Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollstreckung einer genehmigten IKK-Anschlußerrichtung
Orientierungssatz
1. In den Rechtsmittelinstanzen kommt die Aussetzung der Vollstreckung eines genehmigten Anschlusses einer Innung an eine Innungskrankenkasse ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn das Rechtsmittel in der Hauptsache offensichtlich Aussicht auf Erfolg hat.
2. Dies gilt auch, wenn die Genehmigung einer Anschlußerrichtung bei nachträglich festgestellter Rechtswidrigkeit nur noch für die Zukunft aufgehoben werden kann.
Normenkette
SGG § 199 Abs 2 S 1; RVO § 273 Abs 1 Nr 3, § 276
Gründe
Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 14. Oktober 1986 das Urteil des Sozialgerichts (SG) Schleswig vom 21. Dezember 1983 aufgehoben und das beklagte Aufsichtsamt unter Aufhebung seines Beschlusses vom 29. August 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 1981 verurteilt, den Anschluß der klagenden Innung an die zu 2) beigeladene Innungskrankenkasse zu genehmigen. Der Klägerin ist eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils erteilt worden. Der Beklagte hat daraufhin beantragt, die Vollstreckung aus dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 14. Oktober 1986 im Wege der einstweiligen Anordnung auszusetzen.
Diesem Antrag kann nicht entsprochen werden.
Nach § 199 Abs 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann, wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat, der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen. Die Entscheidung hat nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung dessen zu ergehen, daß im sozialgerichtlichen Verfahren Rechtsmittel grundsätzlich nur in den vom Gesetz (§§ 165, 154 Abs 1 iVm § 97 Abs 1 SGG) abschließend aufgezählten Fällen aufschiebende Wirkung haben, sowie unter Abwägung der Interessen der Beteiligten einerseits an der Vollstreckung des mit dem Rechtsmittel angefochtenen Urteils und andererseits daran, daß durch diese Vollziehung nicht eine endgültige Rechtslage geschaffen wird (vgl Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 3. Aufl 1987, § 199, RdNr 8). In den Rechtsmittelinstanzen kommt überdies eine Aussetzung der Vollstreckung regelmäßig nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn das Rechtsmittel in der Hauptsache offensichtlich Aussicht auf Erfolg hat, die Klage also offensichtlich unbegründet gewesen ist (BSGE 12, 138 = SozR Nr 4 zu § 154 SGG).
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Die Revisionen des Beklagten und der zu 1) beigeladenen Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) haben nicht offensichtlich Aussicht auf Erfolg. Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, durch den Anschluß der Klägerin an die Beigeladene zu 2) werde nicht iS des § 251 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die Leistungsfähigkeit der Beigeladenen zu 1) gefährdet. Das gelte sowohl auf der Grundlage der im Urteil des Bundessozialgericht (BSG) vom 17. Juli 1985 (BSGE 58, 254 = SozR 2200 § 250 Nr 10) angestellten Erwägungen als auch bei Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Beklagten, daß von einer Gefährdung des Leistungsvermögens der betroffenen AOK bereits dann ausgegangen werden müsse, wenn der Bedarfssatz der Vergleichskassen um mehr als 5 vH überschritten werde. Diese Begründung des angefochtenen Urteils bietet keine Anhaltspunkte dafür, daß die dagegen gerichteten Revisionen offensichtlich Aussicht auf Erfolg haben. Allerdings ist das Urteil des BSG vom 17. Juli 1985 (aaO) zum Teil auf Widerspruch gestoßen und kritisiert worden. Dies wird Anlaß geben, in der Hauptsacheentscheidung des vorliegenden Rechtsstreits die jenem Urteil zugrundeliegenden Erwägungen zu überprüfen und sie je nach dem Ergebnis dieser Überprüfung zu ergänzen oder zu modifizieren. Indes ist das Erfordernis einer solchen Überprüfung nicht gleichbedeutend damit, daß die Revisionen zwingend zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils führen und damit offensichtlich begründet erscheinen müssen.
Auch der Hinweis des Beklagten und der Beigeladenen zu 1) darauf, daß mit der Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil hinsichtlich der daraus resultierenden Auswirkungen im Beitrags- und Leistungssektor gleichsam der Entscheidung in der Hauptsache vorgegriffen werde und diese Auswirkungen im Falle einer Aufhebung des angefochtenen Urteils kaum wieder rückgängig zu machen seien, läßt eine Aussetzung der Vollstreckung nicht zu. Zwar kommt nach den Urteilen des 1. Senats des BSG vom 13. November 1985 (BSGE 59, 122 = SozR 2200 § 253 Nr 2) und vom 8. April 1987 - 1 RR 14/85 - (zur Veröffentlichung bestimmt) - dort entschieden für die Errichtung bzw Anschlußerrichtung einer Betriebskrankenkasse (BKK) - nach Eintritt der Wirksamkeit der hierfür erforderlichen Genehmigung selbst im Falle ihrer von Beginn an bestehenden Rechtswidrigkeit ihre Aufhebung und eine Beseitigung der (Anschluß-) Errichtung mit Wirkung ex tunc nicht mehr in Betracht. Vielmehr können die Folgen einer rechtswidrigen (Anschluß-) Errichtungsgenehmigung dann nur noch in entsprechender Anwendung des § 273 Abs 1 Nr 3 RVO mit Wirkung ex nunc beseitigt werden. Ob dasselbe für den Fall zu gelten hat, daß die (Anschluß-) Errichtungsgenehmigung aufgrund eines vollstreckbaren Urteils zu erteilen ist und dieses Urteil nach Vollzug der Genehmigung durch das Rechtsmittelgericht aufgehoben wird, mag auf sich beruhen. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, läßt sich allein unter diesem Gesichtspunkt eine Aussetzung der Vollstreckung im Wege der einstweiligen Anordnung nicht rechtfertigen. Dem steht entgegen, daß mit der Vollstreckung keineswegs ein selbst nach Aufhebung des angefochtenen Urteils durch die Entscheidung zur Hauptsache "irreparabler" Rechtszustand geschaffen wird. Vielmehr ist dann eine "Rückabwicklung" der (Anschluß-) Errichtung möglich, wenn auch lediglich mit Wirkung ex nunc. Letzteres ist im Interesse vor allem der betroffenen Versicherten wie aber auch letztlich der beteiligten Krankenkassen hinzunehmen.
Fundstellen