Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache. soziales Entschädigungsrecht. Beschädigtenrente. Verlängerung der Antragsfrist. Hinderung an der Antragstellung ohne Verschulden. minderjähriges Opfer sexueller Gewalt. fehlendes Verschulden bis zur Volljährigkeit. subjektiver Maßstab. Zurechnung des Verschuldens der gesetzlichen Vertretungsperson. keine Verschuldenszurechnung bei Tatbeteiligung oder drohendem empfindlichem Ansehensverlust bzw Kriminalstrafe für Angehörige. sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensfehler. Sachaufklärungspflicht. schriftliche Verwerfung eines Beweisantrags. Erforderlichkeit eines neuen Beweisantrags für weitere Ermittlungen. Pflicht des Gerichts zur Hinwirkung auf sachdienliche Anträge. rechtskundig vertretener Beteiligter. Fragerecht gegenüber dem Sachverständigen. Divergenz. Darlegungsanforderungen
Orientierungssatz
1. Das BSG hat bereits mit Urteil vom 28.4.2005 - B 9a/9 VG 1/04 R = BSGE 94, 282 = SozR 4-3800 § 1 Nr 8 entschieden, dass ein minderjähriges Opfer sexueller Gewalt nach Eintritt sozialrechtlicher Handlungsfähigkeit regelmäßig ohne Verschulden gehindert ist, Beschädigtenrente zu beantragen. Insoweit gilt grundsätzlich ein subjektiver Maßstab. Zu berücksichtigen sind insbesondere Geisteszustand, Reife, Alter, Bildungsgrad und Geschäftsgewandtheit.
2. In diesem Urteil hat das BSG in Fortführung seiner Entscheidung vom 23.10.1985 - 9a RVg 4/83 = BSGE 59, 40 = SozR 3800 § 1 Nr 5 auch darauf hingewiesen, dass dem minderjährigen Gewaltopfer das Verschulden seiner gesetzlichen Vertretungsperson, die aus tat- und täterbestimmten eigenen Interessen keinen Antrag auf Beschädigtenrente stellt, nicht zuzurechnen ist. Deshalb scheidet nach der Rechtsprechung des BSG eine Zurechnung von Verschulden der gesetzlichen Vertretungsperson auch in Fällen aus, in denen diese entweder zugleich - bisher unentdeckt - an der Tat maßgeblich beteiligt war oder im Falle des Offenbarwerdens mit einem empfindlichen Ansehensverlust und einer Kriminalstrafe eines bzw einer Angehörigen zu rechnen hat (vgl BSG vom 16.3.2016 - B 9 V 6/15 R = SozR 4-3100 § 60 Nr 7).
3. Hat das Gericht einen Beweisantrag des Klägers schriftlich verworfen und dies entsprechend begründet, braucht es - ohne einen weiteren Beweisantrag, der sich mit den Gründen der zuvor erfolgten Ablehnung des vorangegangenen Beweisantrags auseinandersetzt und weiteren Ermittlungsbedarf aufzeigt - nicht mehr anzunehmen, dass der Kläger immer noch zusätzliche Ermittlungen von Amts wegen für geboten halte (vgl BSG vom 22.9.2022 - B 9 SB 8/22 B).
4. Es kann offenbleiben, ob die sich aus § 106 Abs 1, § 112 Abs 2 S 2 SGG ergebende Pflicht zur Hinwirkung auf sachdienliche Anträge in der mündlichen Verhandlung auch gegenüber einem rechtsanwaltlich vertretenen Kläger besteht (vgl BSG vom 6.12.2018 - B 8 SO 38/18 B und vom 1.3.2018 - B 8 SO 52/17 B zur Verpflichtung des Vorsitzenden zur Hinwirkung auf die Stellung sachdienlicher Anträge bei nicht anwaltlich vertretenen Klägern; zur Fürsorge- und Prozessförderungspflicht des Gerichts auch gegenüber Rechtskundigen vgl BSG vom 14.12.2006 - B 4 R 19/06 R = SozR 4-3250 § 14 Nr 3).
5. Zu den Anforderungen an die Darlegung einer Divergenz iS von §§ 160a, 160 Abs 2 Nr 2 SGG sowie eines Verfahrensmangels in Form eines Verstoßes gegen die Sachaufklärungspflicht nach §§ 160a, 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 103 SGG bzw in Form der Verletzung des gesetzlichen Fragerechts gegenüber dem Sachverständigen aus § 116 S 2, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO.
Normenkette
BVG § 60 Abs. 1 Sätze 3, 2, Abs. 2; SGB I § 36 Abs. 1; SGB X § 27 Abs. 1 S. 2; SGG § § 62, 103, 106 Abs. 1, § 112 Abs. 2 S. 2, § 116 S. 2, § 118 Abs. 1 S. 1, §§ 122, 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nrn. 1-2, 3 Hs. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2, § 160a Abs. 2 S. 3; ZPO § 160 Abs. 4 S. 1, §§ 397, 402, 411 Abs. 4; StGB § 176; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. März 2023 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Die am … 1972 geborene Klägerin begehrt in der Hauptsache noch die Zuerkennung eines früheren Anspruchsbeginns ihrer Beschädigtenversorgung ab dem Zeitpunkt der Schädigung im Jahr 1975 anstatt dem 1.9.2009.
Diesen Anspruch hat das LSG nach Abschluss eines Teilvergleichs verneint, weil der allgemein auf "Opferentschädigung" gerichtete Antrag zu unbestimmt und die Berufung daher unzulässig sei. Darüber hinaus sei die Berufung aber auch unbegründet, weil die Klägerin keinen Anspruch auf eine Vorverlegung des Anspruchsbeginns habe. Dieser scheitere daran, dass die Klägerin nur bis zum … 1987 - vor Vollendung des 15. Lebensjahres - unverschuldet iS des § 60 Abs 1 Satz 3 Bundesversorgungsgesetz (BVG) an einer Antragstellung gehindert gewesen sei und die Jahresfrist nach § 60 Abs 1 BVG am … 1988 geendet habe. Der Antrag auf Opferentschädigung sei jedoch erst am 21.9.2009 und damit mehr als 30 Jahre nach Ablauf der Frist gestellt worden. Bis zum … 1987 müsse sich die Klägerin zwar kein Verschulden ihrer gesetzlichen Vertreter zurechnen lassen. Ab dem … 1987 sei sie mit Eintritt ihrer sozialrechtlichen Handlungsfähigkeit aber nicht mehr unverschuldet an einer Antragstellung gehindert gewesen. Nach dem Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie R vom 25.9.2019 sei der Klägerin - auf Basis ihrer eigenen Angaben - der sexuelle Missbrauch durch ihren Vater seit dem Kindesalter bewusst gewesen. Danach habe die Klägerin als junges Mädchen einem anderen Kind und einer Erzieherin von den Missbräuchen erzählt. Diese Angaben deckten sich mit den Erklärungen gegenüber der Gutachterin M in ihrem versorgungsmedizinischen Gutachten vom 18.8.2010, dass sie sowohl im Kindergarten als auch in der Schule und gegenüber ihrer Mutter den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater angesprochen habe. Die Behauptung einer bestehenden dissoziativen Amnesie werde entgegen den Ausführungen des auf Antrag der Klägerin gehörten Sachverständigen H vom 22.8.2022 durch den eigenen Vortrag der Klägerin widerlegt. Eine konkrete Begründung hierfür habe der Sachverständige zu keinem Zeitpunkt gegeben. Auch in Bezug auf die anerkannte Vergewaltigung im Jahr 1994 habe die Klägerin selbst zu keinem Zeitpunkt eine dissoziative Amnesie geltend gemacht (Urteil vom 7.3.2023).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt und mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, einer Divergenz und mit Verfahrensmängeln begründet.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Die Klägerin hat die von ihr geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in der danach vorgeschriebenen Weise dargetan.
1. Die Klägerin hat - anders als rechtlich geboten - bereits den Sachverhalt, der dem angefochtenen Urteil des LSG zugrunde liegt, nicht hinreichend substantiiert mitgeteilt. Ihren Schilderungen in der Beschwerdebegründung können allenfalls Fragmente der entscheidungserheblichen Tatsachen entnommen werden. Eine verständliche Sachverhaltsschilderung gehört jedoch zu den Mindestanforderungen an die Darlegung oder Bezeichnung eines Revisionszulassungsgrundes. Denn es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil selbst herauszusuchen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 9.2.2023 - B 9 SB 35/22 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 5.12.2022 - B 9 V 30/22 B - juris RdNr 6).
Ohne eine hinreichende Sachverhaltswiedergabe kann das BSG nicht beurteilen, ob sich entscheidungserheblich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, ob eine Divergenz zu einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG oder ob ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochtene vorinstanzliche Entscheidung beruhen kann. Dies gilt umso mehr, wenn es sich - wie vorliegend - um einen umfangreichen Lebenssachverhalt handelt. In einer solchen Situation ist vom Beschwerdeführer zu erwarten, dass die Tatsachenfeststellungen, die für das LSG und aus Sicht der Beschwerde entscheidungserheblich sind, in einer geordneten Abhandlung und nicht - wie hier erfolgt - im Rahmen der Begründung fragmentarisch und unzureichend strukturiert dargelegt werden (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 5.12.2022 - B 9 V 30/22 B - juris RdNr 7 mwN).
2. Unabhängig davon erfüllt das Vorbringen der Klägerin auch nicht die Darlegungsanforderungen der geltend gemachten Zulassungsgründe:
a) Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie ggf des Schrifttums angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Er muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 7.11.2022 - B 9 V 28/22 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 23.2.2022 - B 9 SB 53/21 B - juris RdNr 4). Diese Darlegungsanforderungen verfehlt die Beschwerde.
Die Klägerin hält folgende Fragen für grundsätzlich bedeutsam:
"1. Ist die Tatsache, dass ein Beschädigter oder eine Beschädigte vor dem Alter von 15 Jahren sexuell misshandelt oder missbraucht wurde, im Rahmen der Prüfung des § 60 Abs. 1 S. 3 BVG dahingehend zu berücksichtigen, dass eine Rückwirkung der Antragstellung über die in Abs. 2 normierte Jahresfrist hinaus in Betracht kommt, weil der oder die Beschädigte ohne eigenes Verschulden an der Geltendmachung des Versorgungsanspruchs innerhalb der in § 60 Abs. 2 BVG vorgesehenen Jahresfrist gehindert gewesen ist (vgl. BT- Drucksache 1735/ S. 17 zu 37).
2. Ist für die Frage des Verschuldens im Rahmen des § 60 Abs. 1 S. 3 BVG bei einem oder einer 15-Jährigen, der oder die vor diesem Alter eine sexuelle Misshandlung oder ein sexueller Missbrauch erlitten hat, diese Tatsache ebenfalls zu berücksichtigen?
3. Liegt bei einem Jugendlichen, der sexuelle Misshandlung oder sexuellen Missbrauch erlebt hat, die Fähigkeit vor, einen Antrag i.S.d. § 60 Abs. 1 S. 3 BVG zu stellen?"
Der Senat lässt dahinstehen, ob sie damit überhaupt hinreichend konkrete Rechtsfragen iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG bezeichnet hat. Denn die Klägerin zeigt bereits deren Klärungsbedürftigkeit nicht in der für eine Grundsatzrüge gebotenen Weise auf. Eine Rechtsfrage ist nämlich dann nicht (mehr) klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Letzteres ist auch dann der Fall, wenn das Revisionsgericht darüber zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; zB BSG Beschluss vom 7.11.2022 - B 9 V 28/22 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 5.6.2020 - B 9 SB 87/19 B - juris RdNr 9). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG substantiiert vorgetragen werden, dass zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung vorliegt oder durch die schon ergangenen Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet ist (vgl BSG Beschluss vom 23.4.2021 - B 13 R 67/20 B - juris RdNr 7 mwN).
Diese Darlegungsanforderungen erfüllt die Beschwerde nicht. Insbesondere hat die Klägerin keinen fortbestehenden oder neu entstandenen Klärungsbedarf dargelegt. Sie benennt in diesem Kontext zwar das auch vom LSG angeführte Urteil des BSG vom 30.9.2009 (B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6), setzt sich aber im Rahmen ihrer Grundsatzrüge inhaltlich weder mit dieser noch mit anderen Entscheidungen des BSG zu einer verspäteten Antragstellung minderjähriger Gewaltopfer sowie der Zurechenbarkeit des Verschuldens des gesetzlichen Vertreters hieran auseinander und prüft demzufolge auch nicht, ob sich aus ihnen Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Fragenstellungen zu § 60 Abs 1 BVG ergeben. So hat das BSG bereits mit Urteil vom 28.4.2005 (B 9a/9 VG 1/04 R - BSGE 94, 282 = SozR 4-3800 § 1 Nr 8, juris RdNr 18) entschieden, dass ein minderjähriges Opfer sexueller Gewalt nach Eintritt sozialrechtlicher Handlungsfähigkeit regelmäßig ohne Verschulden gehindert ist, Beschädigtenrente zu beantragen. Insoweit gilt grundsätzlich ein subjektiver Maßstab. Zu berücksichtigen sind insbesondere Geisteszustand, Reife, Alter, Bildungsgrad und Geschäftsgewandtheit. Auch hat sich das BSG in beiden Entscheidungen zur Zurechenbarkeit einer schuldhaft unterlassenen Antragstellung von gesetzlichen Vertretern minderjähriger Gewaltopfer geäußert. Im Urteil vom 28.4.2005 (B 9a/9 VG 1/04 R - BSGE 94, 282 = SozR 4-3800 § 1 Nr 8, juris RdNr 15 ff) hat das BSG in Fortführung seiner Entscheidung vom 23.10.1985 (9a RVg 4/83 - BSGE 59, 40 = SozR 3800 § 1 Nr 5) darauf hingewiesen, dass dem minderjährigen Gewaltopfer das Verschulden seines gesetzlichen Vertreters, der aus tat- und täterbestimmten eigenen Interessen keinen Antrag auf Beschädigtenrente stellt, nicht zuzurechnen ist. Deshalb scheidet nach der Rechtsprechung des BSG eine Zurechnung von Verschulden des gesetzlichen Vertreters auch in Fällen aus, in denen der gesetzliche Vertreter entweder zugleich der - bisher unentdeckte - Täter war oder er im Falle des Offenbarwerdens mit einem empfindlichen Ansehensverlust und einer Kriminalstrafe seines Angehörigen zu rechnen hat (BSG Urteil vom 16.3.2016 - B 9 V 6/15 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 7 RdNr 23).
Auf die von der Klägerin behauptete inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung des LSG bei der Subsumtion im Einzelfall kann eine Grundsatzrüge nicht gestützt werden (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 7.11.2022 - B 9 V 28/22 B - juris RdNr 12 mwN).
b) Bereits aus dem genannten Grund der fehlenden Schilderung des für die Entscheidung des LSG erheblichen Sachverhalts hat die Klägerin auch die von ihr gerügte Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) zu dem von ihr zitierten Urteil des BSG vom 28.4.2005 (B 9a/9 VG 1/04 R - BSGE 94, 282 = SozR 4-3800 § 1 Nr 8) nicht hinreichend bezeichnet (vgl allgemein zu den Darlegungsanforderungen an eine Divergenzrüge zB BSG Beschluss vom 25.10.2018 - B 9 V 27/18 B - juris RdNr 8 mwN). Unabhängig davon hat die Klägerin auch keine divergierenden abstrakten tragenden Rechtssätze im Urteil des LSG bezeichnet, die von einem abstrakten tragenden Rechtssatz in der genannten Entscheidung des BSG abweichen. Denn nicht die behauptete Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (stRspr; zB BSG Beschluss vom 4.1.2022 - B 9 V 22/21 B - juris RdNr 16; BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 - juris RdNr 13). Ihr diesbezügliches Vorbringen in der Beschwerdebegründung geht daher über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Subsumtionsrüge nicht hinaus.
c) Schließlich hat die Klägerin auch keinen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) hinreichend bezeichnet.
aa) Soweit als Verfahrensmangel - wie vorliegend - ein Verstoß des LSG gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt wird, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1.) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund deren bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5.) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; zB BSG Beschluss vom 5.12.2022 - B 9 V 30/22 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 11.3.2021 - B 9 SB 51/20 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 26.2.2018 - B 9 SB 84/17 B - juris RdNr 5).
Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht.
Die Klägerin rügt, das LSG habe ihren Antrag vom 20.2.2023, dass der Sachverständige H sein Gutachten vom 22.8.2022 in der mündlichen Verhandlung erläutere, mit Schreiben vom 23.2.2023 verworfen, weil sich allein aufgrund der Diskrepanz zwischen dessen Gutachten und dem Gutachten von R kein Anspruch auf Ladung des Sachverständigen zum Termin ergebe. Hierbei habe das LSG übersehen, dass H in seinem Gutachten auf Seite 20 ff eine konkrete Begründung zur Divergenz hinsichtlich der Beurteilung des Traumas als Extremtrauma abgegeben habe. Das LSG hätte aus diesem Grund ihrem Antrag folgen müssen, H zur Erläuterung seines Gutachtens zu laden.
Mit diesem und ihrem weiteren Vorbringen hat die Klägerin jedoch bereits nicht aufgezeigt, einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG bis zuletzt aufrechterhalten zu haben. Ein solcher Antrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren eine Warnfunktion. Es soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung signalisieren, dass ein Beteiligter die gerichtliche Aufklärungspflicht noch nicht für erfüllt hält. Diese Warnfunktion verfehlen bloße Beweisgesuche, die lediglich in der Berufungsschrift oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind, weil es sich insoweit nur um Hinweise oder bloße Anregungen handelt (BSG Beschluss vom 22.9.2022 - B 9 SB 8/22 B - juris RdNr 10 mwN). Um das Berufungsgericht ausreichend vor einer Verletzung seiner Amtsermittlungspflicht zu warnen, muss ein im Berufungsverfahren rechtskundig vertretener Beschwerdeführer - wie die Klägerin - sein zuvor geäußertes Beweisbegehren deshalb in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG als prozessordnungsgemäßen Beweisantrag iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG wiederholen und protokollieren lassen (§ 122 SGG iVm § 160 Abs 4 Satz 1 ZPO; vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 2.2.2022 - B 9 SB 47/21 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 14.5.2021 - B 9 SB 71/20 B - juris RdNr 8).
Demgegenüber trägt die Klägerin selbst vor, das LSG habe ihren Beweisantrag mit Schreiben vom 23.2.2023 verworfen und dies auch entsprechend begründet. In dieser prozessualen Lage brauchte das LSG ohne einen weiteren Beweisantrag, der sich mit den Gründen der zuvor erfolgten Ablehnung des vorangegangenen Beweisantrags auseinandersetzte und weiteren Ermittlungsbedarf aufzeigte, nicht mehr anzunehmen, die Klägerin halte immer noch zusätzliche Ermittlungen von Amts wegen für geboten (vgl BSG Beschluss vom 22.9.2022 - B 9 SB 8/22 B - juris RdNr 11). Dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung einen weiteren Beweisantrag zu Protokoll gestellt hat, behauptet sie nicht.
Unabhängig davon trägt die Klägerin auch nicht schlüssig vor, warum sich das LSG ausgehend von seiner Rechtsauffassung zu einer weiteren Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen. Es gehört zu den Aufgaben des Tatsachengerichts, sich im Rahmen seiner Beweiswürdigung auch mit einander entgegengesetzten Gutachten auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem grundsätzlich anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einholen zu müssen. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse gehört - wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse - zur Beweiswürdigung selbst. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (BSG Beschluss vom 9.1.2019 - B 9 SB 62/18 B - juris RdNr 7). Lediglich dann, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben, ist das Tatsachengericht zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet (stRspr; zB BSG Beschluss vom 20.5.2020 - B 13 R 49/19 B - juris RdNr 16 mwN). Solche Umstände hat die Klägerin nicht schlüssig bezeichnet. Tatsächlich kritisiert die Klägerin mit ihrem Vorbringen gegen die Auswertung und Würdigung der vorliegenden Sachverständigengutachten durch das LSG dessen Beweiswürdigung (vgl § 128 Abs 1 Satz 1 SGG), womit sie nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG von vornherein keine Revisionszulassung erreichen kann.
bb) Soweit die Klägerin die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) rügt, weil vor dem LSG in der mündlichen Verhandlung vom 7.3.2023 der Sachverständige H nicht zu den Diskrepanzen seines Gutachtens zum Gutachten von R angehört worden sei, genügt ihr diesbezügliches Vorbringen auch nicht den Anforderungen an die Bezeichnung eines solchen Verfahrensmangels in Form des gesetzlichen Fragerechts aus § 116 Satz 2, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO. Die Klägerin hat schon nicht aufgezeigt, einen solchen Antrag bis zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG aufrechterhalten zu haben (vgl BSG Beschluss vom 27.9.2018 - B 9 V 14/18 B - juris RdNr 14). Überdies setzt die Ausübung des Fragerechts an den Sachverständigen eine hinreichend konkrete Bezeichnung der noch erläuterungsbedürftigen Punkte voraus. Dafür muss ein wie die Klägerin rechtskundig vertretener Beteiligter die im bisherigen Verfahren zu den beabsichtigten Fragen bereits getroffenen medizinischen Feststellungen der Sachverständigen näher benennen, sodann auf dieser Grundlage auf Lücken, Widersprüche oder Unklarheiten in deren Ausführungen hinweisen und davon ausgehend schließlich die konkret - aus seiner Sicht - noch erläuterungsbedürftigen Punkte formulieren (stRspr; zB BSG Beschluss vom 11.3.2021 - B 9 SB 51/20 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 2.10.2020 - B 9 SB 10/20 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 5.7.2018 - B 9 SB 26/18 B - juris RdNr 9). Auch hieran fehlt es. Allein die in der Beschwerdebegründung erfolgte Darstellung der unterschiedlichen Ergebnisse in den Gutachten von R und H reicht insoweit nicht aus. Soweit die Klägerin sich mit diesen Ausführungen gegen Auswertung und Würdigung der Gutachten durch das LSG wendet und insbesondere nicht damit einverstanden ist, dass das Berufungsgericht den gutachterlichen Äußerungen des H nicht gefolgt ist, rügt sie dessen Beweiswürdigung (vgl § 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Hierauf kann jedoch - wie oben bereits aufgezeigt - eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden.
cc) Mit ihrer weiteren Rüge, das LSG hätte sie auf die seiner Ansicht nach unbestimmte Antragstellung hinweisen müssen und die "Klage" nicht ohne vorherigen Hinweis als unzulässig erachten dürfen, wendet sich die Klägerin sinngemäß dagegen, das LSG habe in der Person des Vorsitzenden, die sich aus § 106 Abs 1, § 112 Abs 2 Satz 2 SGG ergebende Pflicht zur Hinwirkung auf sachdienliche Anträge verletzt. Unabhängig davon, ob und inwieweit eine solche Hinwirkungspflicht des Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung auch gegenüber der rechtsanwaltlich vertretenen Klägerin bestanden hat (vgl BSG Beschluss vom 6.12.2018 - B 8 SO 38/18 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 1.3.2018 - B 8 SO 52/17 B - juris RdNr 7 zur Verpflichtung des Vorsitzenden zur Hinwirkung auf die Stellung sachdienlicher Anträge bei nicht anwaltlich vertretenen Klägern; zur Fürsorge- und Prozessförderungspflicht des Gerichts auch gegenüber Rechtskundigen vgl BSG Urteil vom 14.12.2006 - B 4 R 19/06 R - SozR 4-3250 § 14 Nr 3 RdNr 24), zeigt die Klägerin nicht auf, inwieweit die angefochtene Entscheidung auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann. Denn sie trägt selbst vor, dass das LSG auf Grundlage der vorliegenden Befunde und Gutachten den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Vorverlegung des Anspruchsbeginns in der Sache geprüft und verneint und deshalb die Berufung auch als unbegründet angesehen habe. Somit versäumt sie es darzulegen, dass auch im Fall eines erfolgten vorherigen Hinweises des Vorsitzenden auf die Unbestimmtheit des gestellten Antrags und einer daraufhin erfolgten Antragsumstellung durch ihren Prozessbevollmächtigten das LSG zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung gelangt wäre.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. |
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Kaltenstein |
Röhl |
Othmer |
Fundstellen
Dokument-Index HI16148647 |