Entscheidungsstichwort (Thema)

Einlegung einer Sprungrevision

 

Leitsatz (amtlich)

Regt ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung vor dem SG an, die (Sprung-)Revision zuzulassen, so stimmt er damit noch nicht der Einlegung der Sprungrevision durch den Gegner zu (Anschluß an BSG 1975-12-09 3 RK 67/75).

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die nach SGG § 161 Abs 1 S 1 vorgeschriebene Beibringung der Zustimmungserklärung des Rechtsmittelgegners zur Einlegung der Sprungrevision kann nicht durch den in der vorgelegten Niederschrift des SG enthaltenen Protokollvermerk, daß beide Beteiligten die Zulassung der Sprungrevision beantragen, ersetzt werden; der Antrag auf Zulassung soll lediglich das Gericht veranlassen, die Zulassung der Sprungrevision zu prüfen und ggf im Urteil auszusprechen, um den Beteiligten die Wahl zwischen Berufung und Revision zu eröffnen.

2. Die schriftliche Zustimmungserklärung des Gegners zur Einlegung der Sprungrevision gilt zugleich als Verzicht auf das Rechtsmittel der Berufung; sie kann zwar von den Beteiligten durch übereinstimmende Erklärungen schon vor Verkündung des Urteils zu Protokoll gegeben und alsdann durch beglaubigten Protokollauszug beigebracht werden; diese auf Einlegung des Rechtsmittels bezogene Erklärung ist aber mit dem Zulassungsantrag nicht identisch.

3. Die Beibringung der schriftlichen Zustimmungserklärung kann auch durch fristgerechte Vorlage einer Fotokopie der schriftlichen Erklärung des Gegners oder durch eine telegrafische Einwilligung oder dadurch erfolgen, daß in der Revisionsschrift auf die in den Akten des SG befindliche Urschrift der Einwilligungserklärung verwiesen worden ist und diese Akten noch vor Ablauf der Revisionsfrist beim Revisionsgericht eingegangen sind.

 

Normenkette

SGG § 161 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1974-07-30

 

Tenor

Die Sprungrevision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 8. April 1975 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Sprungrevision der Klägerin ist unzulässig. Sie ist zu verwerfen (§ 169 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Klägerin hat ihre Sprungrevision nicht in der gesetzlichen Form eingelegt (§ 169 Abs. 1 Satz 1 SGG). Da das Sozialgericht (SG) die Revision im Urteil zugelassen hat, war die Zustimmung des Gegners, der Beklagten, zur Sprungrevision der Klägerin der Revisionsschrift beizufügen (§ 161 Abs. 1 Satz 3, 2. Alternative SGG). Das hat die Klägerin unterlassen. Sie hat zwar mit der innerhalb der Revisionsfrist beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Revisionsschrift mit gleichzeitiger Revisionsbegründung einen Abdruck der Niederschrift über die öffentliche Sitzung des SG vom 8. April 1975 vorgelegt, die der Vorsitzende und die Schriftführerin eigenhändig unterschrieben haben. In dieser Niederschrift heißt es u. a.: "Beide Beteiligte beantragen, die Sprungrevision zuzulassen"; die Niederschrift weist ferner aus, daß der Vorsitzende das Urteil durch Verlesen folgender Urteilsformel verkündet hat: "I. Die Klage wird abgewiesen. II. Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird zugelassen." Die Klägerin meint, in dem protokollierten Antrag der Beklagten, die Sprungrevision zuzulassen, liege zugleich, daß die Beklagte der Sprungrevision schriftlich zustimme.

Dem ist nicht zu folgen. Es mag sein, daß im Termin vor dem SG zwischen den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin und der Beklagten darüber Einigkeit bestanden hat, daß Sprungrevision eingelegt werde, wie dies die Klägerin der Beklagten vorhält, die die schriftliche Zustimmungserklärung vermißt und daher die Sprungrevision für unzulässig hält. Diese von der Klägerin behauptete Einigkeit hat indes entgegen der Auffassung der Klägerin in der Sitzungsniederschrift des SG keinen Niederschlag gefunden. Der übereinstimmende Antrag beider Beteiligten bezieht sich ausdrücklich nur darauf, "die Sprungrevision zuzulassen". Die nach § 161 Abs. 1 Satz 1 SGG erforderliche schriftliche Zustimmung des Gegners zur Sprungrevision kann allerdings rechtswirksam auch zur Niederschrift des SG vor Erlaß des sozialgerichtlichen Urteils erklärt werden. Dies hat der Große Senat (Gr. S.) des BSG bereits in seinem Beschluß vom 30. Juni 1960 - GS 1/59 - (BSGE 12, 230, 233 f, 236 = SozR Nr. 14 zu § 161 SGG) zu der vor dem 1. Januar 1975 gültigen Fassung des § 161 SGG entschieden. § 161 SGG ist jedoch hier in der am 1. Januar 1975 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGG vom 30. Juli 1974 (BGBl I 1625) anzuwenden. Wenn auch die frühere und die jetzige Fassung des § 161 SGG voneinander abweichen, so bestehen dennoch keine Bedenken, die erwähnte Rechtsprechung des Gr. S. des BSG auch auf die jetzige Fassung des § 161 Abs. 1 SGG anzuwenden. In den beiden Fassungen wird nämlich eindeutig von dem Rechtsmittelgegner eine Zustimmungserklärung zur Sprungrevision erwartet. Eine solche Zustimmungserklärung ist indessen der Sitzungsniederschrift nicht zu entnehmen.

Der Klägerin kann zugegeben werden, daß Prozeßerklärungen von Beteiligten auslegungsfähig sind. Die Zustimmung der Beklagten zur Sprungrevision, die als solche eine Prozeßerklärung ist, könnte nach der Lage des Falles nur in dem übereinstimmend erklärten und in der Sitzungsniederschrift des SG protokollierten Antrag liegen, "die Sprungrevision zuzulassen". Diese Erklärung läßt sich aber nicht dahin auslegen, die Beklagte hätte darin auch ihr Einverständnis zur Sprungrevision erteilt (ebenso der 3. Senat des BSG in dem zur Veröffentlichung bestimmten Beschluß vom 9. Dezember 1975 - 3 RK 67/75 -). Eine solche Auslegung verbietet sich nicht nur vom Wortlaut her, der allein die prozeßrechtliche Zulassung der Sprungrevision zum Gegenstand hat, sondern vor allem vom Inhalt der Erklärung her. Als die Prozeßbevollmächtigten beider Beteiligten, die zudem beide rechtskundig sind, beantragen, die Sprungrevision zuzulassen, konnte dies prozeßrechtlich nur den Sinn haben, das SG dazu anzuregen, die Zulassung der Sprungrevision bei der bevorstehenden Beratung zu prüfen und ggf. im Urteil zuzulassen. Diese Erklärung richtete sich daher an das Gericht, und zwar mit dem erkennbaren Ziel der Prüfung und Entscheidung bei dem zu erwartenden Urteil. Darüber hinaus geht aber der Inhalt der Erklärung nicht. Es mußte daher von den Beteiligten erwartet werden, wenn sie sich vor der Urteilsverkündung darüber einig gewesen sein sollten, daß Sprungrevision jedenfalls unabhängig vom Ausgang des Verfahrens eingelegt werden solle, daß dies - zumindest andeutungsweise - zusätzlich in ihrer Erklärung zum Ausdruck kam.

Das Ergebnis läßt sich nicht damit abtun, wie dies die Klägerin mehrfach im Revisionsverfahren ausgedrückt hat, es beruhe auf "Wortklauberei". Die Klägerin verkennt mit dieser Einwendung, daß für eine formgerechte Sprungrevision, wenn sie das SG im Urteil zugelassen hat, die erforderliche schriftliche Zustimmungserklärung des Gegners zur Sprungrevision nicht identisch ist mit der Anregung zur Zulassung der Sprungrevision. Letztere soll lediglich die Möglichkeit der Wahl zwischen Berufung und Revision eröffnen, die Zustimmung gilt hingegen als Verzicht auf das Rechtsmittel der Berufung. Die an sich der Revisionsschrift beizufügende Zustimmungserklärung kann allerdings durch eine innerhalb der Revisionsfrist vorgelegte beglaubigte, nicht einfache Abschrift des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem SG ersetzt werden, in der die Beteiligten vor Verkündung des Urteils übereinstimmend erklärt haben, sie seien mit der Einlegung der Sprungrevision einverstanden (Gr. S. BSGE 12, 230 = SozR Nr. 14 zu § 161 SGG; SozR Nr. 12 aaO), ferner durch eine fristgerechte Vorlage der Fotokopie der schriftlichen Erklärung des Rechtsmittelgegners, daß er in die Sprungrevision einwilligt (BSG SozR Nr. 17 aaO), oder durch eine telegrafische Einwilligung (BSG SozR Nr. 7 aa) oder sogar dadurch, daß in der Revisionsschrift auf die in den Akten des SG befindliche Urschrift der Einwilligungserklärung verwiesen worden ist und diese Akten noch vor Ablauf der Revisionsfrist beim Revisionsgericht eingegangen sind (SozR 1500 § 161 SGG Nr. 2). Diese zur früheren Fassung des § 161 SGG ergangene Rechtsprechung des BSG kann ebenso wie die bereits erwähnte Entscheidung des Gr. S. (BSGE 12, 230 = SozR Nr. 14 zu § 161 SGG) unbedenklich insgesamt auf die ab 1. Januar 1975 gültige Fassung des § 161 SGG angewendet werden. Dies setzt aber unabdingbar voraus, daß der Rechtsmittelgegner sein Einverständnis zur Sprungrevision erklärt hat. Hier aber fehlt gerade diese notwendige Erklärung.

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647102

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