Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 06.11.1997) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 6. November 1997 wird als unzulässig verworfen.
Der Beklagte trägt die Kosten der Klägerin auch für das Beschwerdeverfahren.
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht in der durch §§ 160 Abs 2 und 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) festgelegten Form begründet worden ist. Der Beklagte macht zwar das Vorliegen eines im Gesetz vorgesehenen Zulassungsgrundes geltend. Er behauptet, das angefochtene Urteil weiche von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) ab. Damit hat er den Zulassungsgrund der Abweichung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) in der Beschwerdebegründung jedoch noch nicht hinreichend dargelegt (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Der Beklagte hat zwar dargetan, daß das Landessozialgericht (LSG) einen Rechtssatz in Abweichung von einem Rechtssatz aufgestellt hat, den das BSG entwickelt und angewendet hat. Er hat aber nicht aufgezeigt, daß das Urteil auf dem abweichenden Rechtssatz beruht.
Der Beklagte begründet die Abweichung damit, daß das LSG angenommen habe, bei (nur) grob fahrlässigem Handeln sei das Rücknahmeermessen der Verwaltung im Rahmen des § 45 Abs 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) nicht auf Null reduziert, weil der Verschuldensform der groben Fahrlässigkeit ein im Gegensatz zum Vorsatz abgeschwächter Unrechtsgehalt innewohne, der eine differenzierte Betrachtungsweise erfordere. Das BSG habe dagegen in seinem Urteil vom 26. September 1990 (SozR 3-4100 § 155 Nr 2) ausgeführt, daß bei betrügerisch erlangten Leistungen § 45 SGB X von der Verwaltung keine Ermessensentscheidung verlange; dies gelte jedenfalls dann, wenn sich die Rückforderung gegen den Betrüger selbst richte. Diese Rechtsprechung habe das BSG im Urteil vom 25. Januar 1994 (SozR 3-1300 § 50 Nr 16 = DVBl 1994, 1246) mit folgendem Rechtssatz fortgeführt: „Bei Bösgläubigkeit ist der Ermessensspielraum auf Null reduziert. Der Verwaltung steht bei einer Rücknahme nach § 45 SGB X kein Ermessen für ihre Entscheidung zu, ob sie die zu Unrecht gewährten Leistungen von einem Bösgläubigen zurückfordert. Nur in Ausnahmefällen darf überhaupt von einer Rücknahme bzw Rückforderung abgesehen werden. Solche Ausnahmen können nur vorliegen, soweit die Haftung des Bereicherten auf der rechtlichen Zurechnung des Verschuldens oder des Einkommens bzw der Bereicherung Dritter beruht, evtl auch, wenn die Rückforderung einen existenzvernichtenden Eingriff darstellen würde”.
Das Vorbringen des Beklagten läßt eine Abweichung gegenüber dem im Urteil des BSG vom 26. September 1990 (SozR 3-4100 § 155 Nr 2) aufgestellten Rechtssatz nicht erkennen. Denn dieser geht ausdrücklich von einer „betrügerisch” erlangten Leistung aus und setzt damit voraus, daß der Leistungsempfänger vorsätzlich gehandelt hat. Auch in bezug auf das Urteil des BSG vom 25. Januar 1994 (SozR 3-1300 § 50 Nr 16 = DVBl 1994, 1246) genügt der Beklagte nicht der Verpflichtung, den abweichenden Rechtssatz aufzuzeigen, obwohl diese Entscheidung nur auf „die Bösgläubigkeit” des Leistungsempfängers abstellt und anders als das LSG für unerheblich hält, ob dieser grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat. Denn auch in diesem Fall hält das BSG nur im Regelfall die Rücknahme für geboten, ausnahmsweise also die Ausübung von Ermessen für erforderlich.
Der Beklagte hat nicht dargelegt, daß ein solcher Ausnahmefall nicht vorliegt, die Entscheidung also auf dieser Abweichung beruht. Das LSG hat die Annahme eines eine Ermessensentscheidung begründenden Ausnahmefalls nämlich zusätzlich auch damit begründet, daß die Erzg-Behörde ein Mitverschulden an der rechtswidrigen Bewilligung von Erzg treffe, weil die von der Klägerin vorgelegten, von Schweizer Behörden ausgestellten Abstammungsurkunden Zweifel am Vorliegen eines inländischen Wohnsitzes hätten wecken müssen.
Ist ein Urteil nebeneinander auf mehrere Begründungen gestützt, so kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nur dann zur Zulassung der Revision führen, wenn im Hinblick auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund vorliegt und formgerecht gerügt wird (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl 1997, IX RdNr 51). Hierzu gehört hinsichtlich des Zulassungsgrundes der Divergenz die Darlegung, daß sich die Abweichung auf alle Begründungen auswirkt (BSG SozR 1500 § 160a Nr 5) oder daß hinsichtlich der anderen Begründungen andere Zulassungsgründe vorliegen. Hieran fehlt es.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen