Leitsatz (redaktionell)
Versicherungsrechtliches Konkurrenzverhältnis zwischen RVO § 539 Abs 1 Nr 1 und RVO § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a bei Hilfeleistung auf einem nach RVO § 550 unfallversicherten Weg:
1. Dem Unfallversicherungsschutz nach RVO § 539 Abs 1 Nr 1 ist der Vorrang zu geben, wenn ein Beschäftigter den nach RVO § 550 versicherten Heimweg nur geringfügig unterbrochen hat und daher bei der anschließenden Hilfeleistung sowohl nach dieser Vorschrift als auch nach RVO § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a Unfallversicherungsschutz bestand.
2. Lediglich für die Frage, ob Unfallversicherungsschutz nach RVO § 539 Abs 1 Nr 9 oder nach RVO § 539 Abs 2 besteht, kommt es nach der Rechtsprechung des BSG darauf an, welche Umstände rechtlich überwiegen.
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30, Nr. 9 Buchst. a Fassung: 1963-04-30, § 550 Abs. 1 Fassung: 1974-04-01
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. Juni 1977 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die Kesten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
Der Ehemann der Klägerin stellte auf der Fahrt von dem Ort seiner Tätigkeit nach Hause seinen Wagen auf der Autobahn an einer Ausbuchtung der Fahrbahn ab und überquerte die Fahrbahn, vermutlich, um eine später auf der Fahrbahn gefundene, von einem Pkw abgebrochene Blattfeder aufzuheben. Dabei wurde er von einem Pkw erfaßt und erlitt tödliche Verletzungen.
Die Beklagte lehnte Entschädigungsansprüche der Klägerin ab, da sich der Unfall während einer Unterbrechung des Heimweges ereignet habe
Das Sozialgericht (SG, hat durch Urteil vom 20. September 1976 den Beigeladenen zur Entschädigungsleistung verurteilt, weil der Ehemann der Klägerin verunglückt sei, als er andere Autofahrer vor den Gefahren eines auf der Autobahn liegenden Gegenstandes hatte schützen wollen. Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 8. Juni 1977 das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte zur Entschädigungsleistung verurteilt, da der Ehemann der Klägerin den Heimweg nur geringfügig unterbrochen habe und ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a der Reichsversicherungsordnung (RVO) subsidiär gegenüber dem nach Abs 1 Nr 1 dieser Vorschrift sei.
Zur Begründung ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Beklagte geltend, es sei eine grundsätzliche Rechtsfrage, ob auch in den Fällen, in denen die Hilfeleistung den alleinigen Anlaß des Handelns bilde, der Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVC nachrangig sei
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Die Frage, in welchem Verhältnis § 539 Abs 1 Nr 9 RVO - vor Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes § 537 Nr 5 RVO aF - zu den anderen Vorschriften des § 539 RVO steht, ist wiederholt vom Bundessozialgericht entschieden worden, ohne allerdings abschließend geklärt zu sein (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 9. Aufl. S. 476 v). Das BSG hat jedoch, wie die Beschwerdeführerin nicht verkennt, in dem die entsprechende Regelung in § 537 RVO aF betreffenden Urteil vom 14. Dezember 1967 (BSG SozR Nr 46 zu § 537 RVO aF) entschieden, daß dem Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO der Vorrang zu geben ist, wenn bei der Hilfeleistung sowohl nach dieser Vorschrift als auch nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO Versicherungsschutz besteht. Diese Frage ist somit nicht mehr klärungsbedürftig, da dieser Rechtsprechung des BSG das Schrifttum zumindest überwiegend zustimmt (vgl ua Vollmar, BG 1971, 148; Wittmann, SGb 1971, 46). Auch in dem dem Urteil des BSG vom 14. Dezember 1967 zugrunde liegenden Sachverhalt hat die Hilfeleistung den alleinigen Anlaß für das Handeln des Versicherten gebeten, dessen Beschäftigungsverhältnis in der Binnenschifffahrt nicht - wie zB bei Feuerwehrleuten - auf Hilfeleistung ausgerichtet war. Nach der Rechtsprechung des Senats zu § 537 Nr 5 Buchst a und 10 RVO aF setzt zwar die Beantwortung der Frage, ob Versicherungsschutz nach Abs 1 Nr 9 oder Abs 2 des § 539 RVO gegeben ist, die Prüfung voraus, welche Umstände rechtlich ins Gewicht fallen (BSG SozR Nr 4 zu § 539 RVO; BSG BG 1974, 140; BSG Urteil vom 27. April 1972 - 2 RU 94/68). Sind die für den Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO in Betracht zu ziehenden Umstände gegenüber denjenigen, welche die Anwendung der Nr 9 Buchst a dieser Vorschrift rechtfertigen, von so untergeordneter Bedeutung, daß sie als rechtlich unerheblich außer Betracht zu bleiben haben, richtet sich der Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO (BSG aaO). Diese Urteile betreffen aber die Frage, ob ein Versicherungsschutz entweder nach Abs 2 oder nach Abs 1 Nr 9 Buchst a des § 539 RVO besteht. Im vorliegenden Fall hat das LSG jedoch die Voraussetzungen des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs 1 Nr 1 iVm § 550 RVO auch während der - nach Auffassung des LSG nur geringfügigen - Unterbrechung des Heimweges angenommen. Deshalb ist auch den Ausführungen von Vollmar (aaO S. 151), daß der Vorrang eines Versicherungsschutzes nach § 539 Abs 1 Nr 1 iVm § 550 RVO nicht besteht, wenn der Versicherte seinen Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit unterbricht, um die Hilfe zu leisten, nichts Gegenteiliges zu entnehmen; denn dann besteht während der Unterbrechung kein Versicherungsschutz nach diesen Vorschriften. Das LSG hat aber, wie bereits erwähnt, entschieden, daß der Ehemann der Klägerin den Heimweg nur geringfügig unterbrochen hatte, so daß nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (s. die Übersicht bei Brackmann aaO S. 486 x) der Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO iVm § 550 RVO bestehen geblieben war. Ob diese nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zu treffende Entscheidung richtig ist, bildet keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, da die Grundsätze des Versicherungsschutzes bei nur geringfügiger und bei mehr als unerheblicher Unterbrechung des Weges, soweit sie für den vorliegenden Rechtsstreit in Betracht zu ziehen sind, durch die Rechtsprechung des BSG hinreichend geklärt sind. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 160a iVm § 160 Abs 1 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind jedoch, die die Beschwerdeführerin nicht verkennt, nicht allein deshalb erfüllt, weil das Berufungsgericht - nach der Auffassung der Beschwerdeführerin - die Sache falsch entschieden hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen