Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Vereinigung. Bildung von Honorartöpfen für Arztgruppen in Anknüpfung an die in einem früheren Jahr ausbezahlten Abrechnungsvolumina. Beobachtungs- und Reaktionspflicht. Orientierung eines Honorarverteilungsmaßstabes am Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen
Orientierungssatz
1. Eine Kassenärztliche Vereinigung darf Honorartöpfe für Arztgruppen in Anknüpfung an die in einem früheren Jahr ausbezahlten Abrechnungsvolumina bilden. Die so gebildeten Honorarkontingente werden nicht allein deshalb rechtswidrig, weil nach der Festlegung ihres Zuschnitts eine Höherbewertung von solchen Leistungen im EBM-Ä erfolgt, die aus einem derartigen festen Honorarkontingent vergütet werden (vgl zuletzt BSG vom 20.10.2004 - B 6 KA 13/04 B).
2. Mit der Bildung von Honorarkontingenten geht eine Beobachtungs- und Reaktionspflicht einer Kassenärztlichen Vereinigung als Normgeber einher. Dies begründet eine Verpflichtung zum Eingreifen, wenn sich bei einer Arztgruppe ein honorarmindernd wirkender dauerhafter Punktwertabfall von mehr als 15 % unter das sonstige Durchschnittsniveau ergibt, von dem Punktwertabfall ein wesentlicher Leistungsbereich betroffen ist, die dem Punktwertabfall zugrunde liegende Mengenausweitung nicht von der Arztgruppe selbst zu verantworten ist und die Honorarrückgänge in dem wesentlichen Leistungsbereich nicht durch andere Effekte kompensiert werden (vgl BSG vom 29.8.2007 - B 6 KA 43/06 R).
3. Die Ausgestaltung eines Honorarverteilungsmaßstabes muss sich an den Vorgaben des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen orientieren (vgl BSG vom 20.10.2004 - B 6 KA 13/04 B).
Normenkette
SGB 5 § 85 Abs. 4 S. 3, § 87 Abs. 1; EBM-Ä
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger, Arzt für Pathologie, begehrt für die Quartale II bis IV/1997 höheres Honorar, insbesondere weil dem Honorarkontingent zur Vergütung der pathologischen Leistungen kein ausreichendes Honorarvolumen zugewiesen worden sei.
Die Honorarverteilung der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) erfolgte seit dem 1.7.1996 auf der Grundlage fester arztgruppenbezogener Honorarkontingente, wobei es einen eigenständigen Fonds für "Fachärzte für Pathologie bzw Neuropathologie" (Quartal II/1997) bzw für "Fachärzte für Pathologie, Neuropathologie bzw Humangenetik" (Quartale III und IV/1997) gab, dem jeweils auch der Kläger zugeordnet war. Der Anteil am Gesamtvergütungsvolumen, das diesem Facharztfonds zur Verfügung gestellt war, basierte auf den Gesamtvergütungsanteilen der einzelnen Fachgruppen und Untergruppen im Jahre 1995.
Die Leistungen des Klägers wurden in den Quartalen II bis IV/1997 mit Punktwerten von 4,3 bis 5,82 Pf honoriert (s Tabelle im Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ S 4 oben) . Er beanstandete dies als unzureichend. Das Honorarvolumen für den ihn betreffenden Facharztfonds hätte aufgestockt werden müssen, denn der von den Pathologen erwirtschaftete Anteil an der Gesamtpunktmenge aller Vertragsärzte des KÄV-Bezirks habe sich von 1995 auf 1996 um 44,28 % erhöht (insoweit Bezugnahme auf Berechnungen der Beklagten, die im LSG-Urteil auf S 6 und S 14/15 wiedergegeben sind) . Die Reform des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) zum 1.1.1996 habe zu umfassenden Höherbewertungen der pathologischen Leistungen geführt, während die Verbesserungen bei den anderen Arztgruppen nur einzelne Leistungspositionen betroffen hätten. Dem hätte die Beklagte durch Aufstockung des Honorarvolumens für die pathologischen Leistungen Rechnung tragen müssen. Sie habe die im EBM-Ä für die Pathologen vorgenommenen Verbesserungen indessen konterkariert und unterlaufen, indem sie die Ausrichtung der Anteile am Gesamtvergütungsvolumen an den Verhältnissen des Jahres 1995 habe bestehen lassen.
Der Kläger hat mit seinem Begehren im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren insoweit Erfolg gehabt, als das LSG die Beklagte verpflichtet hat, über den Honoraranspruch des Klägers für die Quartale III und IV/1997 erneut zu entscheiden (Urteil des LSG vom 30.5.2007) .
Das LSG ist der Auffassung, dass die Beklagte das Honorarkontingent für die Vergütung der pathologischen Leistungen nicht schon wegen deren Höherbewertung im EBM-Ä habe erhöhen müssen. Die Beklagte sei ihrer Beobachtungs- und ggf Anpassungspflicht dadurch ausreichend nachgekommen, dass sie in der Folgezeit Änderungen in ihrem Honorarverteilungsmaßstab (HVM) vorgenommen habe. Zur Vorbeugung gegen ein unverhältnismäßiges Absinken von Punktwerten habe sie geregelt, dass die kurativen Punktwerte der einzelnen Kontingente den durchschnittlichen kurativen Punktwert über alle Kontingente - getrennt nach budgetierten und unbudgetierten Fachgruppen - ab dem 1.7.1997 um höchstens 10 % und ab dem 1.7.1998 um höchstens 20 % unterschreiten durften und erforderlichenfalls insoweit gestützt werden mussten, und zum anderen - in Auswertung der Abrechnungsergebnisse von vier Quartalen nach Einführung der arztgruppenbezogenen Honorarkontingente -, dass ab dem 1.10.1998 bei der Aufteilung des Gesamtvergütungsvolumens auf die Honorarkontingente Erhöhungen der Fallpunktzahlen um mehr als 3 % zu berücksichtigen waren, soweit diese auf Änderungen im EBM-Ä zurückgingen.
Die Berechnung des Honorarvolumens für die pathologischen Leistungen in den Quartalen III und IV/1997 sei aber aus anderen Gründen - wegen falscher Zuordnung von Leistungserbringern - zu beanstanden. Seit dem Quartal III/1997 gebe es ein eigenes Honorarkontingent für die Fachbiologen der Medizin und für die Fachärzte für Pathologie mit der besonderen Genehmigung "gynäkologische Zytologie" (über die der Kläger nicht verfügte). Vier dazugehörende Leistungserbringer seien indessen fehlerhafterweise nicht diesem neuen Zytologenfonds zugeordnet, sondern weiterhin aus dem Pathologenfonds honoriert worden.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG verfolgt der Kläger sein Grundanliegen weiter, dass im Gefolge der Reform des EBM-Ä zum 1.1.1996 mit der Erhöhung des Anteils der Pathologen an der Gesamtpunktmenge aller Vertragsärzte des KÄV-Bezirks um 44,28 % dem Pathologenfonds ein entsprechend höheres Honorarvolumen hätte zur Verfügung gestellt werden müssen. Er macht insoweit die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die Rüge des Vorliegens grundsätzlicher Bedeutung ist zulässig, weil der Kläger sie in einer den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG entsprechenden Form erhoben hat. Sie ist aber nicht begründet, da die von ihm geltend gemachte Klärungsbedürftigkeit der entscheidungserheblichen Rechtsfragen nicht (mehr) besteht.
Der Kläger ist der Ansicht, es müsse entschieden werden, "ob eine KÄV zur Korrektur von Honorarkontingenten verpflichtet ist, wenn es nach dem für die Bildung der Honorarkontingente maßgeblichen Zeitraum zu einer veränderten Bewertung von Leistungen im EBM kommt, die sich in ihren Auswirkungen nicht lediglich auf Verteilungsaspekte innerhalb einer Arztgruppe beschränkt". Diese Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, weil sich die Antwort auf sie ohne weiteres aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ergibt.
Der Senat hat in dem vom Kläger in seiner Beschwerdebegründung herangezogenen Beschluss vom 20.10.2004 (B 6 KA 13/04 B - juris) seine ständige Rechtsprechung zur Bildung und Anpassung von arztgruppenbezogenen Honorarkontingenten dahin zusammengefasst, dass die KÄV Honorartöpfe für Arztgruppen in Anknüpfung an die in einem früheren Jahr ausbezahlten Abrechnungsvolumina bilden darf, und dass die so gebildeten Honorarkontingente nicht allein deshalb rechtswidrig werden, weil nach der Festlegung ihres Zuschnitts eine Höherbewertung von solchen Leistungen im EBM-Ä erfolgt, die aus einem derartigen festen Honorarkontingent vergütet werden (vgl bereits BSGE 86, 16, 26 = SozR 3-2500 § 87 Nr 23 S 125) .
In seinem nach Verkündung des hier angefochtenen Urteils ergangenen Urteil vom 29.8.2007 (B 6 KA 43/06 R, USK 2007-78, zur Veröffentlichung auch in SozR 4 § 85 Nr 40 vorgesehen) hat der Senat, bezogen auf die Arztgruppe der Anästhesisten und die Höherbewertung der anästhesistischen Leistungen im EBM-Ä zum 1.1.1996 und deren Auswirkungen auf fachgruppenbezogene Honorarkontingente, erneut bekräftigt, dass mit der Bildung von Honorarkontingenten eine Beobachtungs- und Reaktionspflicht der KÄV als Normgeber einhergeht. Dies begründet eine Verpflichtung zum Eingreifen, wenn sich bei einer Arztgruppe ein honorarmindernd wirkender dauerhafter Punktwertabfall von mehr als 15 % unter das sonstige Durchschnittsniveau ergibt, von dem Punktwertabfall ein wesentlicher Leistungsbereich betroffen ist, die dem Punktwertabfall zugrunde liegende Mengenausweitung nicht von der Arztgruppe selbst zu verantworten ist und die Honorarrückgänge in dem wesentlichen Leistungsbereich nicht durch andere Effekte kompensiert werden (Urteil vom 29.8.2007 - RdNr 20) . An dieser - auch in zahlreichen weiteren Entscheidungen zugrunde gelegten - Rechtsprechung hat sich das LSG der Sache nach orientiert und im Einzelnen dargelegt, weshalb es nicht zu beanstanden sei, dass die Beklagte erst zum 1.10.1998 unter bestimmten Voraussetzungen eine Erhöhung des Honorarkontingents für die Pathologen im Hinblick auf eine Höherbewertung von Leistungen im EBM-Ä vornahm. Angesichts der unvermeidlicherweise relativ unbestimmten Rechtsfolgen der vom Senat hervorgehobenen Reaktions- bzw Anpassungspflicht der KÄVen bei der Honorarverteilung auf der Grundlage von festen arztgruppenbezogenen Honorarkontingenten ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen und ab welchem Zeitpunkt genau eine KÄV auf eine bestimmte Honorarverteilungsentwicklung reagieren muss, einer allgemein gültigen Festlegung und damit grundsätzlicher Klärung nicht zugänglich.
Eine grundsätzliche Bedeutung ergibt sich auch nicht im Hinblick auf den Detailaspekt, den der Kläger in seiner als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Frage besonders hervorhebt, nämlich, ob eine Verpflichtung zu weitergehender oder beschleunigter Korrektur dann besteht, wenn es zu einer veränderten Bewertung von Leistungen im EBM-Ä kommt, die sich in ihren Auswirkungen nicht lediglich auf Verteilungsaspekte innerhalb einer einzelnen Arztgruppe beschränkt (so die Formulierung der Rechtsfrage in der Beschwerdebegründung S 4 und dazu die näheren Ausführungen S 6-12) . In diesem Zusammenhang anerkennt der Kläger, dass der Rechtsprechung des BSG zur Beobachtungs- und Korrekturpflicht gerade Fälle zugrunde lagen, in denen die Höherbewertung im EBM-Ä Auswirkungen - über das interne Verhältnis der Ärzte einer Fachgruppe hinaus - im Verhältnis der Honorargruppen zueinander hatte (s hierzu Beschwerdebegründung S 9 f) . Soweit der Kläger meint, ein Bedarf nach grundsätzlicher Klärung ergebe sich daraus, dass das LSG die Rechtsprechung des BSG falsch verstanden habe (vgl dazu Beschwerdebegründung S 7 mit Hinweis auf das LSG-Urteil S 13) , kann dem nicht zugestimmt werden. Es ist schon nicht ohne weiteres nachvollziehbar, dass dem LSG tatsächlich ein Fehlverständnis vorzuwerfen ist (s dazu Urteil S 13) . Zudem läge insoweit nur ein - für eine Revisionszulassung nicht ausreichender - Fehler bei der Rechtsanwendung im Einzelfall vor.
Entgegen der Ansicht des Klägers besteht ein Klärungsbedarf auch nicht deshalb, weil die Formulierungen in den verschiedenen Entscheidungen des BSG widersprüchlich seien (Beschwerdebegründung S 10/11) . Dies trifft so nicht zu. Der Kläger gibt das Urteil des BSG vom 20.3.2000 zu Recht dahingehend wieder, dass es die Budgetierungsregelungen des EBM-Ä als "vorgreiflich und verbindlich" gegenüber Maßnahmen der Honorarverteilung bezeichne, dies aber mit dem Zusatz "in diesem Sinne" versehen habe. In diesem Zusatz liegt die Relativierung der Vorgreiflichkeit und Verbindlichkeit. Dies hat das BSG in seinem Beschluss vom 20.10.2004 mit der Wendung zusammengefasst, dass sich die Ausgestaltung des HVM an den Vorgaben des EBM-Ä "orientieren" müsse. Die sich aus dieser einheitlichen Gesamtlinie ergebenden Spielräume für den Normgeber des HVM sind in den Entscheidungen beispielhaft konkretisiert worden, wie in der Beschwerdebegründung zusammengestellt worden ist (Beschwerdebegründung S 11 f) . Diese Gesamtschau lässt keine Grundlage für die Meinung des Klägers erkennen, das Urteil besage "das genaue Gegenteil von dem … Beschluss" (so aber aaO S 11) und/oder aus den Entscheidungen ergäben sich "Widersprüche" (so aaO S 12 unten) . Mithin ist ein Klärungsbedarf, wie ihn der Kläger geltend gemacht, nicht gegeben.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG abgesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG in der bis zum 1.1.2002 geltenden und hier - im Hinblick auf die vor 2002 erfolgte Klageerhebung - noch anzuwendenden Fassung.
Fundstellen