Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 12.05.2022; Aktenzeichen L 14 R 571/21)

SG Nürnberg (Gerichtsbescheid vom 08.10.2021; Aktenzeichen S 4 R 405/20)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Mai 2022 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin T, N, zu bewilligen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im vorbezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der 1956 geborene Kläger begehrt die Übernahme der Kosten für die Anschaffung eines Kfz.

Den am 18.2.2020 bei der Bundesagentur für Arbeit gestellten Antrag auf Leistungen zur Teilhabe in Form einer Kfz-Hilfe leitete diese an die Beklagte weiter. Mit Bescheid vom 28.2.2020 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 16.3.2020). Mit Telefax vom 24.5.2020 verfolgte der Kläger sein Begehren auf Kfz-Hilfe weiter und erhob Klage vor dem SG. Er verwies auf einen Bescheid der Beklagten vom 21.4.2020, der die Ablehnung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben - jedoch nicht eine Kfz-Hilfe - zum Gegenstand hat. Seit dem 1.1.2021 steht der Kläger im Bezug einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen (Bescheid vom 25.3.2021).

Mit Gerichtsbescheid vom 8.10.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Gegenstand sei der Bescheid vom 28.2.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.3.2020. Die Klage sei bereits unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Klagefrist erhoben worden sei. Darüber hinaus sei die Klage aber auch unbegründet. Aufgrund der bewilligten Altersrente sei ein Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe in Form einer Kfz-Hilfe nach § 12 SGB VI ausgeschlossen. Die ebenfalls erhobene Klage auf Feststellung der Verletzung von Amtspflichten sei mangels Feststellungsinteresse unzulässig. Das LSG hat die vom Kläger nicht begründete Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 12.5.2022). Es hat sich vollumfänglich dem SG angeschlossen. Soweit der Kläger sich mit seiner Klage gegen den Bescheid vom 21.4.2020 habe wenden wollen, fehle es an einem Widerspruchsbescheid. Zudem habe das SG über diesen Bescheid nicht entschieden. Dem LSG sei eine Entscheidung darüber verwehrt.

Der Kläger hat mit einem am 28.8.2022 (Sonntag) beim BSG per Telefax eingegangenen Schreiben, das mit "Nichtzulassungsbeschwerde zur Revision hilfsweise Erhebung der Individualverfassungsbeschwerde" überschrieben ist, Prozesskostenhilfe (PKH) für die beabsichtigte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG (Zustellung am 27.7.2022) unter Beiordnung von Rechtsanwältin T beantragt. Er meint, es würden Verfahrensmängel vorliegen.

II

1. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen. Einem Beteiligten kann für das Verfahren vor dem BSG nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Nach Prüfung des Streitstoffs anhand der beigezogenen Gerichtsakten ist auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers nicht zu erkennen, dass ein nach § 73 Abs 4 SGG zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen.

a) Es ist nach Aktenlage nicht ersichtlich, dass eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) erfolgreich geltend gemacht werden könnte. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Derartige Rechtsfragen sind nicht erkennbar. Es ergibt sich unmittelbar aus § 87 SGG, dass die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids zu erheben ist. Geschieht dies nicht und liegen keine Wiedereinsetzungsgründe vor, ist sie unzulässig. Dass es für eine Feststellungsklage eines Feststellungsinteresses bedarf, folgt aus § 55 Abs 1 SGG, wonach "der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung" haben muss. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das LSG einen abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem solchen des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat (Zulassungsgrund der Divergenz, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG).

b) Ebenso fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass ein Verfahrensmangel aufgezeigt und vorliegen könnte, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen kann. Nach Halbsatz 2 dieser Bestimmung kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

aa) Soweit der Kläger sinngemäß vorbringt, das LSG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör sowie das Gebot der Rechtsschutzgleichheit und den Rechtsstaatsgrundsatz verletzt, weil es seinem Antrag auf Gewährung von PKH nicht entsprochen habe, ist ein Verfahrensmangel nicht erkennbar. Ausweislich der LSG-Akten hat der Kläger erst am Abend des 11.5.2022 mit einem Telefax, das beim SG eingegangen und von dort am Folgetag an das LSG weitergeleitet worden ist, einen Antrag auf PKH für das Verfahren L 14 R 571/21 gestellt. Der mit Schreiben vom 28.2.2022 gestellte PKH-Antrag betraf ausdrücklich nur das Verfahren L 14 R 572/21(siehe B 5 R 50/22 BH) . Es kann offenbleiben, ob das Telefax am 12.5.2022 noch so rechtzeitig beim LSG eingegangen ist, dass das Berufungsgericht noch vor Verkündung seiner Entscheidung in der Hauptsache einen Beschluss über die Gewährung von PKH hätte fassen können. Jedenfalls war dem Antrag die erforderliche aktuelle Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 117 Abs 2 ZPO) nicht beigefügt. Eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör könnte hier auch deshalb nicht mit Erfolg gerügt werden, weil in der Sache unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine hinreichende Erfolgsaussicht zu bejahen wäre.

bb) Auch hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten verwehrten Akteneinsicht und die damit verbundene Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör findet sich in den Gerichtsakten kein entsprechender Antrag auf Akteneinsicht. Soweit der Kläger bemängelt, dass sein Antrag auf Einsicht in den internen Geschäftsverteilungsplan ignoriert worden sei, ist den LSG-Akten ein solcher Antrag ebenfalls nicht zu entnehmen. Auf den vom Kläger mit Schreiben vom 10.1.2022 geltend gemachten "Besetzungseinwand", weil im Schriftsatz des LSG vom 4.1.2022 die "mitgeteilte Änderung im Geschäftsverteilungsplan" "weder begründet, noch dokumentiert" worden sei, hat die Berichterstatterin mit Verfügung vom 20.1.2022 (Schreiben vom 25.1.2022) reagiert und mitgeteilt, dass das Präsidium des Bayerischen LSG im Zuge der Geschäftsverteilung für das Jahr 2022 beschlossen habe, alle Verfahren, welche im Jahr 2021 im 19. Senat des Bayerischen LSG in Schweinfurt eingegangen seien und vom SG Nürnberg als erstinstanzlichem Gericht stammten, dem 14. Senat in München zur weiteren Bearbeitung zuzuweisen. Hierauf erfolgte keine weitere Reaktion des Klägers, sodass das LSG davon ausgehen konnte, dass sich das Anliegen des Klägers damit erledigt hatte.

cc) In Bezug auf den vom Kläger vorgebrachten Einwand, das LSG sei seinen Pflichten zur vollumfänglichen Ermittlung nicht nachgekommen und habe mithin seine Amtsermittlungspflicht gemäß § 103 SGG verletzt, ist schon nicht ersichtlich, dass er einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt hat. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zwar sind, wenn ein Kläger in der Berufungsinstanz - wie hier - durch keinen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten war, an Form, Inhalt, Formulierung und Präzisierung eines Beweisantrags verminderte Anforderungen zu stellen. Auch ein unvertretener Beteiligter muss jedoch einen konkreten Beweisantrag sinngemäß gestellt haben, dh angeben, welche konkreten Punkte er am Ende des Verfahrens noch für aufklärungsbedürftig gehalten hat und auf welche Beweismittel das Gericht hätte zurückgreifen sollen, um diese aufzuklären (vgl BSG Beschluss vom 1.8.2017 - B 13 R 214/16 B - juris RdNr 14 mwN). Das ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat die Berufung inhaltlich nicht begründet. Es kann offenbleiben, ob sein Schreiben vom 10.1.2022 noch vor Beendigung der mündlichen Verhandlung und Verkündung des Urteils am 12.5.2022 beim LSG eingegangen ist. Es enthält jedenfalls keinen hinreichend konkreten Beweisantrag. Zur mündlichen Verhandlung ist der Kläger trotz ordnungsgemäßer Ladung (siehe hierzu auch b) dd) nicht erschienen.

dd) Soweit der Kläger zudem vorträgt, das LSG habe Anträge auf Verlegung oder Vertagung erst nach Durchführung der in seiner Abwesenheit stattgefundenen Verhandlungen abgewiesen und damit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, ist auch hierfür nichts ersichtlich. Aus den LSG-Akten geht hervor, dass der Kläger zum beabsichtigen Erörterungstermin am 21.3.2022 mit Postzustellungsurkunde (PZU) vom 15.2.2022 ordnungsgemäß geladen und der Termin wegen Verhinderung des Klägers später abgeladen wurde. Die Abladung hat der Kläger mit PZU vom 17.3.2022 erhalten. Zum Erörterungstermin am 12.4.2022 wurde der Kläger ebenfalls ordnungsgemäß geladen und rechtzeitig vor dem Termin hiervon in Kenntnis gesetzt (PZU vom 25.3.2022). Ein Verlegungs- oder Vertagungsantrag des Klägers ist den Akten nicht zu entnehmen. Der wegen Nichterscheinens des Klägers zum Termin ergangene Ordnungsgeldbeschluss vom 12.4.2022 wurde auf die Beschwerde des Klägers nach Vorlage diverser medizinischer Unterlagen mit Beschluss vom 3.5.2022 aufgehoben. Auch zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.5.2022 wurde der Kläger ordnungsgemäß geladen (PZU vom 21.4.2022). Ausweislich des Sitzungsprotokolls ist der Kläger nicht erschienen. Dass der Kläger einen Verlegungsantrag gestellt hat, ist nicht ersichtlich.

ee) Die vom Kläger vorgebrachten Verfahrensmängel, die sich auf das erstinstanzliche Verfahren vor dem SG beziehen (unterbliebene Amtsermittlung, verwehrte Einsicht in die Verfahrensakten und den internen Geschäftsverteilungsplan, Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, Verweigerung von PKH), sind unbeachtlich. Da sich die Zulassung der Revision gegen eine Entscheidung des LSG richtet (§ 160 SGG), kommen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nur Mängel des Verfahrens vor dem LSG und nicht vor dem SG in Betracht, es sei denn, dass der Verfahrensmangel fortwirkt und damit zugleich einen Mangel des Verfahrens vor dem LSG bildet (vgl BSG Beschluss vom 19.1.2011 - B 13 R 211/10 B - juris RdNr 15 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 16a mwN). Hierfür sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.

ff) Soweit der Kläger der Auffassung ist, die Beklagte habe ihre Dienst- und Amtspflichten verletzt, betrifft dies gleichfalls nicht das Verfahren vor dem LSG. Sollte der Kläger mit seinem Vorbringen zum Ausdruck bringen wollen, die Entscheidung des LSG sei inhaltlich falsch, weil sie sich nicht mit vermeintlichen Pflichtverletzungen der Beklagten auseinandersetze, kann hierauf auf eine Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht gestützt werden (vgl BSG Beschluss vom 20.10.2021 - B 5 R 230/21 B - juris RdNr 6 mwN).

c) Da dem Kläger mithin PKH nicht zusteht, entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

2. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG ist unzulässig, denn sie entspricht nicht der gesetzlichen Form. Die Beschwerde konnte, worauf der Kläger in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils ausdrücklich hingewiesen worden ist, wirksam nur durch einen beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist eingelegt werden (§ 73 Abs 4, § 160a Abs 1 Satz 2 SGG). Ausnahmen hiervon sehen die gesetzlichen Regelungen nicht vor.

Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter als unzulässig zu verwerfen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Düring

Gasser

Hahn

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15635424

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