Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensfehler. Übergabe des unterschriebenen Urteils an die Geschäftsstelle. Fünf-Monats-Frist. fehlende Urschrift des Urteils in der Verfahrensakte. Vorliegen einer beglaubigten Abschrift als ausreichendes Indiz. Unterschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle auf dem Urteil. Darlegungsanforderungen
Orientierungssatz
1. Das Fehlen der Urschrift des Urteils in der LSG-Akte entspricht nicht dem Fehlen von Entscheidungsgründen innerhalb der Fünf-Monats-Frist.
2. Zu den Anforderungen an die Darlegung eines Verfahrensfehlers im Hinblick auf eine Verletzung des § 134 Abs 3 SGG bei paraphiertem Vermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle.
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 1, § 134 Abs. 3, § 136 Abs. 1 Nr. 6, § 153 Abs. 3 S. 1, § 202; ZPO § 547 Nr. 6, § 317 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 16. Juli 2014 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. In der Hauptsache begehrt der Kläger Versorgungsleistungen nach dem Infektionsschutzgesetz wegen einer Persönlichkeitsstörung als Komplikation nach einer Masernschutzimpfung im Jahr 1987. Der Antrag war bei dem beklagten Land sowie beim SG und LSG erfolglos. Das LSG hat ua ausgeführt, nach dem Ergebnis der internistisch-infektiologischen Begutachtung sei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der stattgehabten Impfung und einer später diagnostizierten Enzephalitis mit nachfolgender Persönlichkeitsstörung und Hirnleistungsschwäche nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festzustellen (Urteil vom 16.7.2014).
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem ihm am 8.12.2014 zugestellten Urteil des LSG und macht den Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers geltend.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensmangels nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall des Klägers darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden.
Der Kläger rügt, ausweislich der Akten solle die angegriffene Entscheidung des LSG zwar am 3.12.2014 zur Geschäftsstelle gelangt sein. In der Akte befinde sich jedoch kein von Richtern unterschriebenes Exemplar des Urteils, sodass von einem Verstoß gegen § 153 Abs 3 S 1 SGG auszugehen sei. Da es keine Urschrift gebe, sei nicht nachvollziehbar, wann die Entscheidung zur Geschäftsstelle gelangt sei. Zwar befinde sich in der Akte ein Vermerk über den Eingang bei der Geschäftsstelle am 3.12.2014. Dieser sei jedoch auch nur paraphiert, was gegen § 134 Abs 3 SGG verstoße. Insoweit sei von einem Fehlen der Entscheidungsgründe auszugehen, weil die Entscheidung binnen fünf Monaten jedenfalls nicht ordnungsgemäß zur Geschäftsstelle gelangt sei.
Der absolute Revisionsgrund des § 202 SGG iVm § 547 Nr 6 ZPO ist mit diesem Vortrag nicht hinreichend dargelegt. Nach § 547 Nr 6 ZPO iVm § 136 Abs 1 Nr 6 SGG ist eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen, wenn sie nicht mit Gründen versehen ist. Das Fehlen von Entscheidungsgründen liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn ein Urteil nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den beteiligten Berufsrichtern unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist (GmSOGB SozR 3-1750 § 551 Nr 4; BSGE 91, 283 = SozR 4-1500 § 120 Nr 1, RdNr 4 mwN). Der Kläger hat in seiner Beschwerdebegründung schon nicht dargelegt, dass die Übergabe der angefochtenen Entscheidung zur Geschäftsstelle außerhalb dieser Frist liegt. Tatsächlich liegt nach dem Vortrag des Klägers eine beglaubigte Abschrift des Urteils vor, ist das Urteil des LSG innerhalb der Fünf-Monats-Frist am 3.12.2014 der Geschäftsstelle übergeben worden und am 8.12.2014 zugestellt worden. Die Beschwerdebegründung versäumt insoweit eine Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften nicht erteilt werden, solange das Urteil nicht verkündet und nicht unterschrieben ist (vgl § 202 SGG iVm § 317 Abs 2 S 2 ZPO). Das Fehlen der Urschrift des Urteils in der LSG-Akte entspricht nicht dem Fehlen von Entscheidungsgründen innerhalb der Fünf-Monats-Frist. Vielmehr hätte die Beschwerdebegründung ausführen müssen, wieso das Fehlen der Urschrift in der Akte des LSG bereits als absoluter Revisionsgrund anzusehen wäre. Hierzu hätte Anlass bestanden, weil wegen besonderer Aufbewahrungsfristen Urteile zB beim BSG in einem gesonderten Sammelordner aufzubewahren sind (vgl § 12 Abs 3 der Geschäftsordnung des BSG - BAnz Nr 171 vom 11.11.2010 S 3792). Hinsichtlich des weiter gerügten Verstoßes gegen § 134 Abs 3 SGG (Vermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle über den Tag der Verkündung des Urteils) beschäftigt sich die Beschwerdebegründung schon nicht damit, ob und inwieweit die fehlende vollständige Unterschrift des Urkundsbeamten unter dem Übergabevermerk von § 134 Abs 3 SGG erfasst wird und für den Fall eines Verstoßes hiergegen ein entscheidungserheblicher Verfahrensfehler des angefochtenen Urteils vorliegen könnte (vgl Harks in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 134 RdNr 17 mwN).
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen