten.

 

Gründe

Das klagende pharmazeutische Vertriebsunternehmen belieferte niedergelassene Ärzte unmittelbar – unter Umgehung von Apotheken – mit Blutersatzstoffen (sog polyvalenten Immunglobulinen). Die Ärzte verabreichten diese Präparate ihren Patienten. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) sind die Präparate auch in Apotheken erhältlich. Die Klägerin verlangt von den beklagten Krankenkassen für Lieferungen im 2. Halbjahr 1996/1. Halbjahr 1997 die Zahlung des Apothekenabgabepreises; die Beklagten hatten teilweise nur den Großhandelspreis bezahlt. Mit der Klage macht die Klägerin den Differenzbetrag geltend.

Das Sozialgericht hat die Beklagten zu 2. und 4. gemäß ihren Anerkenntnissen zur Zahlung von Teilbeträgen verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen (Urteil vom 17. März 1999). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 19. Oktober 1999). Nach Auffassung des LSG handelt es sich um apothekenpflichtige Arzneimittel; § 47 Abs 1 Nr 2 Arzneimittelgesetz (AMG), wonach bei „aus menschlichem Blut gewonnenen Blutzubereitungen” eine direkte Belieferung von Ärzten zulässig sei, sei auf die von der Klägerin gelieferten Präparate nicht anzuwenden. Die Beklagten hätten daher zu Recht nur einen um den Apothekenzuschlag geminderten Preis als „Bereicherungsausgleich” gezahlt. Die Klägerin habe schon deshalb keinen Anspruch auf den mit der Klage geltend gemachten vollen Apotheken-Abgabepreis, weil sie nicht an den das Arzneimittel verordnenden Arzt, sondern an den Versicherten selbst geliefert und der Arzt jeweils nur als Vertreter des Versicherten gehandelt habe. Die Zulässigkeit des Vertriebswegs (Direktbelieferung von Ärzten unter Ausschaltung von Apotheken) ist auch Gegenstand eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, das allerdings noch nicht abgeschlossen ist. Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG. Die Klägerin hält die Rechtsbeziehungen zwischen ihr und den Beklagten, aus der sich ihr Zahlungsanspruch ergebe, für eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Aus dem Sachleistungsprinzip folge, daß die gesetzliche Krankenversicherung gegenüber dem Leistungserbringer unmittelbar zahlungspflichtig sei. Zwar bestünden zwischen ihr und den Beklagten keine vertraglichen Beziehungen, doch ergebe sich aus § 632 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), daß in einem derartigen Fall die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen sei. Sollte ein üblicher Preis nicht feststellbar sein, so sei der Preis gemäß § 316 BGB nach billigem Ermessen zu bestimmen. Daneben ergebe sich ein Zahlungsanspruch entgegen der Auffassung des LSG aus dem Bereicherungsrecht bzw dem Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag.

Die Beschwerde ist unbegründet, weil die von der Klägerin vorgetragenen Rechtsfragen, soweit sie für eine Entscheidung im Revisionsverfahren erheblich wären, von der Rechtsprechung bereits geklärt und deshalb nicht von grundsätzlicher Bedeutung sind (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 und § 160 Nr 51). Hierbei kommt es auf die arzneimittelrechtliche Zulässigkeit des Vertriebswegs nicht an. Die Klägerin beruft sich – in Ermangelung wirksamer Verträge zwischen ihr und den Beklagten – zu Unrecht auf die Geltung der üblichen Vergütung bzw auf ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht. Voraussetzung wäre in jedem Fall ein Vertragsverhältnis zwischen ihr und den Beklagten, das sie zur Lieferung der von ihr abgegebenen Blutersatzstoffe an die Versicherten bzw die sie behandelnden Ärzte berechtigte und die Beklagte zur Zahlung des Apothekenabgabepreises verpflichtete. Hieran fehlt es jedoch.

Vertragliche Beziehungen bestehen zwischen der Klägerin und den beklagten Krankenkassen nicht. Die Klägerin macht zu Unrecht unter Hinweis auf das Urteil des erkennenden Senats vom 17. Januar 1996 (3 RK 26/94 = BSGE 77, 194 = SozR 3-2500 § 129 Nr 1) geltend, sie müsse einem Apotheker gleichgestellt werden, bei dem das für die Abgabe eines Arzneimittels maßgebende Vertragsverhältnis durch die Vorlage des vom Vertragsarzt ausgestellten Rezeptes zustande komme; die Beklagten seien verpflichtet, ihren Versicherten die von der Klägerin abgegebenen Blutersatzstoffe als Sachleistung zu verschaffen. Hierbei verkennt die Klägerin, daß Grundlage des Vertragsverhältnisses zwischen Krankenkasse und Apotheker bei der Versorgung eines Versicherten mit Arzneimitteln nicht das in der gesetzlichen Krankenversicherung geltende Sachleistungsprinzip ist, sondern der nach § 129 Abs 2 bis 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) von den Spitzenverbänden der Krankenkassen mit der Spitzenorganisation der Apotheker abgeschlossene Rahmenvertrag (vgl hierzu im einzelnen BSGE 77, 194, 199 f, aaO). Das Sachleistungsprinzip hat dagegen, wie der Senat mit Urteil vom 3. November 1999 (B 3 KR 4/99 R) entschieden hat, nur Bedeutung im Verhältnis zwischen der Krankenkasse und dem Versicherten. Es beschreibt lediglich die Art und Weise, wie eine Leistung von dem Versicherten gegenüber der Krankenkasse beansprucht werden kann und wie sie von dieser gegenüber dem Versicherten zu erbringen ist. Der Leistungserbringer ist an dieser Rechtsbeziehung nicht beteiligt; er kann aus dem Sachleistungsprinzip erst über die zur Ausführung dieses Prinzips, also über die zur Sicherstellung des Versorgungsauftrags der Krankenkassen abzuschließenden Versorgungsverträge (§ 2 Abs 2 Satz 2 SGB V) Rechte und Pflichten gegenüber den Krankenkassen ableiten. Fehlen derartige Verträge, wie hier, kann der Leistungserbringer seinen Vergütungsanspruch nicht gegen die Krankenkasse, sondern allenfalls gegen den Versicherten selbst geltend machen, auch wenn für die erbrachte konkrete Leistung das Sachleistungsprinzip gilt. Von daher ist die Frage, ob das Sachleistungsprinzip geeignet ist, unmittelbare Zahlungsansprüche der Leistungserbringer gegen die Krankenkassen zu begründen, wenn einschlägige Versorgungsverträge fehlen, nicht mehr klärungsbedürftig.

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt sind auch die von der Klägerin als grundsätzlich angesehenen Fragen zur Anwendbarkeit von Regelungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) bzw aus dem Bereicherungsrecht auf die Zahlungspflicht von Krankenkassen für ärztlich verordnete Arzneimittel. Aufwendungsersatzansprüche nach den Vorschriften über die GoA sind dann nicht gegeben, wenn besondere Bestimmungen des bürgerlichen Rechts das Verhältnis zwischen Geschäftsführer und Geschäftsherrn abweichend regeln (BGHZ 98, 235, 242) oder wenn Vorschriften des öffentlichen Rechts eine erschöpfende Regelung darstellen, die einen Rückgriff auf die Grundsätze über die GoA nicht erlaubt (BGHZ 30, 162, 169; BGHZ 140, 102, 109 = NJW 1999, 858, 860; desgleichen st Rspr des Bundessozialgerichts ≪BSG≫, vgl zuletzt Urteil des BSG vom 26. Januar 2000, B 6 KA 59/98 R). Das Gleiche gilt in Bezug auf die Anwendbarkeit der zivilrechtlichen Grundsätze über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung (vgl BSGE 74, 154, 158 = SozR 3-2500 § 85 Nr 6), der die besonderen Erfordernisse des auf der vertragsärztlichen Verordnung basierenden Versorgungssystems entgegenstehen. Bestimmungen, die die Vergütung ärztlicher oder sonstiger Leistungen von der Erfüllung bestimmter formaler oder inhaltlicher Voraussetzungen abhängig machen, haben innerhalb dieses Systems die Funktion zu gewährleisten, daß sich die Leistungserbringung nach den für die (vertragsärztliche) Versorgung geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen vollzieht. Das wird dadurch erreicht, daß dem Arzt oder sonstigen Leistungserbringer für Leistungen, die er unter Verstoß gegen derartige Vorschriften bewirkt, auch dann keine Vergütung zusteht, wenn diese Leistungen im übrigen ordnungsgemäß erbracht sind. Ihre Steuerungsaufgabe könnten die genann-ten Regelungen nicht erfüllen, wenn der Arzt oder der mit ihm zusammenarbeitende nichtärztliche Leistungserbringer die gesetz- oder vertragswidrig bewirkten Leistungen über einen Wertersatzanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung oder einen Aufwendungsersatzanspruch aus GoA im Ergebnis dennoch vergütet bekäme.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

MedR 2001, 649

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