Leitsatz (amtlich)
Begehrt der Versorgungsberechtigte, der einen Bescheid über die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse hat bindend werden lassen, die Richtigstellung dieses Bescheides durch Erlaß eines Zugunstenbescheides, so ist die Berufung gegen den eine Zugunstenregelung ablehnenden Bescheid ebenfalls (grundsätzlich) ausgeschlossen.
Normenkette
SGG § 148 Nr. 3 Fassung: 1958-06-25; KOVVfG § 40 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 30. Mai 1967 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Da das Landessozialgericht (LSG) die Revision nicht zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), wäre sie nur statthaft, wenn der Kläger einen wesentlichen Verfahrensmangel (§ 162 Abs 1 Nr. 2 SGG) oder eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes - BVG - (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG) mit Erfolg gerügt hatte. Das ist nicht der Fall.
Der Kläger rügt als Verfahrensmangel Verletzung der §§ 103, 106, 118, 128, 148 und 150 SGG. Das LSG hätte die Berufung als zulässig ansehen müssen, da der Verwaltungsbescheid nicht eine Neufeststellung wegen Änderung der Verhältnisse, sondern einen Antrag auf eine Zugunstenregelung betroffen habe. Ferner hätte das LSG sich mit dem Vorbringen des Klägers, daß es sich um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung handele, auseinandersetzen müssen. Außerdem sei im Berufungsschriftsatz vom 15. April 1967 sinngemäß die Rüge der Verletzung des § 128 SGG enthalten, weil das Sozialgericht (SG) über eine rein medizinische Frage ohne Anhörung von Fachmedizinern entschieden habe. Im Ausland werde das Gehirn dem inneren Organsystem zugeordnet, auch die Versorgungsbehörde habe in allen anderen Fällen zuvor diese Auffassung vertreten. Mit dieser Rüge habe sich das LSG nicht befaßt; es habe auch nicht berücksichtigt, daß durch die Nichteinordnung des Gehirns in das innere Organsystem im vorliegenden Fall - entgegen der seitherigen Handhabung - der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) verletzt sei.
Diese Rügen vermögen die Revision nicht statthaft zu machen. Die Rechtsauffassung des LSG, daß die Berufung im vorliegenden Fall nach § 148 Nr. 3 SGG ausgeschlossen sei, weil sich der Antrag auf Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) gegen die Richtigkeit des bindend gewordenen Bescheides vom 20. November 1964 richte, mit dem die Schwerstbeschädigtenzulage des Klägers gemäß § 62 BVG neu festgestellt wurde, ist frei von Rechtsirrtum.
Mit Bescheid vom 15. November 1962 war die Schwerstbeschädigtenzulage nach der unter der Geltung des 1. Neuordnungsgesetzes (NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I, 453 - aF -) höchstmöglichen Stufe III mit 60, - DM (vgl. § 31 Abs. 5 BVG aF) bewilligt worden.
Mit dem aufgrund des 2. NOG vom 21. Februar 1964 (BGBl I, 85) ergangenen Bescheid vom 20. November 1964 wurde ab 1. Januar 1964 Schwerstbeschädigtenzulage nach der Stufe IV mit 80,-- DM unter Zugrundelegung von 230 Punkten gewährt, nachdem durch das 2. NOG zwei weitere Stufen der Schwerstbeschädigtenzulage eingefügt worden waren. Bei dieser Änderung der maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften hat es sich um eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 Abs. 1 BVG gehandelt (vgl. BSG 10, 202; 15, 208/209), weshalb der Bescheid vom 20. November 1964 eine Neufeststellung von Versorgungsbezügen wegen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 148 Nr. 3 SGG betraf, bei der die Berufung grundsätzlich unzulässig ist. Im Schriftsatz vom 4. Mai 1965 beantragte der Kläger, im Wege der Zugunstenregelung, auch für die zurückliegende Zeit (d. h. ab 1. Januar 1964), Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe V zu gewähren, weil die Punktzahl von 230 um 20 Punkte zu erhöhen sei. Damit wurde die Unrichtigkeit des bindend gewordenen Bescheids vom 20. November 1964 geltend gemacht. Wenn jedoch schon bei rechtzeitiger Anfechtung dieses Bescheides zur Überprüfung des Rechtsanspruchs die Berufung ausgeschlossen war, so muß dieses Rechtsmittel nach dem Sinn und Zweck des § 148 Nr. 3 SGG in einem Verfahren, in dem lediglich zu prüfen ist, ob die Versorgungsbehörde ohne Ermessensfehlgebrauch an der seitherigen bindend gewordenen Regelung vom 20. November 1964 festgehalten hat, ebenso unzulässig sein. Würde die Berufung als zulässig angesehen, so würde dies zu einer Umgehung des mit § 148 Nr. 3 SGG bezweckten Berufungsausschlusses führen. Der Kläger würde im Verfahren eine stärkere Stellung erhalten als bei Anfechtung de nach § 62 BVG ergangenen Bescheides. Durch § 148 Nr. 3 SGG soll aber gerade grundsätzlich verhindert werden, daß die Berufungsinstanz überhaupt mit der Prüfung eines wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse erlassenen Neufeststellungsbescheides sachlich befaßt wird. Die Zulässigkeit der Berufung richtet sich auch in anderen Fällen einer Zugunstenregelung nach der Art der früher zugesprochenen oder abgelehnten Leistung oder des nach § 40 VerwVG erneut zu prüfenden Streitgegenstandes, d. h. die Berufung ist bei Ablehnung eines Zugunstenbescheides stets dann grundsätzlich ausgeschlossen, wenn es sich um einmalige oder wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 3 Monaten handelt (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG) oder wenn die Berufung die Ablehnung von Anträgen wegen Fristversäumnis bzw. den Beginn oder das Ende der Versorgung oder nur Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume, ferner den Grad der Minderung für Erwerbsfähigkeit (MdE) oder die Höhe der Ausgleichsrente betrifft (§ 148 Nr. 1 bis 4 SGG) oder wenn es sich um Rückerstattung von Leistungen bis zu 500,-- DM handelt (§ 149 SGG). Sonach hat das LSG hinsichtlich des Bescheides vom 22. Juni 1965, mit dem der Antrag vom 4. Mai 1965 auf Erteilung eines Zugunstenbescheides abgelehnt wurde, zutreffend die Berufung als nach § 148 Nr. 3 SGG ausgeschlossen angesehen, da die Ausnahmefälle dieser Bestimmung, daß von dem Streit die Schwerbeschädigteneigenschaft oder die Gewährung der Grundrente abhängt, nicht gegeben sind.
Auch die übrigen Rügen greifen nicht durch. Da das SG die Berufung nicht zugelassen hatte, brauchte das LSG nicht zu erörtern, ob es sich um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung handelt; zutreffend hat das LSG ausgeführt, daß eine zu Unrecht nicht ausgesprochene Berufungszulassung keinen Verfahrensmangel begründen könnte (vgl. BSG in SozR Nr. 38 bis 40 zu § 150 SGG). Das LSG hat geprüft, ob der Kläger einen wesentlichen Verfahrensmangel (§ 150 Nr. 2 SGG) mit Erfolg gerügt hat. Es hat in der Unterlassung der Einholung eines Universitätsgutachtens zur Klärung der Frage, ob das Gehirn zum "inneren Organsystem" gehört, keinen Verfahrensmangel erblickt, sondern die Auffassung vertreten, daß das SG sich mit dieser Streitfrage eingehend auseinandergesetzt habe und daß dabei die Frage, ob es daneben noch die Anforderung eines ärztlichen Gutachtens für erforderlich hätte halten müssen oder nicht, als eine Frage angesehen, die die Sachentscheidung betrifft. Damit war insoweit auch ein Verstoß gegen § 128 SGG, der in dem von der Revision genannten Schriftsatz nicht geltend gemacht worden war, verneint. Die Auffassung des LSG ist verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden. Wenn das SG der Meinung war, daß der Rechtsbegriff des "inneren Organsystems" im Sinne des § 3 d der Durchführungsverordnung (DVO zu § 31 Abs. 5 BVG nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen, 1965 S. 27/28 auszulegen sei, so könnte das LSG einen etwaigen Irrtum des SG als einen solchen sachlich-rechtlicher Art ansehen. Das LSG hat sich auch mit der Frage befaßt, ob ein Verfahrensmangel darin liegt, daß das SG eine Bindung der Versorgungsbehörde an frühere abweichende Entscheidungen in gleichgelagerten Fällen verneint hat. Die Auffassung des LSG, daß auch diese Frage auf sachlich rechtlichem, nicht auf verfahrensrechtlichem Gebiet liege, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
Mit der materiell-rechtlichen Frage, ob die Versorgungsbehörde den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG verletzt habe, hatte sich das LSG bei der unzulässigen Berufung nicht zu befassen.
Da nach alledem wesentliche Verfahrensmängel nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht mit Erfolg gerügt worden sind und eine Gesetzesverletzung im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG nicht geltend gemacht wurde, ist die Revision nicht statthaft.
Sie war deshalb gemäß § 169 Satz 2 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen