Verfahrensgang
SG Köln (Entscheidung vom 24.09.2018; Aktenzeichen S 4 AS 4455/16) |
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 11.07.2019; Aktenzeichen L 19 AS 734/19) |
Tenor
Die Verfahren B 14 AS 328/19 B und B 14 AS 329/19 B werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden; führend ist das Verfahren B 14 AS 328/19 B.
Die Beschwerden des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in den Urteilen des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Juli 2019 - L 19 AS 734/19 und L 19 AS 735/19 - werden als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten der Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit stehen ergänzende Sachleistungen bei einer Minderung des Alg II um mehr als 30 % gemäß § 31a Abs 3 Satz 1 SGB II. Nach den Beschwerdevorbringen hat das SG die Klagen gegen die versagenden Sachleistungsbescheide des beklagten Jobcenters als unzulässig verworfen (Urteile vom 24.9.2018). Die Berufungen habe das LSG zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen, weil nach Aufhebung der Minderungsbescheide durch Urteile des SG Erledigung im Hinblick auf das Sachleistungsbegehren eingetreten sei (Urteile vom 11.7.2019).
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG richten sich die auf Verfahrensrügen (Revisionszulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) gestützten Nichtzulassungsbeschwerden des Klägers.
II
Die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung sind als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG), weil der zu ihrer Begründung angeführte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG schlüssig dargelegt ist.
Insbesondere gilt das für die Rüge, die Garantie des gesetzlichen Richters und in Zusammenhang damit das Gebot effektiven Rechtsschutzes seien verletzt, weil das LSG einem nachträglich erfahrenen Grund für die Ablehnung des erstinstanzlichen Richters nicht Rechnung getragen habe.
Dabei kann dahinstehen, ob das LSG von einer Zurückverweisung in die 1. Instanz im Hinblick auf die beschränkten Zurückverweisungsgründe nach § 159 Abs 1 Nr 2 SGG auch bei einem wesentlichen Verfahrensmangel absehen kann, solange eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme nicht notwendig ist (vgl nur BSG vom 18.10.1995 - 6 RKa 31/94 - SozR 3-2500 § 87 Nr 8 S 27) oder ob etwas anderes in Betracht zu ziehen sein kann, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, unter denen nach der Rechtsprechung des BSG ausnahmsweise eine Zurückverweisung in die Berufungsinstanz in Betracht kommt und die Zurückverweisung im Berufungsverfahren ausdrücklich beantragt (vgl nur BSG vom 9.9.1998 - B 6 KA 34/98 B - juris RdNr 6) worden war (vgl hierzu letztens BVerfG ≪Kammer≫ vom 21.11.2018 - 1 BvR 436/17 - NJW 2019, 505 RdNr 15).
Denn ungeachtet der Frage, ob die von den Beschwerden gerügte Mitteilung des Kammervorsitzenden an die Rechtsanwaltskammer, der Kläger - der freiberuflicher Rechtsanwalt ist - prozessiere "in einer Vielzahl von Fällen" in eigener Sache gegen den Beklagten, geeignet war, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 60 Abs 1 SGG iVm § 42 Abs 2 ZPO), war der Kammervorsitzende mangels Ablehnung bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens nicht deswegen von der Ausübung des Amtes als Richter ausgeschlossen. Letzter Zeitpunkt für die Geltendmachung von Ablehnungsgründen ist nach der Rechtsprechung des BVerfG und der Obersten Bundesgerichte der vollständige Abschluss der Instanz, weil die getroffene Entscheidung von dem Gericht, dem die im Anschluss abgelehnten Richter angehören, nicht mehr geändert werden kann (BGH vom 11.7.2007 IV ZB 38/06 - NJW-RR 2007, 1653 RdNr 5 mwN; darauf Bezug nehmend BVerfG vom 28.4.2011 - 1 BvR 2411/10 - NJW 2011, 2191, 2192; ebenso etwa BSG vom 2.8.2001 - B 7 AL 28/01 B - juris; BAG vom 18.3.1964 - 4 AZR 63/63 - DB 1964, 1123; BFH vom 17.5.1995 - X R 55/94 - BFHE 177, 344; BGH vom 17.5.2018 - I ZR 195/15 - NJW-RR 2018, 1461 RdNr 4; BVerwG vom 29.6.2016 - 2 B 18/15 - Buchholz 310 § 132 Abs 2 Ziff 3 VwGO Nr 77 RdNr 38). Das anders zu sehen geben die Beschwerden keinen Anlass. Mindestens deshalb war das LSG wegen erst im Nachhinein geltend gemachter Ablehnungsgründe an einer Sachentscheidung über die Berufungen des Klägers nicht gehindert. Dass ein Mangel an Unvoreingenommenheit des Kammervorsitzenden - lag er vor - durch die Berufungsverfahren nicht geheilt worden sein könnte (vgl BVerwG vom 20.5.2015 - 2 B 4/15 - NVwZ 2015, 1299 RdNr 8 f: Kein Absehen von mündlicher Verhandlung in der Berufungsinstanz bei erstinstanzlicher mündlicher Verhandlung vor befangenem Richter), zeigen die Beschwerden nicht auf.
Soweit die Beschwerden die Bestätigung der vom SG getroffenen Prozessurteile durch das LSG im Kern als unzulässige Überraschungsentscheidung und damit einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) rügen, kann ihnen jedenfalls nicht entnommen werden, inwieweit das LSG ohne die nach Ansicht des Klägers verfahrensfehlerhafte Verwertung der Informationen über die Aufhebung der Minderungsbescheide durch das SG nach Beiziehung der entsprechenden Verfahrensakten Sachentscheidungen über die Sachleistungen ablehnenden Bescheide hätte treffen können, nachdem er solche Leistungen mindestens nach Aufhebung der betreffenden Minderungsbescheide gemäß § 31a Abs 3 Satz 1 SGB II nicht mehr beanspruchen konnte, weil die Minderung des Alg II für die streitbefangenen Zeiträume weggefallen war. Dazu müsste den Beschwerden zu entnehmen sein, inwieweit dem Kläger ihrer Auffassung nach ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der ursprünglichen Rechtswidrigkeit der Sachleistungsbescheide zustand (zu den Anforderungen an das berechtigte Fortsetzungsfeststellungsinteresses vgl nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 131 RdNr 10a ff mwN). An substantiierten Ausführungen dazu fehlt es indessen; allein der Hinweis auf die abstrakte Möglichkeit der Wiederholungsgefahr oder des Rehabilitationsinteresses reicht dafür nicht, zumal dem Vorbringen weder konkret zu entnehmen ist, mit welcher Begründung der Beklagte die Gewährung von Sachleistungen abgelehnt hat, noch aus welchem Grund nach Auffassung des SG ein "einfacherer Weg" gegenüber der Klage offen gestanden habe.
Ungeachtet dessen lässt sich nach den Beschwerdevorbringen der - im Kern - Vorwurf der Überraschungsentscheidung nicht beurteilen, weil Angaben zu den den im Berufungsverfahren gestellten Anträgen und deren Ablauf im Einzelnen fehlen. Fernliegend ist jedenfalls die Auffassung der Beschwerden, dass der rechtskundige Kläger die Folgen der Aufhebung der Minderungsbescheide durch das SG für die vorliegenden Verfahren unbeachtet habe lassen dürfen; dass er angenommen haben könnte, trotz Wegfall der Minderungen ergänzende Sachleistungen nach § 31a Abs 3 Satz 1 SGB II beziehen zu dürfen, muss als ausgeschlossen angesehen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14113914 |